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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

1002–1004

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Clart, Philip, and Gregory Adam Scott [Eds.]

Titel/Untertitel:

Religious Publishing and Print Culture in Modern China. 1800–2012.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. VI, 349 S. = Religion and Society, 58. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-1-61451-499-2.

Rezensent:

Hauke Christiansen

Nachdem seit der Mitte des 20. Jh.s sozialgeschichtliche Forschungen die Bedeutung des Buchdrucks für die Entwicklung der Gesellschaften des ausgehenden Mittelalters beschrieben haben, ist spätestens seit Beginn des neuen Millenniums das Verhältnis zwischen religiös motivierter Drucktätigkeit und traditionellen asi- atischen Religionen in das Interesse kultur- und sozialwissenschaftlicher Untersuchungen gerückt. In diesem Umfeld fördern die Publikationen über religiöse Drucktradition der Neuzeit in Vietnam, Kambodscha und Indien Erstaunliches über die Rolle religiöser Printmedien im beginnenden Zeitalter der Massenkommunikation und über die Auswirkung religiöser Druckaktivitäten auf die Bildung religiöser Identität zutage.
Mit ihrer Aufsatzsammlung legen die Herausgeber Philip Clart und Gregory Adam Scott nun eine Untersuchung vor, die den Fokus auf den Großraum Shanghai legt. Ziel der Veröffentlichung ist es, den Gebrauch moderner Druckmedien durch religiöse Gruppierungen während der ausgehenden Quing-Dynastie und der republikanischen Ära darzustellen und zu untersuchen, wie die Rezeption dieser Publikationsmittel zu einer Transformation religiöser Vorstellungen und Praktiken führte. Die zeitliche Zäsur bildet der Abschied vom klassischen asiatischen Hochdruckverfahren durch die Einführung westlicher Drucktechnik – oft von Seiten christlicher Missionsgesellschaften. Das Buch ist zum großen Teil eine Sammlung von Vorträgen, die auf der jährlichen Konferenz der American Academy of Religion 2011 unter dem Titel »Publishing Religion, Negotiating the Party State: New Perspectives on Religion in Modern China« gehalten und zum Zweck der Veröffentlichung überarbeitet, aktualisiert und um einige Beiträge er­weitert wurden.
Neben der Einleitung (1–15) und dem Apparat mit Bibliographie und Stichwortverzeichnis (295–349) umfasst das Buch sieben Kapitel.
Die ersten beiden Kapitel beleuchten das Umfeld der Veröffentlichung der Bibel und anderer christlicher Schriften als Mittel westlicher Missionsaktivitäten im chinesischen Kontext. George K. W. Mak beleuchtet in seinem Beitrag »The Colportage of the Pro-testant Bible in Late Quing and Republican China: The Example of the British and Foreign Bible Society« (17–49) die Rolle sogenannter chinesischer Kolporteure bei der Verbreitung christlicher Schriften, die eine wichtige Scharnierfunktion zwischen der Tätigkeit westlicher Missionare und einheimischer Bevölkerung einnahmen. Joseph Tse-Hei Lee und Christie Chui-Shan Chow kommen in ihrem Aufsatz »Publishing and Theologizing Prophecy: The Seventh-day Adventists in Modern China« (51–90) zu dem Schluss, dass die Publikationstätigkeit der Siebentags-Adventisten ihr einzigartiges Mittel zur Konvertiten-Gewinnung in einem von Missionsgesellschaften umkämpften chinesischen Missionsfeld war, auf dem die Kirche eigene publizistische Akzente setzte.
Die beiden folgenden Kapitel beschäftigen sich mit buddhistischen und traditionellen chinesischen Veröffentlichungen. Gregory Adam Scott stellt in seinem Aufsatz »Navigating the Sea of Scriptures: The Buddhist Studies Collectanea, 1918–1923« (91–138) die These auf, die Herausgabe eine Kanons buddhistischer Schriften für das Selbststudium interessierter Laien habe zu einer Ent-Institutionalisierung buddhistischer Lehrtradition und zur Hinwendung zu einem textorientierten Lehrverhalten geführt. Dass der Wechsel vom Blockdruckverfahren zu westlicher Drucktechnik zu inhaltlichen Verschiebungen und neuen Rezeptionsmustern bei der Herausgabe traditioneller chinesischer baojuan-Texte führte, stellt Rostislav Berezkin in seinem Beitrag »Printing and Circulat-ing of ›Precious Scrolls‹ in Early Twentieth-Century Shanghai and its Vicinity: Towards an Assessment of Multifunctionality of the Genre« (139–185) fest. Die drei letzten Untersuchungen setzen sich mit chinesischen Verlagshäusern und der Bedeutung ihrer Veröffentlichungen von moralischen Schriften religiöser Gruppen für deren Ausbreitung während politischer Wandlungsprozesse auseinander: Yau Chi-on, »The Xiantiandao and Its Publishing Activities in Guangzhou and Hong Kong from the late Quing to the 1940s: The Case of the Morality Book Publisher Wenzaizi« (187–231); Wang Chien-chuan, »Morality Book Publishing and Popular Religion in Modern China: A Discussion Centered on the Scriptural Publications and Texts of the Tongshanshe« (233–264); Paul R. Katz, »Illuminating Goodness: Some Preliminary Considerations of Religious Publishing in Modern China« (265–294). Der zeitliche Ausschnitt der Untersuchungen ist gut gewählt: Moderne Drucktechnik führte im China des 19. Jh.s zu einer rasanten Entwicklung im Presse- und Verlagswesen. Nicht zuletzt die strategisch günstige Lage ließ Shanghai zum Druckzentrum Chinas mutieren. Zu Beginn des 20. Jh.s waren dort 260 Herausgeber gemeldet und 1200 chinesische und Dutzende ausländischer Zeitungen gingen in Druck. Insofern scheint die zeitliche und lokale Konzentration der Darstellungen sinnvoll und hat nichts Beengendes.
Die Stärke der Publikation und ihrer Einzelbeiträge liegt in der gelungenen Darstellung der Interrelation von religiöser Botschaft, moderner Buchdruckerkunst und gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Darstellung der sozialen Mikrokosmen rund um das »Geschäftsmodell der religiösen Buchdruckerkunst« mit ihren Akteuren und Erzeugnissen, die sich den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen anpassten und diese stimulierend begleiteten. Der an der Erforschung des Christentums interessierte Leser wird aufmerksam zur Kenntnis nehmen, wie z. B. die Siebentags-Adventisten die Botschaft ihres theologisch begründeten Gesundheitsideals im Kampf gegen den öffentlichen Drogenkonsum während der republikanischen Ära den soziokulturellen Voraussetzungen an­passten, was zu einer Sinisierung ihrer Darstellungsformen durch die Rezeption klassischer lyrischer Formen und bildlicher Codes führt. Weit davon entfernt, einen sozialhistorischen Abriss über die Folgen religiöser Publikationstätigkeit in der Neuzeit zu entwerfen, wählen die Autoren bewusst den lokalen, mikrohistorischen Zugang zu ihren Themen. Das fördert eine Vielzahl von Einzelbeobachtungen und Erkenntnissen zutage. Gerade darum hätte man sich als Abschluss eine Art Zusammenschau gemeinsamer Grundlinien über den lokal und zeitlich eingegrenzten Un­tersuchungsraum gewünscht. Das ist aber ausdrücklich nicht avisiert (12) – ebenso wenig wie die Darlegung einer interkulturellen Hermeneutik, deren Einbeziehung bei der Präsentation mancher Untersuchungsergebnisse als möglicher Schlüssel zu ihrem Verständnis sinnvoll gewesen wäre.
Den Reiz des Buches macht nicht zuletzt das Zusammenwirken einer internationalen Forschergruppe mit ihrem historischen, kultur-, religions- und sozialwissenschaftlichen Fragehorizont auf die pluralen Religionsformen Chinas aus. Die Kapitel des Buchs verstehen sich als Teile eines Mosaiks über das religiöse Leben in China. Sie werfen dabei einen historischen Blick auf eine zurückliegende Epoche und bilden zugleich einen Anreiz für kommende Forschungen über die Entwicklung von Religionen in China im Zeitalter der Digitalisierung.