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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1039–1041

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Borszik, Oliver

Titel/Untertitel:

Irans Führungsanspruch (1979–2013). Mission, Anhängerschaft und islamistische Konzepte im Diskurs der Politik-Elite.

Verlag:

Berlin: Klaus Schwarz Verlag 2016. 243 S. = Islamkundliche Untersuchungen, 328. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-87997-450-4.

Rezensent:

Christine Schirrmacher

Im Mittelpunkt der Dissertation von Oliver Borszik steht das Ringen des Iran um Vorherrschaft im Nahen Osten ab 1979. B. untersucht dafür den islamistischen Diskurs der politischen Elite und die Umsetzung des zu Revolutionszeiten proklamierten Führungsanspruchs des Landes in der postrevolutionären Phase. Dafür analysiert er chronologisch den sich wandelnden Diskurs der vergangenen 35 Jahre. Damit hat B. ein aktuelles Thema ins Auge gefasst, das in der jüngsten Vergangenheit durch den von Saudi-Arabien und Iran befeuerten erbitterten Stellvertreterkrieg in Syrien nochmals an Bedeutung gewonnen hat.
Die Studie gliedert sich in sieben Kapitel. In der Einleitung (Kapitel 1) erläutert B. zunächst das seit der Iranischen Revolution 1979 tief verankerte Misstrauen und die Kritik der arabischen und westlichen Staaten (einschließlich Israels) an dem nach regionaler Vorherrschaft strebenden Iran. Dagegen ging es aus Sicht des Iran nach 1979 um die Verwaltung des postrevolutionären Erbes, also um die Frage, wie der Khomeini’sche Anspruch auf Export der Revolution in die Nachbarländer und auf Vorherrschaft im Nahen Osten umgesetzt werden konnte.
Kapitel 2 erläutert zusammenfassend zunächst die Entwicklung des schiitisch definierten Anspruchs auf Führung und Fürsprache für die – aus Khomeinis Perspektive – »weltweit Unterdrückten«. Für ihn sollte eine islamische Weltordnung unter iranischer Führung unbedingt die Vorherrschaft der »Mächte des Bösen« (der USA und der Sowjetunion) ablösen, nachdem die Iranische Revolution ein weltweites Erwachen ausgelöst hatte.
Kapitel 3 ist den Revolutionsjahren 1979–1989 gewidmet; schon damals war Saudi-Arabien zum Hauptrivalen im Wettstreit um Dominanz im Nahen Osten geworden. Unter Khomeini wurde die Notwendigkeit zur Fortführung der Revolution bis zur Rückkehr des von Schiiten erwarteten apokalyptischen Heilsbringers, des Imam-Mahdi, aktiv proklamiert; notwendig zur Durchsetzung der Revolution war für ihn auch der Einsatz kämpferischer Mittel. Daher galt als erste Etappe auf dem Weg des proklamierten flächendeckenden Revolutionsexports der Sturz des »ungläubigen« Ba’th-Regimes im Irak, mit dem der Iran 1980 in einen desaströsen Ersten Golfkrieg eintrat. Erst als 1987 bei einer Propagandaaktion schiitischer Aktivisten bei der Pilgerfahrt in Mekka etwa 400 Menschen zu Tode kamen, vollzog der Iran die Abkehr vom Kurs eines ultraaktivistischen Revolutionsexports: Khomeini befürwortete nun ein flexibles und pragmatisches Vorgehen zur Infiltration der Nachbarstaaten mit revolutionärem Gedankengut. Da jedoch die iranisch-politische Elite auch den Export der Revolution in den Libanon, nach Jerusalem und anschließend in die gesamte Region postuliert hatte, waren in der Region Misstrauen und Ablehnung gegenüber dem Iran gewachsen. Daher stieß auch die vom Iran proklamierte Schaffung einer islamischen Einheit und Zivilisation kaum auf Gehör. Diese Einheit sollte durch den Zusammenschluss der muslimischen, »unterdrückten« Nationen hergestellt werden und zur »Befreiung« Jerusalems und der Lösung des Palästina-Konflikts führen.
Kapitel 4 nimmt die Präsidentschaft Ayatollah Rafsandschanis (1989–1997) in den Blick, in die die Machtübernahme durch den herrschenden Rechtsgelehrten Ali Khamenei nach Khomeinis Tod 1989 fällt. Der Anspruch der regionalen Vorherrschaft wurde aufrechterhalten, der des Revolutionsexports jedoch dahingehend modifiziert, dass der Iran nun – ungeachtet seiner internationalen Isolierung und des rapiden wirtschaftlichen Niedergangs – als Mo­dell sozioökonomischer Entwicklung präsentiert wurde. Die bisherige Propagierung der islamischen Einheit wurde nun als islamische Ökumene mit einer Annäherung der Konfessionen und Rechtsschulen des Islam mit dem Ziel der »Kooperation«, der »religiösen Brüderlichkeit« und »Verbundenheit« definiert. Als Gegenstrategie zur Abwehr dieser Ansprüche hoben die arabischen Machthaber der Region nun ihrerseits vermehrt die schiitisch-sunnitischen Gegensätze hervor und bezeichneten Iran und die Schia als Bedrohung. 1993 wurde die aktive Phase des Revolutionsexports für beendet erklärt.
Kapitel 5 beleuchtet die Präsidentschaft des »Reformers« Mo­ham­mad Khatami (1997–2005), unter dessen Regierung der An­spruch des Revolutionsexports nochmals modifiziert wurde. Er­klärtes Ziel war nun die Schaffung einer »religiösen Demokratie«, eines »Dialoges der Kulturen« sowie sozialer Gerechtigkeit als Vorbild für die umliegenden Länder: Der Iran bezeichnete sich nun als Fürsprecher der muslimischen wie nichtmuslimischen Schwellenländer des globalen Südens. Obwohl nun eine »Demokratie« postuliert wurde, blieb das religiöse Herrschaftssystem der Republik unangetastet; ebenso wurde die Propaganda gegen die USA fortgesetzt, die im politischen Diskurs weiterhin als dem Bösen zuneigende Macht und Unterdrückerin des palästinensischen Volkes bezeichnet wurde, die für das Zurückbleiben der islamischen Länder verantwortlich sei.
Kapitel 6 schließlich analysiert die Präsidentschaft Mahmud Ahmadinejads (2005–2013), in dessen Regierungszeit das Ringen Irans um die Fortentwicklung des Nuklearprogramms bis zur Beherrschung eines nuklearen Brennstoffkreislaufs fällt. Davon versprach sich die iranische Elite eine gesteigerte Vorbildfunktion, Schutz vor israelischer Aggression sowie Stabilisierung nach innen. Kernterminus wurde jetzt die Herbeiführung eines »islamischen Erwachens« als Synonym für die Wahrnehmung der regionalen Führungsrolle. Auch jetzt wurde das Verschwörungsnarrativ der Verhinderung von Fortschritt durch westliche Mächte aufrechterhalten, ja, der antiwestliche und antizionistische Diskurs weiter intensiviert.
B.s Studie beruht auf persischen Originalquellen, ist verständlich geschrieben und erläutert das unter mehreren Präsidenten unveränderte Streben des Iran nach Vorherrschaft im Nahen Osten sehr gut. So tritt die Bedeutung des Iran als einer der politisch einflussreichsten Staaten im Nahen Osten deutlich hervor, aber auch die innenpolitische Suche nach geeigneten Strategien zur erfolgreichen Implementierung der angestrebten Dominanz. Letztlich ließ sich diese Dominanz ebenso wenig wie der Revolutionsexport und die Schaffung einer islamischen Einheit unter Führung des Iran verwirklichen. Damit erhellt B. zugleich die Hintergründe des Syrien-Kriegs, in dem es um nichts weniger als um diesen Kampf um Vorherrschaft geht: Während der Iran das syrisch-schiitische Regime um jeden Preis erhalten und Syrien als Transitland in den Libanon zur Hizbollah am Leben erhalten möchte, erkennt eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition die historische Chance auf ein Zurückwerfen des Iran auf sein Staatsgebiet durch Beseitigung des Assad-Regimes. Quo vadis, Naher Osten?