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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1109–1110

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Anderson, Clifford B., and Bruce L. McCormack [Eds.]

Titel/Untertitel:

Karl Barth and the Making ofEvangelical Theology. A Fifty-Year Perspective.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. 243 S. Kart. US$ 34,00. ISBN 978-0-8028-7235-7.

Rezensent:

Matthias Clausen

Das Gespräch mit der Theologie Karl Barths hat in den USA ab den 1990er Jahren eine Renaissance erlebt, maßgeblich sind hier besonders Bruce McCormack (»Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology«, 1996) und George Hunsinger (»How to read Karl Barth«, 1993). Ersterer leiht dem vorliegenden Band allerdings (leider) nur seinen Namen als Herausgeber, Zweiterer legt auch einen eigenen Text vor.
Die Beiträge stammen von einer Tagung in Princeton im Jahr 2012 anlässlich des 50. Jahrestags von Barths einzigem Besuch in den USA im Jahr 1962. Kurz nach Abschluss seiner Lehrtätigkeit in Basel hatte Barth die beständigen Einladungen aus Amerika angenommen und knapp zwei Monate dort verbracht, mit Besuchen in Princeton sowie einer Reihe weiterer prägender Begegnungen. Seine Vorlesungen aus dieser Zeit wurden danach in den USA unter dem Titel »Evangelical Theology« herausgegeben. Sie lassen sich von seiner dortigen Zuhörerschaft her wie auch als theologische Bestandsaufnahme gegen Ende seiner Laufbahn verstehen. Das macht die hier gesammelten Texte auch allgemein interessant: Sie gehen zumeist von Evangelical Theology aus und beleuchten zum einen Barths Verhältnis zu den USA – in Politik, Gesellschaft und Theologie. Zum anderen markieren sie Barths Denken um das Jahr 1962, etwa den Stand seines Gesprächs mit der Theologie Rudolf Bultmanns oder seine eigene Bewertung seiner theologischen Frühphase.
Gerade der spezifisch amerikanische Blick verhilft zum Teil zu überraschenden Einsichten – beginnend mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Barths Besuch hervorrief. Dass es ein Pfeife rauchender Dogmatiker aus der Schweiz auf das Cover des Time Magazine schafft, wirkt heute unwahrscheinlich; damals war es aber so, und das mediale Echo ist auch in der Rückschau zu hören. Die Texte sind lose vier Rubriken zugeordnet: historische sowie systematisch-theologische Perspektiven, Barth im Gespräch mit amerikanischen Theologen und Fragen theologischer Existenz. Umfang und akademischer Anspruch der Texte sind erklärtermaßen unterschiedlich. Die Beiträge im Einzelnen:
Historische Perspektiven: Hans-Anton Drewes, ehemals Direktor des Basler Barth-Archivs, wirft einen Blick auf Barths Relecture eigener früherer Schriften – die vom Erstaunen Barths über die großen Kontinuitäten in seinem Werk zeugt. Das passt zu McCormacks Annahme einer eher prozesshaften Entwicklung in Barths Denken, mit bleibenden Grundmotiven (McCormack 1996).
David W. Congdon beleuchtet den theologiegeschichtlichen Kontext von 1962, mit Tillich und Bultmann als den auch in Übersee einflussreichen Figuren. Barths Evangelical Theology ist demnach auch eine Zeitansage, inkl. einer (wenn auch verdeckten) Auseinandersetzung mit dem theologischen Existenzialismus. Eine These Congdons wie auch von anderen Beiträgen im Buch ist, dass Barths »Theanthropologie« dem existenzialistischen Anliegen gerade besser gerecht wird als die damaligen theologischen Mitbewerber. Von daher könne auch neu nach Konvergenzen zwischen Barth und Bultmann gefragt werden.
Barth hatte eigens darum gebeten, auch amerikanische Gefängnisse besuchen zu können. Diesen Besuchen geht Jessica DeCou nach. Barths Erschrecken über die zum Teil dramatisch schlechten Bedingungen trug wohl mit dazu bei, ihn vor moralischer Selbstgewissheit des Westens in der Zeit des Kalten Krieges warnen zu lassen.
Systematisch-theologische Perspektiven: Die amerikanische Sicht erlaubt anscheinend auch einen Neuansatz zu klassischen Fragen der Barth-Rezeption. So vergleicht Kevin Hector das Verständnis von Theologie als akademischer Disziplin in Barths Evangelical Theology und bei Schleiermacher und vertritt die These, dass Barth-Schüler »can in fact learn from Schleiermacher how to be better Barthians« (Introduction, 7).
Gerald McKenny diskutiert den ebenso klassischen Einwand gegen Barths theologische Ethik, diese messe dem menschlichen Handeln zu wenig Bedeutung bei – was angesichts der Konjunktur tugendethischer Konzeptionen besonders sperrig wirken kann. Zwar lasse sich in Barths Theologie wohl auch eine Tugendethik integrieren, doch solle dies mit Vorsicht geschehen, um die Eigenständigkeit seines Ansatzes nicht zu gefährden.
George Hunsinger widmet sich erneut Barths theologischer Anthropologie, ausgehend von KD III/2. Barth diskutiert hier mehrere zeitgenössische säkulare Anthropologien. Hunsinger entwi-ckelt von daher Kriterien einer theologischen Anthropologie im Sinne Barths sowie Grundhaltungen für das selbstbewusste und neugierige Gespräch mit außertheologischen Denkansätzen.
Barth im Gespräch mit amerikanischen Theologen: In Daniel L. Migliores Gegenüberstellung von Barth mit dem Princetoner Theologen des 19. Jh.s, B. B. Warfield, überwiegen die Unterschiede in Ansatz und Situation. Größer sind Parallelen in Biographie und Anliegen durchaus beim Vergleich von Barth und Martin Luther King (Peter J. Paris).
Instruktiv ist Cambria J. Kaltwassers Text über die Freundschaft zwischen Barth und John Mackay, ehemals Rektor des Princeton Theological Seminary. Zu dessen Biographie gehören pietistische Wurzeln in Schottland, Missionarstätigkeit und ein früher Studienaufenthalt in Bonn, mit engem Kontakt zu Barth. Die fortdauernde Brieffreundschaft der beiden gibt wichtige Einblicke in Barths Selbstwahrnehmung.
Fragen theologischer Existenz: Der Band schließt mit Überlegungen zum pastoralen Umgang mit Misserfolg (Katherine Sonderegger) sowie mit Folgerungen aus Barths Theologie für das Selbstverständnis des theologisch Lehrenden (Adam Neder): Die beste Lehre ist demnach die, die Studierende durchaus heilsam beunruhigt und nicht der Karriere des Lehrenden, sondern der Ehre Gottes dient. Das Buch gibt somit eine wesentliche Momentaufnahme zum Stand der Barth-Rezeption in den USA, die auch das internationale Gespräch mit der Theologie Barths neu inspirieren sollte.