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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

1005–1007

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Plested, Marcus

Titel/Untertitel:

Orthodox Readings of Aquinas.

Verlag:

Oxford: Ox­ford University Press 2012 (Reprint 2014). 276 S. = Changing Paradigms in Historical and Systematic Theology. Geb. US$ 99,00. ISBN 978-0-19-965065-1.

Rezensent:

Sergii Bortnyk

Das zu besprechende Buch von Marcus Plested untersucht die Reflexion und Rezeption der Werke des »Doctors Angelicus« der Römisch-Katholischen Kirche, Thomas’ von Aquin, durch die or­thodoxe Theologie vom 14. Jh. bis heute. Wie P. selbst bemerkt, entstand die Idee für das Buch im Jahr 2008. Der Titel ähnelt dem im selben Jahr erschienen Buch »Orthodox Readings of Augustine«.
Zu Beginn verweist P. auf das bekannte Stereotyp, dass das östliche und westliche Christentum zwei selbstgenügsame Systeme darstellten. Sein Ziel ist es, diese dichotomische Gegenüberstellung zu hinterfragen. So untersucht er im Teil I den »griechischen Os­ten« und den »lateinischen Westen« aus einer multiple perspective. Dazu zieht er zwei grundlegende Theologen der beiden Traditionen heran – nämlich Thomas von Aquin und Gregorios Palamas – und versucht, überkommene Schwarzweiß-Bilder in Zweifel zu ziehen. Auf der einen Seite schreibt er über die Verbindung des Aquinaten zur Tradition der griechischen Kirchenväter (15–21), auf der anderen setzt er einen besonderen Akzent auf den scholastischen Nachlass in der theologischen Methodologie von Palamas (44–57). Er urteilt:
»The conscious pursuit of catholicity and consistent hermeneutic of orthodoxy evidenced in Aquinas provides a paradigm for any serious approach to healing the ongoing schism.« (28)
Auf der Basis der Auffassungen Thomas’ und Palamas’ kommt er zu dem Schluss:
»Palamas is not as ›Eastern‹, nor Aquinas as ›Western‹, as has previously been generally supposed. Each has substantial interests in the other’s tradition, shares a complementary approach to theological endeavor, and displays an unusually irenic attitude to the Latin-Greek schism.« (60)
Der zweite Teil (63–134) ist dem »Byzantine readings of Aquinas« gewidmet. P. untersucht hier die Besonderheiten von Demetrios Kydones’ und Nicholas Kabasilas’ Einstellung zu Thomas. Der Überblick reicht bis in die Zeit des Untergangs des Östlichen Römischen Reiches (1453) und findet seine theologische Reflexion in den Werken von Mark von Ephesus und Gennadios Scholarios.
Der dritte Teil des Buches (137–228) ist der »Ottoman era and modern orthodox readings of Aquinas« gewidmet. Zwischen dem 16. und 19. Jh. wurde Thomas im griechischen Osten gewöhnlich nicht individuell, sondern »im Rahmen der gemeinsamen Gruppe der Theologen-Scholasten« betrachtet. Im Ganzen wird diese Phase als »long Latin-leaning phase of Orthodox theology« (168) und Aquinas selber als »a prominent interlocutor and recurrent re-source for Orthodox theology« (169) charakterisiert.
Kapitel 6 (177–219) untersucht das zeitlich näherliegende und ak­tuellere Thema »Readings of Aquinas in modern Orthodox thought«. Im Unterschied zur Kiewer Schule der Theologie, die mit dem Namen Petrus Mogilas verbunden ist, entwickelte sich im 19. Jh. in der russischen Theologie die Bewegung der Slawophilen. Dazu stellt P. fest: »Twentieth-century Orthodox readings of Thomas have been resoundingly negative and all too often in thrall to some kind of pa­radigm of opposition between East and West.« (178) In diesem Kapitel behandelt P. weniger den Einfluss bzw. die Rezeption des Aquinaten selbst, sondern die Peripetien der Einstellung zum »Wes­ten« im Ganzen. In diesem Zusammenhang betrachtet er die Situation im Russischen Reich und untersucht den Kontext der griechischen Theologie nach der staatlichen Unabhängigkeit im Jahr 1821. Besonders gründlich untersucht er die Auseinandersetzung von Sergei Bulgakow zum Doctor Angelicus. Er stellt fest: »Bulgakov’s pugnacious and deeply unflattering treatment of Aquinas is the most sustained Orthodox engagement with the angelic doctor since the Byzantine era.« (193) Hier beobachtet P. eine Reihe von Vorurteilen, die nicht nur für Bulgakow, sondern auch für andere Theologen der russischen Emigration charakteristisch seien: »Thomas becomes the embodiment and progenitor of the rationalism, impersonalism, and determinism of a West diametrically opposed to Orthodoxy.« (194)
Das Kapitel »East and West in modern Orthodox thought« (204–213) liegt eigentlich außerhalb der Auffassungen des Aquinaten. Antiwestliche Einstellungen erreichten ihren Höhepunkt in den Werken von John Romanides, dessen Position folgendermaßen charakterisiert wird: »Theology of reaction in which Orthodoxy is defined by way of negatives: not Augustinian, not scholastic, not essentialist, et cetera« (206).
Erst in den neuen Werken der orthodoxen Theologen wie Olivier Clément, Paul Evdokimov und Lev Gillet entsteht ein neues Paradigma der Einstellung sowohl zu Aquinas als auch zum »Westen« in seiner Gesamtheit. Größeren Ertrag hinsichtlich der Zerstörung »antiwestlicher Vorurteile« bringt Kallistos Ware. Be­sonders aufmerksam untersucht er »Scholasticism and Orthodoxy: Theological Method as a Factor in the Schism« (215–216). Bemerkenswert ist auch die Position des modernen griechischen Denkers Stelios Ramphos: »Ramphos presents Aquinas as paradigm of the kind of theology the Orthodox world most desperately needs: rational, engaged with the world, and affirmative of the body.« (218)
Am Ende des Buches entwickelt P. prinzipielle Schlussfolgerungen. Auf der einen Seite liegt eine »expressly reactive definition of Orthodoxy«, die ihre Wurzel bei den Slawophilen hat, auf der anderen Seite steht Byzanz, das »did not, even in its last decades, succumb to any reactive form of anti-Western self-definition« (225–226).
P. nennt als Besonderheit, die die orthodoxe Theologie der letzten 50 bis 60 Jahren charakterisiert: »re-affirmation of the patristic tradition, with the accent on its mystical and ascetic dimensions«. Ein Nachteil dieser übermäßigen Betonung führt s. E. zur Einseitigkeit: »Modern Orthodox theology too often presents a rather partial account of itself.« (227) Dies stellt ein wichtiges Problem für das Selbstverständnis der orthodoxen Tradition dar, die beansprucht, historische Kontinuität zu haben, sich je­doch ignorant gegenüber den Jahrhunderten eigener Geschichte verhält.
Am Ende artikuliert P. die Hoffnung, dass »an orthodox re-ap­propriation of Thomas offers the promise that scholasticism needs not remain forever a pejorative term in Orthodox cicles« (227). Ich glaube, dass das Buch sich zu lesen lohnt, vor allem angesichts einer ungewöhnlichen Perspektive der ost-westlichen Beziehungen und des Versuchs, orthodoxe Traditionen der letzten sieben Jahrhunderte in ihrer Bezugnahme auf Thomas von Aquin als Stütze der westlichen Theologie zu rekonstruieren.