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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1009–1013

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Hrsg. von O. Kaiser mit W. C. Delsman, M. Dietrich, K. Hecker, O. Loretz, W. W. Müller, W. H. Ph. Römer, H. Sternberg-el Hotabi, A. Ünal. Bd. III: Weisheitstexte, Mythen und Epen. Lfg. 1: Weisheitstexte I. Von W. H. Ph. Römer u. W. von Soden. 188 S. Lfg. 2: Weisheitstexte II. Von G. Burkard, I. Kottsieper, I. Shirun-Grumach, H. Sternberg-elHotabi, H. J. Thissen. IV, S. 189-348. Lfg. 3: Mythen und Epen I. Von W. H. Ph. Römer u. D. O. Edzard. IV, S. 349-560. Lfg. 4: Mythen und Epen II. Von K. Hecker, W. G. Lambert, G. G. W. Müller, W. v. Soden, A. Ünal. IV, S. 561-868. Lfg. 5: Mythen und Epen III. Von E. Blumenthal, F. Junge, F. Kammerzell, A. Loprieno, G. Moers, H. Sternberg-elHotabi. IV, S. 689-1088. Lfg. 6: Mythen und Epen. IV. Von M. Dietrich u. O. Loretz. IV, S. 1089-1369. gr.8.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1990/91/93/94/95/97. ISBN 3-579-00072-1; 3-579-00073-X; 3-579-00074-8; 3-579-00075-6; 3-579-00082-9; 3-579-00083-7.

Rezensent:

Rüdiger Lux

Mit dem III. umfangreichsten Band der Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT III) ist ein monumentales Werk zu seinem Abschluß gekommen. Daß dies angesichts ständig neuer Textfunde aus der Welt des Alten Orients und ihrer noch harrenden Erschließung nur ein vorläufiger Abschluß sein kann, hat der Herausgeber bereits 1982 in seinem Geleitwort zur ersten Lieferung von Bd. I zum Ausdruck gebracht: "Die nötigen Ergänzungen mögen dem Werk dann zu geeigneter Zeit folgen" (TUAT I, S. 5). Damit wird die 1926 in 2. Auflage von Hugo Greßmann (u. a.) herausgegebene Sammlung "Altorientalische(r) Texte zum Alten Testament" (AOT), die bis zum Jahr 1970 unverändert nachgedruckt worden ist, endgültig durch ein neues Standardwerk abgelöst. Allein der Umfang der beiden Textsammlungen (AOT, 478 S./TUAT I-III, 2978 S.) läßt erkennen, in welchem Maße die Altorientalistik dieses Jahrhunderts durch neu erschlossenes Textmaterial unsere Kenntnisse zur Umwelt des Alten Testaments erweitert und bereichert hat. Daß es dabei - wie schon in den AOT von H. Greßmann - nur um eine "repräsentative Auswahl" (TUAT III, S. 1319) der inzwischen bekannt gewordenen Texte gehen konnte, versteht sich von selbst. Gerade damit verbindet sich aber für die jeweiligen Herausgeber immer eines der schwierigsten Probleme. Auf manchen bekannten Text wurde zugunsten von weniger bekannten und noch nicht erschlossenen Texten verzichtet, soweit dieser bereits in anderen leicht zugänglichen Sammlungen greifbar ist (TUAT III, S. 5 f.).

In Lieferung 1 hat zunächst Willem H. Ph. Römer die sumerischen ",Weisheitstexte’ und Texte mit Bezug auf den Schulbetrieb" bearbeitet.

Nach einer kurzen Einführung (17-22) folgen Auszüge aus ",Sprichwörter’-Sammlungen" (23-45). Daß neben der prägnanten Gnome auch andere literarische Gattungen in diesen Sammlungen begegnen (vgl. 18f.), wird durch die Aufnahme einiger Fabeln (41-43) und Rätsel (44 f.) in die Reihe der dargebotenen Texte erkennbar. Weiterhin werden "erzählend-belehrende" Texte (46-67), "Schulsatiren" (68-91) und "Schulstreitgespräche" (91-102) aufgenommen. Ein als Exkurs angefügter "sog. ,Hiobtext’" (102-109), über dessen Zuordnung zur Weisheitsliteratur man unterschiedlicher Auffassung sein kann, weil er eigentlich die Klage eines Einzelnen darstellt (vgl. 18.22), beendet die Sammlung der sumerischen Weisheitstexte.

Der besondere Wert dieser hier zugänglich gemachten Texte liegt in der literatursoziologischen Einordnung, die sich aus ihnen ableiten läßt. Sie stehen in enger Verbindung mit der sumerischen Schule (Edubba) und vermitteln dem Leser einen lebendigen Eindruck in den altorientalischen Schulbetrieb. Das Verhältnis von Lehrern und Schülern, die Vermittlung von Erfahrungswissen, der Fähigkeit zum Lesen und Schreiben des Sumerischen, Grundregeln der Grammatik, Kenntnisse der Rhetorik, Mathematik u. a. kommen zur Sprache. Man wird allerdings vorsichtig damit sein müssen, im Analogieschlußverfahren ein vergleichbares Schulwesen für die frühe Königszeit in Israel zu postulieren. Die Ausbildung biblischer Weisheitsliteratur vollzog sich teilweise unter anderen kulturellen Bedingungen und läßt sich nicht monokausal aus einem israelitischen Schulbetrieb ableiten, wann immer und in welcher Gestalt auch immer es diesen gegeben haben mag.

Es folgt die Übersetzung und Bearbeitung von ",Weisheitstexte(n)’ in akkadischer Sprache" durch Wolfram von Soden (110-188).

Auf eine Reihe von Texten, die sich in besonderer Weise mit den Sinnverdunkelungen des menschlichen Daseins durch das Zerbrechen des Zusammenhangs von Tun und Ergehen beschäftigen (Ludlul bel nemeqi, 110 ff.; Ein Mann und sein Gott, 135 ff.; Klage eines Dulders, 140 ff.; Babylonische Theodizee, 143 ff.; Herr und Sklave, 158 ff.), folgen Texte, die einen stärker pädagogischen Charakter haben und eher der Bewältigung des Alltags- und Beamtenlebens dienten (Ratschläge und Warnun-gen für rechtes und falsches Tun und Reden, 163 ff.; allgemeine Warnungen und Mahnungen, 169; ein babylonischer Fürstenspiegel, 170 ff.; die Lehrerzählung über einen armen Mann aus Nippur, 174 ff.; Fabeln über Tiere und Pflanzen, 180 ff.).

Vor allem die um das Problem von Leid und Gerechtigkeit kreisenden Texte lassen die tiefe literarische Verwurzelung der späten israelitischen Weisheitsliteratur, die sich in den Büchern Hiob und Kohelet niedergeschlagen hat, in der des Alten Orients erkennen (vgl. dazu auch H.-P. Müller, Das Hiobproblem. Seine Stellung und Entstehung im Alten Orient und im Alten Testament, EdF 84, Darmstadt 1978).

Lieferung 2 bietet vor allem ",Weisheitstexte’ in ägyptischer Sprache", denen eine knappe, aber informative Einführung in die ägyptische Weisheitsliteratur von Heike Sternberg-el Hotabi (191 ff.) vorangestellt ist. Es folgt eine Auswahl der wichtigen Lebenslehren des Ptahhotep, bearbeitet von Günter Burkard (195 ff.), des Amenemope, bearb. von Irene Shirun-Grumach (222 ff.), des Anchscheschonqi (251 ff.), sowie der auf den Papyri Louvre 2414 (277 ff.) und Insinger (280 ff.) überlieferten Texte, bearbeitet von Heinz J.Thissen.

Damit wird uns eine Auswahl von Weisheitstexten geboten, die vom Ausgang des 3. Jahrtausends (Lehre des Ptahhotep) bis in die Ptolemäerzeit ("Demotisches Weisheitsbuch" [= Papyrus Insinger]) reicht. Angesichts der vollständigen Wiedergabe der gegenwärtig bekannten ägyptischen Weisheitstexte durch Hellmut Brunner (Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, Darmstadt 1988) wird deutlich, welche Schwierigkeiten den Herausgebern die Auswahl bereitet haben dürfte. Der Benutzer der TUAT, der die Brunnersche Ausgabe nicht zur Hand hat, hätte sich sicherlich noch die Aufnahme des einen oder anderen Textes (z. B. die Lehre für König Merikare, oder die "Loyalistische Lehre") gewünscht. Den Herausgebern kann allerdings bescheinigt werden, daß sie mit den von ihnen gewählten Texten einen repräsentativen Einblick in das weisheitliche Denken des Alten Ägyptens bieten.

Die Lieferung schließt mit der sorgfältigen Übersetzung und Bearbeitung der "Geschichte und Sprüche des weisen Achiqar" (320 ff.) durch Ingo Kottsieper, einem Weisheitstext in aramäischer Sprache, dessen älteste, aramäische Fassung (syrische, arabische, armenische, türkische, altslawische und äthiopische Fassungen sind bekannt) auf der Nilinsel Elephantine gefunden wurde.

Die Lieferungen 3-6 enthalten eine Auswahl aus den "Mythen und Epen" des Alten Orients. Dabei macht Willem H. Ph. Römer in seiner Einleitung (351 f.) bereits auf das Problem der Unterscheidung dieser beiden literarischen Gattungen aufmerksam. Es bleibt fraglich, ob es sich bei ihnen überhaupt um eigenständige Literaturformen handelt. Die Frage ließe sich leichter beantworten, wenn wir mehr über ihren möglicherweise spezifischen "Sitz im Leben" wüßten. Als recht vorläufiges und freilich sehr vages Unterscheidungskriterium wird benannt: "Epen handeln vorwiegend von Menschen, Mythen vorwiegend von Göttern" (351). Dem Herausgeber ist dabei allerdings bewußt, daß die Grenzen hier überaus fließend sind und sich die Welt von Göttern und Menschen in diesen Texten gegenseitig durchdringen.

Zunächst werden wiederum die sumerischen Texte in der Übersetzung und Bearbeitung von W. H. Ph. Römer dargeboten. Zwei urzeitliche Texte (Vor der Schöpfung I + II) eröffnen die Mythenfragmente (353 ff.). Ihnen folgen natur- und kulturätiologische Texte (Prolog des Streitgespräches zwischen Holz und Rohr, 357 ff.; Wie das Getreide nach Sumer kam, 360 ff.). Eine Reihe von mythischen Texten, in deren Mittelpunkt der Gott Enki steht (Enki, Ninsikila und Ninchursaga, 363 ff.; Enki und Ninmach, 386 ff.; Auszüge aus "Enki und die Weltordnung", 402 ff.), schließen sich an. Es folgt die Erzählung über "Enlil und Ninlil" (421 ff.), die stark theogone Elemente aufweist. Die umfangreichste sumerische Dichtung "Lugal ud me-lám-bi nir-gál" ist mit zwei Ausschnitten aus den Tafeln III und VIII vertreten (434 ff.). Von besonderem Interesse für den Leser der biblischen Urgeschichte wird ein Vergleich mit der sumerischen "Flutgeschichte" (448 ff.) sein. Die sorgfältige Auswahl wird abgeschlossen durch den umfangreichen Mythos von "Inannas Gang zur Unterwelt" (458 ff.) und die Erzählung von der "Heirat des Mardu" (495 ff.). Den Abschluß der 3. Lieferung mit dem sumerischen Textmaterial bilden drei stärker episch geprägte Texte (Lugalbanda II, 507 ff.; Gilgamesch und Huwawa, bearbeitet von D. O. Edzard, 540 ff., und Gilgamesch und Akka, 549 ff.).

Mit diesem Einblick in die sumerische Mythologie und Epik erhält der Leser eine Fülle von Eindrücken über altorientalische Weltdeutungsmodelle. Die Anfänge der literarisch fixierten "Sinngeschichte" (vgl. zur heuristischen Funktion des Begriffes J. Assmann, Ägypten. Eine Sinngeschichte, Darmstadt 1996, 15 ff.) Mesopotamiens werden greifbar.

Die 4. Lieferung enthält zunächst eine umfangreiche Auswahl akkadischer und hethitischer Mythen und Epen.

Die Reihe wird eröffnet durch den berühmtesten 1094 Zeilen umfassenden akkadischen Weltschöpfungsmythos "Enuma Elisch" (565 ff.), den W. G. Lambert mit einer ausgezeichneten Einführung versehen hat, welcher die kritische Bearbeitung und Übersetzung folgt. K. Hecker präsentiert im Anschluß daran eine Reihe kleinerer Schöpfungserzählungen (Erzählung vom Wurm, 603; Kosmologie des kalu-Priesters, 604 f.; zwei zweisprachige Schöpfungsmythen, 606 f., und den Charab-Mythos, 610). Für die Auswahl dieser kurzen und teilweise nicht leicht zugänglichen Texte wird der Benutzer der TUAT besonders dankbar sein. W. v. Soden verdanken wir eine Neuübersetzung und kritische Bearbeitung des altbabylonischen "Atramchasis-Mythos", der aufgrund seiner vielfältigen Bezüge zur Urgeschichte der Genesis von hohem Interesse ist (612 ff.). So wie Enuma Elisch und der Atramchasis-Mythos als die "Klassiker" unter den akkadischen Mythen in solch einer Textsammlung natürlich nicht fehlen durften, so auch das wohl bekannteste und verbreitetste Epos des Zweistromlandes nicht, das "Gilgamesch-Epos" (646 ff.). Die Zusammenstellung, Übersetzung und kritische Ausgabe sowohl der altbabylonischen Fragmente (Pennsylvania- und Yale-Tafel, 648 ff., der Tafel von Tell Harmel, 659 f., einer Tafel aus Nippur, 660 f., des Bauer-Fragments, 662 f., einer weiteren Tafel aus Tell Harmel [TIM 9,46], 663 f., der Meissner-Millard-Tafel, 664 ff.) als auch jüngerer Fassungen (der Bogazköy-Fragmente, 668 ff., und des Megiddo-Fragments, 670 ff.) ermöglicht einen lebendigen Eindruck von der Verbreitung und literarischen Arbeit am Gilgameschepos zwischen Zweistromland und Palästina. Die sich daran anschließende Darbietung des sogenannten 12-Tafel-Epos (671 ff.) stellt einen zuletzt von R. C. Thompson zusammengefügten textus compositus dar, der sich vor allem auf die Handschriften aus der Bibliothek Assurbanipals in Ninive stützt. Über das Gilgamesch-Epos hinaus hat K. Hecker noch das weniger bekannte "Anzu-Epos" bearbeitet (745 ff.). Nach dem von W. H. Ph. Römer eingeführten Unterscheidungskriterium zwischen mythischen und epischen Texten wäre dieser wohl eher den mythischen zuzuordnen, da er eigentlich ein Preisgedicht auf den Gott Ninurta, den Erstgeborenen Enlils, des "Herrn der Länder" und Mamis, der "Muttergöttin", darstellt. G. G. W. Müller hat schließlich noch die Übersetzung und Bearbeitung von drei akkadischen Unterweltsmythen beigesteuert (Ischtars Höllenfahrt, 760 ff., Nergal und Ereschkigal, 766 ff., Ischum und Erra, 781 ff.).

Die Hinweise der Bearbeiter zu den sumerischen und akkadischen Hymnen und Epen lassen immer wieder erkennen, daß auch diese ganz offensichtlich im mesopotamischen Schulbetrieb eine Rolle gespielt haben (509.569.760.781). Wir wissen allerdings noch viel zu wenig darüber, welche Funktion diese teilweise umfangreichen Texte im Schulbetrieb von Ur, Uruk, Sippar, Isin oder Mari erfüllten. Dienten sie in einer ersten Ausbildungsphase der angehenden Schreiber und Beamten eher einem technischen Zweck als Vorlagen bei Abschreibübungen? Waren die Schulen dann in einer weiterbildenden Phase auch der Ort einer umfangreichen Literaturpflege, an dem die Texte als Bildungsgut vermittelt wurden? Waren die "Tafelhäuser" gleichzeitig Schreiberwerkstätten, in denen die Texte kopiert und tradiert wurden?

Ahmet Ünal hat die Bearbeitung hethitisch-anatolischer Mythen, Legenden, Epen und Märchen aus dem Staatsarchiv der ehemaligen Hethiterhauptstadt Hattuscha (gelegen beim heutigen Dorf Bogazköy) übernommen. Als "hethitisch-anatolisch" bezeichnet Ünal diese Texte aus Hattuscha deshalb, weil die Hethiter "im Bereich der Magie, Volksmedizin, Volksreligion und Literatur als eifrige Sammler der folkloristischen Überlieferung in Altanatolien" gelten, und die "Beteiligung des hethitischen Gedankengutes ... an dieser Textgattung und seine Einwirkung auf sie auffallend gering ist" (803). Um so erfreulicher ist es, daß wir Einblicke in diesen literarischen Schmelztiegel durch die Auswahl bekannter, aber dem Nichtfachmann auch schwerer zugänglicher Texte erhalten (CTH [= E. Laroche, Catalogue des textes hittites, Paris 1971] 3.321.322.323.324. 329.334.336.338.344.345.348.360.361.362.363.364.370.457). Abgeschlossen wird die 4. Lieferung durch zwei hurro-hethitische Bilinguen (Mythos vom Besuch des Wettergottes bei der Sonnengöttin der Erde, 860 f., Anekdoten und Fabeln 861 ff.).

Mit Lieferung 5 wird uns dann wieder ein Einblick in die ägyptische Mythen- und Epentradition vermittelt. Bereits in seiner Einleitung weist Gerald Moers darauf hin, daß es für den ägyptischen Bereich noch schwerer ist als für den mesopotamischen, von einer Gattung "Epos" zu sprechen. Deshalb "sollte der Begriff ,Epos’ für Werke der ägyptischen Literatur keine Verwendung finden" (872). Auch der Begriff des Mythos bereitet im Blick auf die ägyptische Literatur Schwierigkeiten, worauf Heike Sternberg-el Hotabi hingewiesen hat. Ja, man könne für Ägypten geradezu ein "Mythendefizit" feststellen (878 f.). Daher schließt sie sich der von Jan Assmann (Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart 1984, 135 ff.) geprägten Begrifflichkeit des "mythischen Ikons" an, in dem Konstellationen und Handlungsmuster der sichtbaren Wirklichkeit Ereignisse in der Götterwelt repräsentieren, ohne dabei in ein narratives Konzept eingebunden zu sein (879). Ägypten kennt also sehr wohl schon seit früher Zeit eine mythische Weltsicht, die allerdings erst relativ spät in narrativ gestalteten Mythen ihren Ausdruck fand. Auf diesem theoretischen Hintergrund lassen sich dann kosmogone, anthropogone und theogone, sowie eschatologische Mythologeme aufzeigen (880 ff.).

Die Reihe der ägyptischen Texte wird eröffnet durch die bekannte und in vielfachen Ausgaben und Übersetzungen zugängliche "Erzählung des Sinuhe" (bearb. von E. Blumenthal, 884 ff.). Die fiktive Autobiographie gehört zu den Höhepunkten der altägyptischen Literatur überhaupt.

Es folgen die ebenfalls sehr bekannte "Reiseerzählung des Wenamun" (912ff.) und der unter Nichtfachleuten sehr viel weniger bekannte "Brief des Wermai" (922 ff.), beide bearbeitet von G. Moers. "Die Erzählung vom Streit der Götter Horus und Seth um die Herrschaft" (bearb. von F. Junge, 930 ff.), die ganz und gar in der Welt der Götter spielt, kommt unserer traditionellen Vorstellung vom Mythos am nächsten. Weitere Erzählungen unterschiedlichen Charakters bearbeitet von F. Kammerzell (Vom Streit zwischen Leib und Kopf, 951 ff.; Bentresch-Stele, 955 f.; Von der Affäre um König Nafirku’ri’a und seinen General, 965 ff.; Tötung des Falkendämonen, 970 ff.; Papyrus Vandier, 973 ff.) schließen sich an. Den Abschluß der Sammlung bieten dann Texte, die wohl eindeutiger den Mythen zugeordnet werden können. H. Sternberg el-Hotabi hat den "Mythos von der Geburt des Gottkönigs" (991 ff.), den "Sukzessionsmythos des ,Naos von el-Arisch’" (1006 ff.), den "Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts (1018 ff.) und die "Weltschöpfung in der Esna-Tradition" (1078 ff.) bearbeitet, während wir A. Loprieno die Präsentation des demotischen "Mythos vom Sonnenauge" (1038 ff.) verdanken.

Der Leser ist für diese umsichtige Zusammenstellung der Texte und die ebenso knappen wie informativen Einführungen dankbar, die uns wiederum ein literarisches Spektrum der ägyptischen Literatur vom 2. Jahrtausend v. Chr. (Erzählung des Sinuhe) bis zum Beginn des 2. Jh.s n. Chr. (Weltschöpfung in der Esna-Tradition) eröffnen.

Die letzte von M. Dietrich und O. Loretz herausgegebene Lieferung führt uns mit den ugaritischen Mythen und Epen in den Israel kulturell und geographisch am nähesten liegenden syrischen Raum. Der Benutzer der TUAT ist besonders dankbar dafür, daß er damit eine dem neuesten Stand der Ugaritforschung entsprechende kritische Neubearbeitung und Übersetzung dieser für die altisraelitische Religionsgeschichte so wichtigen Texte in Händen hält. (Baal-Zyklus KTU 1.1-1.6, S. 1091 ff.; Baal, der Wasserspender KTU 1.12, S. 1199 ff.; Keret-Epos KTU 1.14-1.16, S. 1213 ff.; Aqhat-Epos KTU 1.17-1.19, S. 1254 ff.; Rephaim-Texte KTU 1.20-1.22, S. 1306 ff.)

Das Werk schließt mit Ergänzungen zum Abkürzungsverzeichnis (1317 ff.), einem Nachwort des Herausgebers O. Kaiser (1319) und einem ausführlichen Gesamtregister, gegliedert nach Göttern, Geistern und Dämonen, Personen, Völkern und Stämmen, Bergen, Flüssen, Orten und Bauwerken (1321 ff.). Dem Herausgeber, seinen Mitherausgebern und den Bearbeitern der Texte kann man wie dem Verlag nur dankbar sein für dieses inzwischen ja längst zum Klassiker gewordene Gesamtwerk, das nunmehr seinen vorläufigen Abschluß gefunden hat. Als Quellensammlung sind die TUAT zum unentbehrlichen Handwerkszeug all derer geworden, die sich mit der Geschichte, Religion, Literatur und Kultur des Alten Orients befassen. Die jedem Text vorangestellten kurzen und präzisen Einleitungen informieren zuverlässig über Fundumstände, Fundorte, Charakter, Zeit, Textausgaben, Übersetzungen und wichtige Publikationen zu den jeweiligen Texten. Der den Übersetzungen beigegebene kritische Anmerkungsapparat informiert über Sachgehalte, Übersetzungsprobleme, Unsicherheiten, Varianten und wichtige Spezialliteratur zur weiteren Erschließung der Texte. Die TUAT werden wohl für Jahrzehnte die Sammlung altorientalischer Texte zum Alten Testament sein und bleiben.

Daß der Herausgeber die Inangriffnahme dieses Werkes nicht gescheut hat und es schließlich zu einem vorläufigen Abschluß bringen konnte, dafür gebührt ihm wie auch dem Verlag der Dank aller künftigen Nutzer dieses hervorragenden Werkes. Beide, Herausgeber und Verlag, haben damit der Wissenschaft einen unschätzbaren Dienst geleistet. Man wünscht es den TUAT, daß sie nicht nur in den Fachbibliotheken und den Bücherregalen der Fachwissenschaftler ihren Platz finden, sondern auch von Studierenden der Theologie, der Alten Geschichte und Orientalistik, sowie von allen an der Bibel interessierten und mit der Bibel arbeitenden Theologen und Nichttheologen fleißig eingesehen werden. Dazu sollte der Verlag erwägen, ob sich nicht eine preisgünstige Taschenbuchausgabe der Bände erstellen ließe, die auch für Benutzer mit einem schmaleren Salär erschwinglich bleibt.