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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1108–1109

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Uwe

Titel/Untertitel:

Der errettete Beter. Hans Stadens »Wahrhaftige Historia« (1557) als protestantische Erbauungserzählung und Beispiel lebensbezogener Lutherrezeption.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2015. 216 S. m. 13 Abb. Geb. EUR 47,95. ISBN 978-3-631-66332-5.

Rezensent:

Johannes M. Ruschke

1557 veröffentlicht Hans Staden, ein Landsknecht aus Homberg (Efze) in Nordhessen, einen Bericht über zwei Reisen, die ihn zwischen den Jahren 1548 bis 1555 nach Südamerika geführt haben. Während der zweiten Reise wird Staden von den Tupinambá-Kannibalen, einem Küstenindianerstamm, gefangengenommen. Als er nach neun Monaten freigelassen wird, schreibt er seine Rettung der Erhörung seiner Gebete zu.
Unter Kulturethnologen und Literaturwissenschaftlern ist das erste deutsche Brasilienbuch schon häufig Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen gewesen, selten jedoch in den theologischen Wissenschaften. Uwe Schäfer, promovierter Pfarrer in Kurhessen-Waldeck, interpretiert Stadens Buch dezidiert theologisch, indem er es aus seinem reformatorischen Entstehungskontext heraus versteht. Gerade durch seinen »theologischen Mehrwert« (99) habe das Buch bei seinen damaligen Lesern Erfolg gehabt.
S. arbeitet in seiner Untersuchung heraus, »dass die religiöse Dimension das eigentliche Movens für die Abfassung der Schrift darstellt« (17). Er bezeichnet sie daher »als erzählte Glaubenserfahrung mit eingebetteten reformatorischen Denkmustern« (ebd.). S. vermag es, die Gebetszusammenhänge der ›Wahrhaftige[n] Historia‹ im Kontext der zeitgenössischen reformatorischen Erbauungsliteratur als eine spezifische Form einer Luther-Rezeption herauszuarbeiten.
In den ersten 18 Kapiteln des Buches ist Staden kein Glaubensvorbild. Dies ändert sich erst durch die Gefangennahme durch die Indianer. Wesentliches Kennzeichen von Stadens Konversion sind die Gebete, die klar durch reformatorische Akzentsetzungen geprägt seien. Gegenüber einer mittelalterlichen Gebetsfrömmigkeit, die sich tendenziell durch Werkgerechtigkeit, Marienfrömmigkeit und Heiligenverehrung auszeichne, zeige sich in Stadens Gebeten »eine maßgebliche Prägung durch Luthers Gebetsverständnis und Gebetspraxis« (109). Dies erkennt S. daran, dass Staden sein Leben nach der Konversion als durchweg religiös und von Gott gelenkt ansieht. Staden verstehe gerade in der Dialektik des simul iustus et peccator seine Gebete als Antwort des Glaubens auf die Alleinwirksamkeit Gottes; dies, so S., sei »die Pointe des reformatorischen Gebetsverständnisses« (116). Auch weitere Merkmale des lutherischen Gebetsverständnisses, wie beispielsweise die Priorität des Bittgebets, die Gewissheit der Erhörung des Betenden, das Gebetselement der Heilserinnerung, reformatorische Jenseitsvorstellungen und die Erkenntnis, dass der Glaube keine Voraussetzung für das Beten sei, weist S. in Stadens Bericht nach.
Insgesamt ist S.s Buch ein erfreulicher Beitrag zur Erforschung der Wirkung von Luthers Gebetstheologie auf die zeitgenössische Erbauungsliteratur. Es wird deutlich, wie lebendig Luthers Er­kenntnisse weitergegeben wurden und in anderen Werken Einzug gefunden haben. Allerdings wirken S.s Ergebnisse an manchen Stellen tendenziös: Unbeschadet der Aufnahme reformatorischer Lehren und Ideen war Staden natürlich auch ein Kind seiner Zeit, das zunächst durch die mittelalterliche Frömmigkeit geprägt war. Manche Gebetsmerkmale lassen sich daher nicht eindeutig in mittelalterlich und reformatorisch bzw. lutherisch trennen; dies be­merkt S. selber: »es darf schon darauf hingewiesen werden, dass die reformatorischen Überlieferungsbezüge […] einer tiefergehenden Betrachtung entbehren, weil die religiösen Praxisbezüge und -ge­halte durch allgemeingültige traditionsgeschichtliche Annahmen und Zuordnungen etwas verschliffen werden« (28 f.). Auch wenn reformatorische Lehren an einigen Stellen stark verkürzt wiedergegeben werden, ist die dezidiert theologische Lesart von Stadens Bericht als protestantisches Erbauungsbuch verdienstvoll und lesenswert.