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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1092–1095

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lange, Christian

Titel/Untertitel:

Mia Energeia. Untersuchungen zur Einigungspolitik des Kaisers Heraclius und des Patriarchen Sergius von Constantinopel.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XX, 701 S. m. Ktn. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 66. Kart. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150967-4.

Rezensent:

Theresia Hainthaler

Die leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung der Habilitationsschrift von Christian Lange an der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Katholische Theologie im Wintersemester 2010/11, ist sowohl kirchenhistorisch wie dogmengeschichtlich ausgerichtet (vgl. Einleitung über den Gegenstand der Untersuchung, Ziel, Forschungsstand, Gliederung, Begrifflichkeit, 1–20).
L. nimmt einen sehr langen Anlauf für sein Thema in der ersten Hälfte des 7. Jh.s: Er beginnt bei Apolinarius von Laodicaea und verfolgt die Entwicklung der christologischen Diskussion zunächst im Römischen Reich: die alexandrinische und antiochenische Richtung, Cyrill und Nestorius, Chalcedon, und behandelt die nachchalcedonische Zeit unter dem Fokus der Einigungsbemühungen der Kaiser Leo, Basiliscus, Zeno, Anastasius, Justin I., Justinian I. und Justinian II. L. bietet detailreich viel Material, Schaubilder, Karten, zum Teil neue Untersuchungen und fasst die bisherigen Forschungsergebnisse klar zusammen, vorsichtig im Urteil. Diese umfangreiche Monographie zur christologischen Entwicklung im R ömischen Reich (21–468) umfasst allein 447 Seiten. Neu ist die scharfe Herausarbeitung der »Wende« mit der Synode von Konstantinopel (536) als »Wasserscheide« (360, Anm. 1701), »kirchenpolitische Wende« (364) oder »entscheidende Wende« (460), da damit die chalcedonische Restauration für L. endgültig geworden ist. Nun begannen die Severianer konsequent mit dem Aufbau einer eigenen Hierarchie (vorher gab Severus seine Zustimmung zu Weihen nur in Ausnahmefällen). Die Synode von 536 markiere das endgültige Scheitern der Vermittlungspolitik, danach entstehen zwei getrennte Hierarchien der Chalcedonier bzw. Severianer (289).
Die beiden folgenden Kapitel sind bedeutend kürzer: Einerseits stellen sie die Entwicklung der Kirche in Persien und die christologische Entwicklung der ostsyrischen Kirche bis 612 dar (471–517), andererseits die Entwicklung des Christentums in Armenien und den Stand der christologischen Diskussion bis zur 2. Synode von Dvin 552 (517–530). Dann wendet sich L. dem eigentlichen Skopus der ganzen Arbeit zu (531–622), dem Einigungswerk unter Kaiser Heraklius und Patriarch Sergius, dem letzten Einigungsversuch, eine Union zu finden, die geglückt ist. Der lange Anmarschweg war nötig, wie sich zeigt, um diese Zeit zu verstehen. Klar unterscheidet e r dann zwischen der monenergetischen und der monotheletischen Periode, die er neu als »miaenergetische« und »henothele-tische« bezeichnen will – die letzte ist eine Diskussion nur noch in der Reichskirche, da die anderen Kirchen bereits von den Arabern erobert sind. L. tritt also für die strikte Unterscheidung der beiden Auseinandersetzungen ein. Der Schlussteil (623–630) zieht kirchengeschichtliche Schlussfolgerungen, bietet dogmengeschichtliche Beobachtungen und ökumenische Perspektiven. Die Arbeit enthält eine Bibliographie: Quellenverzeichnis, Literaturverzeichnis (631–666) und ein umfangreiches Register: Quellen (667–683), Sachregis-ter (684–688), Bibelstellen, Konzilien und Synoden, Ortsverzeichnis und Namenregister (689–701).
Man kann nur staunen über die Materialfülle, die L. im Detail bewältigt hat und deren zugrundeliegende Texte er im lateinischen, griechischen, syrischen oder armenischen Original bietet. Breit do­kumentiert er die Sekundärliteratur und Stellungnahmen der Autoren in den Anmerkungen. Das kann einerseits oft nützlich und hilfreich sein, andererseits wird die Lektüre dadurch mühsam und man verliert den Überblick. Verschiedene Meinungen stehen oft nebeneinander, ohne dass L. Stellung bezieht. Die Darstellung ist redundant (die Anm. wiederholt, was schon im Text steht); so ist es nicht immer einfach, den Fortgang des Gedankens zu verfolgen. In den jeweiligen Einleitungen verweist er voraus auf künftig behandelte Passagen, in Zusammenfassungen zurück oder voraus – ein heikles Unterfangen, da fehleranfällig (es gibt auch zuweilen Fehler, z. B. 413, Anm. 1952) und redundant. Das gebotene Material im Volltext ist überaus eindrucksvoll, weitgehend korrekt, allerdings nicht frei von Druckfehlern (die jedoch selten sinnstörend sind).
Chalcedon wird häufig als die »umstrittene Synode« apostrophiert (237 u. ö.), mit leicht pejorativem Unterton – Grillmeier hatte dagegen Band 2/1 über die unmittelbare Nachgeschichte Chalcedons, m. E. mit Recht, den Untertitel »Rezeption und Widerspruch« gegeben und damit auch die Rezeption, und zwar als Erstes, angezeigt, die man nicht vergessen darf.
Die Problematik beginnt für die Rezensentin mit der, bei aller Vorsicht, immer deutlicher zutage tretenden Sympathie für die mia energeia, auch wenn L. offenbar deren Schwachstelle nicht unbekannt ist, denn er zitiert (allerdings nur) an einer Stelle (608, Anm. 400) Georg Essen (Die Freiheit Jesu, Regensburg 2001, 59) mit der bezeichnenden Aussage: Indem »Maximos diese These [scl. dass Wille und Wirkkraft als Idiome der Hypostase auszusagen sind] als ›absurd‹ zurückweist, legt er den Finger in eine Wunde des neuchalcedonischen Hypostasenbegriffs, die zur offenen Flanke für den Monotheletismus werden sollte«. Die Konsequenz: »Die Einheit in Christus soll also dadurch garantiert werden, dass der menschliche Wille zu einer größtmöglichen Passivität degradiert wird.« (Ebd.) Damit ist das »in allem uns gleich außer Sünde« gerade nicht ernst genommen, und das hat eine soteriologische Konsequenz. Genauso wie wir nur durch Gott erlöst werden können, nicht durch einen Menschen, ist es fatal, wenn die Annahme der menschlichen Natur in Christus auf halbem Weg stehenbleibt; das antiochenische De-siderat für die Soteriologie, dass gerade durch den menschlichen Gehorsam, den Christus als Mensch geleistet hat, ein Neuanfang in der Geschichte Gott gegenüber gesetzt wird, ist nicht gesehen. Die Sinnhaftigkeit der Entscheidung von Konstantinopel III (680/1) kommt nicht in den Blick, sondern erscheint eher als der Sturheit von Chalcedoniern wie Sophronius und Maximus Confessor ge­schuldet, die aus Angst, selbst an Boden zu verlieren, das schöne Einigungswerk von Sergius und Heraklius wieder kaputt machen.
Grillmeier wird sehr oft zitiert, nicht aber mit seinem skeptischen Urteil über Konstantinopel II und den Neuchalcedonismus (Jesus d. Chr. 2/2, 484): »Konstantinopel II (553) als ›neuchalcedonisch‹ über das Konzil von 451 zu stellen, mag ökumenisch manchen Nutzen stiften. Einem stilreinen, einheitlichen Ausbau chalcedonischer Christologie wird es nur bedingt förderlich sein.« Oder: »Nur von Chalcedon her bezieht das Konzil von 553 seinen christologischen Gehalt, den seine Anathematismen allein nicht bieten konnten.« (498)
Dem Schlusssatz stimmt die Rezensentin nicht zu, dass für den ökumenischen Dialog der Gegenwart mit dem Neuchalcedonismus und seiner Hervorhebung der Hypostase des Gott-Logos als handelndem Subjekt eine Brücke zwischen Chalcedoniern und Antichalcedoniern besteht, auf der aufgebaut werden kann. Chris-tologische Erklärungen, die in ähnlicher Weise vorgegangen sind (Orthodox – Orientalisch-Orthodox 1989, 1990), stießen mit Recht auf Bedenken, die bis heute nicht überwunden sind. Es scheint mir problematisch, einseitig eine partielle Theologie (die des Neuchalcedonismus) festschreiben zu wollen und die dogmatische Entwicklung (hin zu Konstantinopel III) auszublenden. (Dazu vgl. A. de Halleux, Actualité du néochalcédonisme. A propos d’un accord récent, RTL 21 [1990], 32–54, hier: 49 und 53 [= ders., Patrologie et Oecuménisme, Leuven 1990, 481–503, hier: 498 und 501–502].) Das geht u. a. auch zu Lasten einer Tradition und Kirche, die meist außer Acht gelassen wurde, die der Antiochener und ihrer Nachkommen im persischen Reich.
Band 2/3 (2002) von »Jesus der Christus« ist im Unterschied zu den sonstigen Bänden dieses Werks, die sehr stark verwendet wurden, für die Tritheitenkontroverse (415) sowie Ephraem von Antiochien und Anastasius von Antiochien, Johannes von Skythopolis oder insbesondere für Theodor von Raithu (536, 540) nicht mehr im Blick.
Grillmeier wurde 1994 Kardinal, aber nicht Kurienkardinal (367); ehrenvoll, aber unzutreffend sind manche Aussagen von Grillmeier (151, Anm. 662, ebenso 416 f., Anm. 1973) mir zugeschrieben, umgekehrt werden Zitate von mir (423, Anm. 2001; 424, Anm. 2005; 425 mit Anm. 2007, etc.) Grillmeier in den Mund gelegt. Einige Fragen: Warum soll man Severus von Antiochien, der aus Pisidien stammte, als »Syrer« (243.246.327 u. ö.) apostrophieren? Er hat griechisch geschrieben, wohl kein Syrisch gekonnt. Hormisdas (532, Anm. 10), sonst: Hormisda – warum nicht überall Hormisdas (der gebräuchliche Name)? Meist steht Vassiliev statt Vasiliev (richtig: 288). Theodosius (nicht: Timotheus) hat Jacob Baradaeus geweiht (360). Wo nimmt Chalcedon den Tomus ad Armenios an (318)?
Die dogmengeschichtliche Entwicklung einer langen Zeitperiode wird von L. detailliert präsentiert und erneut durchdacht, den Wertungen für das Einigungswerk Kaiser Heraklius’ und des Patriarchen Sergius würde ich nicht in dieser Weise folgen.