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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1069–1070

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Matusova, Ekaterina

Titel/Untertitel:

The Meaning of the Letter of Aristeas. In light of biblical interpretation and grammatical tradition, and with reference to its historical context.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 172 S. = Forschungen zu Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 260. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-525-54043-5.

Rezensent:

Felix Albrecht

Die zu besprechende Arbeit stammt aus der Feder der russischen Altphilologin Ekaterina Matusova, die als ehemalige Humboldt- und derzeitige Heisenbergstipendiatin an der Universität Tübingen forscht. Die Arbeit ist dem Aristeasbrief (Epistula pseudo-Aris-teae, CAVT 273, kurz: Arist.) gewidmet, der als pseudepigraphes Schreiben aus dem 2. Jh. v. Chr. die Entstehung der LXX beschreibt. In ihrer Studie verfolgt M. einen dreifachen Ansatz (theologisch, philologisch und historisch), der sich im dreigliedrigen Aufbau des Buches niederschlägt: (1.) »The biblical paradigm, or the Letter of Aristeas as Rewritten Scripture«, (2.) »Account of the translation, or the grammatical paradigm«, (3.) »The interactive meaning of the paradigms, or historical implications of the narrative«. Scheint dieser Aufriss prima facie konzinn zu sein, so zeigen sich doch bei näherem Zusehen gewisse Asymmetrien: Der generellen Einleitung zu Beginn entspricht keine Zusammenfassung (allerdings bietet § 3.7 eine Zusammenfassung, die mehr als den Inhalt des dritten Kapitels betrifft). Kapitel eins bietet zwar keine Einleitung, dafür aber zwei Zusammenfassungen (§ 1.4; 1.5), Kapitel zwei hat eine Einleitung (§ 2.1), doch keine Zusammenfassung (indes fungiert § 2.9 als eine Art Zusammenfassung), Kapitel drei hat keine Einleitung, aber eine Zusammenfassung (§ 3.7).
In der kurzgefassten Einleitung (7–11) skizziert M. den Gang der Studie, wobei einige Grundeinsichten zur Sprache kommen: M. beschreibt, dass sie zunächst (chapter 1) von jüdischen Adressaten des Arist. ausgehe, dann aber (chapter 2) ihre Auffassung modifiziere: »Despite my own arguments in Chapter 1, I disagree with the claim that the Jewish audience was the only intended readership« (10). So nimmt M. für Arist. – wie schon Reinhard Feldmeier in seiner Arist.-Studie (Weise hinter »eisernen Mauern«, in: WUNT 72, Tübingen 1994, 20–36; von M. unbeachtet) – eine breitere Adres-satenschaft (»a combined audience«, 11) an: »[…] the language in which the story of translation is written implies a very high level of Hellenistic education, which of course the educated Jews possessed, but which overall was typical of high Hellenistic society in general, rather than of the general Jewish audience.« (11) Kapitel drei nehme schließlich eine historische Perspektive ein und frage nach dem historischen Kontext des Arist. (vgl. 11).
Der Rezensent möchte im Folgenden drei Beobachtungen herausgreifen, die M. im Verlauf ihrer Studie aufstellt und die der Betrachtung lohnen: In Kapitel eins (12–43) unterzieht M. die von Harry Orlinsky (The Septuagint as Holy Writ, in: HUCA 46 [1975], 89–114) aufgeworfene These einer Überprüfung, dass sich Arist. an der biblischen Erzählung von der Gesetzgebung am Sinai orientiere (vgl. 12–13): »The allusions to the Bible […] suggest that the translation is depicted as having the status of the Jewish Law, delivered at Mount Sinai.« (36) Am Ende gelangt M. in Übereinstimmung mit Orlinsky zu dem Ergebnis: »Thus, both the combination of themes in the Letter of Aristeas and its message appear to be deeply connect-ed to the book of Deuteronomy.« (40) Interessant ist besonders M.s Untersuchung zum Schriftgebrauch des Arist.: Anhand von Arist. 155 möchte M. aufzeigen, dass Arist. eine Quelle vorlag, die ihrem Charakter nach als »Rewritten Scripture« zu gelten und eine Zitatkombination aus Dtn 7,18 und 10,21 geboten habe (vgl. 22–24): »This combination was performed on the basis of the Hebrew text, and translated into Greek with a certain degree of freedom […]« (23); »The translators of the combined source did consult the LXX […]« (ebd.). Die Möglichkeit, dass Arist. die Verbindung beider Textstellen selbst vorgenommen haben könnte, zieht M. dabei nicht in Betracht.
Kapitel zwei (44–90) analysiert diejenigen Passagen des Arist., die die Übersetzungsweise des hebräischen Alten Testaments ins Griechische erläutern. Mit der Bearbeitung des Septuagintatextes vergleicht M. die Bearbeitung des Homertextes, wie sie insbesondere die Scholien zu Dionysius Thrax beschreiben (54–62). Hier meint M. zu Recht, dass Arist. mit der entsprechenden Homertradition vertraut gewesen sein könnte: »The pattern of the anecdote about the Alexandrian recension of Homer could have been known to Aristeas«; »the existence of such a legendary story in Aristeas’ time is highly plausible« (141). Auffallend kritisch setzt sich M. mit Maren Niehoffs Studie zur jüdischen Exegese im Verhältnis zur alexandr. Homerexegese auseinander (vgl. 58, Anm. 33; 73 f. mit Anm. 64; 81, Anm. 85). Im Zentrum M.s eigener Untersuchung steht die Auslegung von Arist. 30–32 (48–53). Dabei deutet sie die Aussagen des Arist. dahingehend, dass in ihnen nicht von einer Neuübersetzung, sondern von einer Revision des griechischen Bibeltextes die Rede sei (vgl. 53). Diese These arbeitet M. fürderhin aus und gelangt so zu ihrem Ergebnis: »[…] the manner of working on the Greek translation was correction of the already existing text and not a new translation.« (88) Der ins 2. Jh. v. Chr. zu datierende Arist. setze somit bereits das Wissen um eine Revision des Bibeltextes voraus (vgl. 90).
Im letzten Kapitel (91–143) greift M. eine von James Scott (Dionysus and the Letter of Aristeas, in: SCSt 55, Leiden u. a. 2008, 329–42) aufgestellte These auf, dass Arist. die LXX als ἱερὸς λόγος auffasse. Vielleicht wäre ein deutlicherer Hinweis auf Scott angebracht gewesen (der Hinweis S. 95, Anm. 12 ist leicht zu überlesen). Die dort (95, Anm. 12) an Scott geübte Kritik steht sodann im Missverhältnis dazu, dass M. letzten Endes, wie es scheint, nicht unwesentlich von Scotts These profitiert (vgl. 140 f.).
M. legt einen thematisch durchaus interessanten Band vor, der allerdings im Aufbau eine gewisse Stringenz vermissen lässt. Auch die Argumentationsgänge sind verschachtelt und mitunter schwer verständlich.