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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1074–1075

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Neef, Heinz-Dieter

Titel/Untertitel:

Die Prüfung Abrahams. Eine exegetisch-theologische Studie zu Gen 22,1–19. 2., durchges. u. aktualisierte Aufl.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XI, 160 S. Kart. EUR 19,00. ISBN 978-3-16-153099-9.

Rezensent:

Thomas Naumann

Die Ausstellung »Gehorsam«, die das jüdische Museum Berlin 2015 der Episode von Abrahams Opfer in jüdischer, christlicher und islamischer Tradition widmete, zeigt das ungebrochene öffentliche Interesse an dieser rätselhaften und verstörenden Episode, welche in den drei Traditionen von Judentum, Christentum und Islam vielfach rezipiert und auch im liturgischen Jahreskreis fest verankert wird. In den in Berlin zu sehenden Video-Installationen von Peter Greenaway und Saskia Boddeke wurden vor allem die problematischen Aspekte eines religiös fehlgeleiteten und bereitwillig über Leichen gehenden Gehorsams eindrucksvoll in Szene gesetzt. Das berühmte Gemälde von Michelangelo da Caravaggio, das einen unbeirrbar zum Töten entschlossenen Abraham zeigt, dient dabei offenbar als eine »Ikone«, die gegenwärtige Wahrnehmung und Problematisierung dieser alten Erzählung bündelt. Im Hinblick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 22 sind in den letzten 15 Jahren allein fünf gewichtige Sammelbände erschienen (hrsg. von E. Noort; E. Tigchelaar 2002; von J. A. Steiger; U. Heinen 2006; von B. Greiner u. a. 2007; von H. Hoping u. a. 2009; von M. Kampmeyer u. a. 2015). Zur theologischen Auseinandersetzung mit dem Thema Gehorsam vgl. jetzt M. Wirth, Distanz des Gehorsams, Tübingen 2016.
Um das weite Feld der Rezeptionsgeschichte geht es dem hier vorzustellenden Büchlein jedoch nicht. Der Tübinger Alttestamentler und Hebräisch-Dozent Heinz-Dieter Neef möchte allein in die biblisch-exegetischen Horizonte von Gen 22 einführen: Denn auch hier ist das Feld angesichts der schieren Menge von Arbeiten und Interpretationsansätzen kaum mehr zu überblicken. Die kleine und leicht lesbare Studie stellt die »kräftig überarbeitete und aktualisierte Fassung« einer bereits 1998 im Calwer Verlag publizierten Arbeit dar, die durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis ergänzt ist.
N. entfaltet sein Thema in drei großen Kapiteln: Ein relativ umfangreicher Abriss der neueren Forschungen seit Reventlow (1968) bis in die Gegenwart schlägt einige Schneisen in die Vielfalt der Fragestellungen und interpretatorischen Modelle und An-sätze, wobei auch eher Entlegeneres gewürdigt wird. Dieses Pano­rama zeigt auf seine Weise die Mehrdimensionalität des in Gen 22 erzählten Geschehens. In einem Fazit auf Seite 51 formuliert N. einige Übereinstimmungen gegenwärtiger Forschung: So sei die überlieferungsgeschichtliche Suche nach nicht- oder frühisraeli-tischen Vorstufen weitgehend ohne brauchbares Er­gebnis aufge geben worden. »Das Interesse verlagerte sich hingegen auf das Herausarbeiten des Stils, der Philologie, der Syntax und der Komposition der Erzählung.« Darüber hinaus werde Gen 22 stärker in den literarischen Kontext von Gen 12–25, aber auch des gesamten Pentateuch (Georg Steins) eingezeichnet. Breit akzeptiert ist auch, in der zweiten Engelrede in V. 15–18 einen nachträglichen Zusatz und im Namen »Morija« einen versteckten Hinweis auf Jerusalem zu sehen.
Der zweite Hauptteil bietet eine Art Musterexegese. Dieser be­ginnt mit einer begründeten Übersetzung und bietet zudem eine umfangreiche sprachlich-stilistische Beschreibung, eine Einzelauslegung, Überlegungen zur Entstehungsgeschichte des Textes sowie Hinweise auf sprachliche und inhaltliche Bezüge. Das wirkt für den, der eine konkrete These zu Gen 22 sucht, etwas langatmig, ist aber für das exegetische Proseminar kostbar, weil N. vorführt, dass sorgfältige Beobachtung und Beschreibung von Texten von ihrer Bewertung im Interesse einer konkreten Interpretation zu trennen sind. Aber auch die Letztere bleibt N. nicht schuldig: Er sieht V. 22,1–14.19 als literarisch einheitlichen Text. Die früher übliche Zuweisung an den »Elohisten« ist auch für N. inzwischen obsolet. Stattdessen biete sich die »jehovistische« Redaktion an, die mit P. Weimar als Bearbeitung im früh-deuteronomischen Geist des ausgehenden 7. Jh.s v. Chr. anzusehen sei, da Bezüge zur priesterlichen Abrahamgeschichte fehlen, das Thema »Prüfung« an deuteronomisches Denken (Dtn 13) gemahnt und die Engeloffenbarung diejenigen von Ex 23,20–22; 32,34; 33,2 voraussetze. Die Erzählung bearbeite paradigmatisch die assyrische Bedrohung und wolle zeigen, dass die tödliche Gefährdung, der Israel sich in seiner Geschichte ausgesetzt sieht, nicht nur etwas von außen Auferlegtes ist, sondern wesentlich vom Gott Israels selbst ausgeht, und dass Israel solche Krisen nur im bedingungslosen Festhalten an seinem Gott bestehen kann (123).
N. bleibt mit Recht kritisch gegenüber der verbreiteten kultätiologischen These, wonach Gen 22 von der Abschaffung eines (kanaanäischen) Menschenopfers in Israel erzähle (111). Auch der israeli-tische Brauch der Auslösung der menschlichen Erstgeburt durch ein tierisches Opfer kommt kulturgeschichtlich nicht von einem Menschenopfer her, das später sublimiert wurde, sondern war von Anfang an als Auslösung gedacht. Stattdessen stellt N. den titelgebenden Gedanken der »Prüfung« Abrahams ins Zentrum, wodurch Gen 22 den Charakter einer theologischen Lehrerzählung bekomme. Das verwendete Verb hebr. nsh (Pi’el) drücke bereits das besondere Ge­meinschaftsverhältnis zwischen Gott und Abraham aus. Denn Gott prüft nicht irgendeinen Menschen, sondern nur den einen, den er genau kennt und von dem er weiß, was er ihm zumuten kann. In Abrahams »Gehorsam« ist keine Unterwerfung unter die Forderungen eines blutrünstigen Himmels zu sehen, sondern ein zaghaftes oder festes Zutrauen, dass Gott nicht wahrmachen wird, was er anfangs fordert. Abraham hat die Probe bestanden, weil er der Führung Gottes vertraut hat. Darin besteht seine »Gottesfurcht« (V. 13). Die Dialoge Abrahams mit den Knechten oder mit seinem Sohn stellen dabei keine Notlügen dar, sondern sind als Hoffnungszeichen zu verstehen, dass Gott dem Geschehen eine andere Wendung gibt. Gegen eine allzu glatte Sicht, die Abraham voller Vertrauen, dass Gott doch nicht wollen kann, was er fordert, nach Morija ziehen lässt, weist N. darauf hin, dass Abraham immerhin das Messer gegen seinen Sohn erhoben hat. Gleichwohl hält Abraham an Gott im Dunkel furchtbarster Anfechtungen fest. Aber gerade darin sieht N. das Vertrauen Abrahams, das die Erzählung darstellen will. Denn diese sei so konzipiert, dass deutlich wird: Gott will dieses Opfer nicht. Der Befehl »den eigenen Sohn zu opfern« wird schon in der Erzählung selbst von Gott widerrufen. Gerade deshalb werde in Gen 22 ein einmaliges Geschehen erzählt und keines, das immer wieder vorkom men kann oder als ethisch-moralisches Vorbild genutzt werden könnte. Dieser Einmaligkeit entspricht auch die Besonderheit der Gottesbeziehung Abrahams.
Was in diesem Buch vorgetragen wird, ist nicht grundstürzend neu. Aber es ist sorgfältig und gediegen erarbeitet, bedachtsam und nachvollziehbar im Urteil und eignet sich daher auch sehr gut für Studierende zur Einführung in die exegetischen Problemlagen dieser biblischen Episode.