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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

1007–1008

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Zulehner, Paul M.

Titel/Untertitel:

»Auslaufmodell«. Wohin steuert Franziskus die Kirche?

Verlag:

Ostfildern: Patmos Verlag (Schwabenverlag) 2015. 176 S. m. Abb. Geb. EUR 16,99. ISBN 978-3-8436-0668-4.

Rezensent:

Thies Gundlach

Das Buch von Paul. M. Zulehner beginnt mit einem Wortspiel: nicht Auslaufmodell als Beginn eines Endes, sondern als Beginn eines Aufbruches, nämlich das Auslaufen eines Schiffes ins weite Meer. Leinen los, Trockendock verlassen, Komfortzone vermeiden – das ist der Grundton des ganzen Buches. Dieses nicht aufgrund zurückgehender Zahlen, sondern vom Heiligen Geist ermunterte Auslaufmodell Kirche wird von dem Wiener Pastoraltheologen durchdekliniert durch alle aktuellen Themen der römisch-katholischen Kirche. Dabei wird schon auf den allerersten Seiten deutlich, dass Papst Franziskus der Steuermann ist, der dieses auslaufende Kirchenschiff in die vernachlässigten, aber doch so ersehnten Gewässer des 2. Vatikanischen Konzils steuert – und zwar in seiner konsequentesten Form: Während Papst Benedikt XVI. seine schon 1975 vorgetragene Distanzierung von den Beschlüssen des Konzils vorgehalten bekommt, wird Papst Franziskus zum ideellen Mitunterzeichner des von Don Helder Camara 1965 initiierten sogenannten Katakombenpaktes, obwohl er gar nicht dabei war.
Z. referiert die drei wesentlichen Aspekte dieses Paktes – persönliche Bescheidenheit, konsequente Option für die Armen und Überwindung des Klerikalismus – und entfaltet das bisherige Pontifikat Franziskus’ als Umsetzung dieser drei Dimensionen. Ausführlich zusammengestellt werden die Zeugnisse des überraschenden Lebenswandels des Papstes – von seinem Wohnen im Gästehaus des Vatikans bis zu den kleinen Autos bei Auslandsreisen. Sodann werden seine Erklärungen ausführlich referiert, die die Nähe zu den Armen und Verwundeten einfordern. Und zuletzt gibt es einen Abschnitt zu den kirchenreformerischen Anstrengungen des Papstes, die alle darauf zielen, die Laien und die re-gionalen Bischofssynoden zu stärken und einen falschen Klerikalismus zu überwinden.
Alle drei Themenbereiche werden illustriert mit vielen, zum Teil berühmt gewordenen Karikaturen. Man merkt Z. an, dass er mit einer großen Faszination diesen Papst in seinem Pontifikat begleitet und bewundert. Dem Buch angefügt sind sogenannte Vertiefungen, die einige Außenperspektiven auf das Pontifikat einblenden, so z. B. von dem ehemaligen Bundeskanzler Ös­terreichs, Wolfgang Schüssel. Auch gibt es zusätzliche Erläuterungen zu der sehr ausführlich dargestellten innerkatholischen De­batte um die Familiensynode, indem die orthodoxe Unterscheidung von akribia und oikonomia aufgerufen wird.
Dieses Buch ist allerdings für einen reformatorisch geprägten Christen nicht ganz leicht zu würdigen – und das aus drei Gründen: Einmal bleibt es doch irritierend, wie ausschließlich alle Er­wartungen und Hoffnungen auf diesen einen Mann an der Spitze der Kirche konzentriert sind. Wenn man aber die Dezentralisierungsabsichten des Papstes so bewundert, wie Z. das tut, stößt sich dies mit der ausschließlichen Hoffnungsperspektive auf ihn. Die Kurie, die Kardinäle und Mitarbeiter des Vatikans kommen fast durchweg als Hindernisse in den Blick, die das Auslaufen des Kirchenschiffes erschweren. Im Kern wiederholt sich hier eine zentralistische Figur, die den Papst nunmehr zum Steuermann des Guten macht; reformatorisch ist beides nicht. Zum anderen macht es mich – der viele Äußerungen und Bücher von Z. kennt und zu schätzen weiß – doch etwas misstrauisch, dass nun Papst Franziskus im Grunde alles das zum Auslaufen bringt, was Z. selbst immer schon gefordert, erhofft und erbeten hat. Man wird zugeben können, dass tatsächlich die liberale Haltung des Theologieprofessors aus Österreich deutlich mehr papale Übereinstimmung erfährt als zu früheren Zeiten. Aber gerade dann ist (Selbst-)Kritik umso mehr gefragt; müsste man dann nicht jedenfalls den Verdacht prüfen, dass es vielleicht doch noch andere Gesichtspunkte gibt, die Papst Franziskus auch von den eigenen Überzeugungen unterscheidbar macht? Zuletzt: Trotz mehrmaligen Lesens habe ich kaum eine kritische Bemerkung zum Pontifikat gefunden. Muss man aber nicht doch auch kritisch fragen, was denn nun Lebensstil und was kraftvolle Inszenierung und gute Öffentlichkeitsarbeit ist? Und muss man nicht auch fragen, ob manche kritische Aussagen des Papstes über Wirtschaft und Neoliberalismus, über Europa und den Zu­stand seiner eigenen Behörde im Vatikan schlicht überzogen und unfair waren? Und bleibt nicht doch auch die Frage offen, wohin denn Papst Franziskus die Kirche tatsächlich steuert – gerade in der Frage der Familienpastoral?
Z. hat zweifellos ein gut recherchiertes Gegenwartspanorama dieses Papstes gezeichnet, welches die wichtigsten Wendungen, Positionierungen und Haltungen Franziskus’ beschreibt. Wer al­lerdings die Tagespresse aufmerksam verfolgt, wird nicht wirklich etwas Neues finden, denn alle Themen sind mehr oder weniger prominent durch die Weltpresse gegangen. Aber so kompakt eingeordnet in die jüngsten Entwicklungen seit dem 2. Vatikanum findet man diese Aktualität wohl nur selten.