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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

993–995

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Grümme, Bernhard

Titel/Untertitel:

Öffentliche Religionspädagogik. Bildung in pluralen religiösen Lebenswelten.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2015. 334 S. = Religionspädagogik innovativ, 9. Kart. EUR 39,99. ISBN 978-3-17-028921-5.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Der Band von Bernhard Grümme nimmt im Titel Bezug auf eine Diskussion, die im Anschluss an die schon länger anhaltende systematisch-theologische und theologisch-ethische Debatte um eine »Öffentliche Theologie« auch in der Religionspädagogik und Praktischen Theologie vermehrte Aufmerksamkeit gewonnen hat. Doch zeigt schon das Inhaltsverzeichnis, das nur ein knappes Kapitel zur Öffentlichen Religionspädagogik ausweist, dass es hier weniger um diese Diskussion als solche geht als um die im Untertitel angegebene Perspektive einer »religiösen Bildung in pluralen Lebenswelten«. Man könnte auch sagen, dass der Vf. die Öffentliche Religionspädagogik so verstanden sehen will: als religiöse Bildung in der Pluralität.
Der Band besteht aus teils veröffentlichten und teils unveröffentlichten Aufsätzen, die jedoch stark überarbeitet und im Sinne eines monographischen Zusammenhangs miteinander verbunden worden sind. Sechs Teile beschreiben den Weg, der hier gegangen werden soll: wissenschaftstheoretische Grundlegungen, Kontex-tualisierung, Hermeneutik, Bildung, Didaktik, Subjekte.
Den Ausgangspunkt der wissenschaftstheoretischen Grundlegungen stellen Überlegungen zur Pluralitätsfähigkeit der Religionspädagogik dar. Die Position des Vf.s wird thetisch festgehalten: »Es kommt darauf an, die enormen unhintergehbaren Freiheits- und Identitätsgewinne mit einem erhöhten Anspruch an die Subjekte zusammenzudenken, sich inmitten ihrer Unbehaustheit durch ungefragt gültige Sinn- und Orientierungszusammenhänge je neu verstehen und handlungsfähig werden zu müssen.« Deshalb verbiete sich eine »rein resignative wie defizitorientierte Hermeneutik des pluralistischen Gegenwartskontextes« ebenso wie eine »euphorische Affirmation« (17). Stattdessen müssen »Einheit und Vielheit in einer dem Prozess des Glaubenlehrens und Glaubenlernens angemessenen Weise konzipiert« werden, was zu einer kritischen Revision »religionspädagogischer Denkformen« zwinge (21). In Aufnahme seiner früheren Arbeiten insistiert der Vf. hierzu auf einer »alteritätstheoretischen Denkform«. Wie auch an anderen Stellen wird deutlich, dass sich der Vf. als katholischer Religionspädagoge an der im katholischen Bereich wirkungsstarken Korrelationsdidaktik abarbeitet, dass er diese nicht preisgeben, aber doch weiterführen und präzi-sieren will, so dass sie auch der Begegnung mit Fremdem gerecht zu werden vermag (41.46). Er spricht auch von einer »Radikalisierung der Korrelation« (46), die für den anderen, eben »alteritätsdidaktisch«, Raum schaffen soll. Was dies bedeutet, wird dann u. a. in Auseinandersetzung mit der religionspädagogischen Rezeption von Habermas und Luhmann weiter konkretisiert (vgl. 53 ff.).
Der nächste Schritt bezieht diese Position auf verschiedene Kontexte (»Kontextualisierung«, 79 ff.), auf das Verständnis von Bildung und Religion, dessen politische Implikationen dem Vf. auch für den Religionsunterricht dauerhaft bedeutsam erscheinen (93). Daneben sind es Entwicklungen wie die Kultur der Beschleunigung, auf die sich der Religionsunterricht kritisch beziehen soll (111). Bemerkenswert – gerade aus einer in dieser Hinsicht manchmal sehr abstinenten evangelischen Sicht – ist die Entschiedenheit, mit der der Vf. dabei auch die »Ethik als Herausforderung religiöser Bildung« sehen will (121). Beispielsweise konkretisiert sich dies in der Diskussion über Menschenrechte sowie einer entsprechenden Bildung.
Die für den nächsten Teil gewählte Überschrift »Hermeneutik« (133) kann ebenfalls im Sinne einer weiteren Konkretion gelesen werden. Die dafür gewählten Schwerpunkte sind Beziehungen, Gerechtigkeit und populäre Kultur. Vor allem die Auseinandersetzung des Vf.s mit dem religiösen Gehalt populärer Kultur, die in der Religionspädagogik und Praktischen Theologie inzwischen weithin Beachtung findet, zeigt, in welchem Sinne ihm an einer auch theologisch-kritischen Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen gelegen ist. Es genüge eben nicht, religiöse Gehalte in dieser Kultur zu finden und dabei den Gottesgedanken lediglich »affirmativ« einzuführen (172).
Was bedeutet dies für Bildung? Auch für diesen Teil werden drei exemplarische Zugänge gewählt: die Frage nach dem Profil des religionspädagogischen Bildungsverständnisses, Bildungsgerechtigkeit und die Debatte um das Menschenbild (175 ff.). Besonders eindrücklich ist das vom Vf. ebenfalls bereits in einer früheren Monographie dargestellte Desiderat, dass sich die Religionspädagogik weit stärker als bisher auf die Herausforderung der Bildungsgerechtigkeit einlassen müsse.
Vom Bildungsverständnis führt bekanntlich kein direkter Weg zum Unterricht, weshalb in einem eigenen Teil nach Aufgaben der Didaktik gefragt wird (207 ff.). Drei höchst unterschiedliche Zu­gangsweisen werden erörtert: »mystagogische Performanz«, ar­gumentative Gesprächsmethoden sowie ein »narratologischer Zu­gang«. Da sich der Vf. in seiner gesamten Darstellung durchaus kritisch zu einer sogenannten Performativen Religionsdidaktik äußert (213), bei der auch der Öffentlichkeitsanspruch der Religionspädagogik leicht verspielt werde, ist es besonders interessant zu lesen, wie er sich dennoch Möglichkeiten einer »mystagogischen Performanz« vorstellt. Allerdings bleiben die entsprechenden Ausführungen dann sehr knapp.
Der abschließende Teil des Buches ist mit »Subjekte« überschrieben (239). Dabei setzt sich der Vf. mit Ansätzen der Kinder- und Jugendtheologie auseinander, die er insgesamt als zu wenig auf eine kritische Analyse der gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Situation bezogen sieht. Insofern bleibe sie weithin hinter den eigenen Ansprüchen der Subjektorientierung zurück. Zu Recht moniert er auch das ungeklärte Verhältnis zu Religion oder Glaube, wie sie bei diesem Ansatz oft vorausgesetzt werden (270 f.). Schließlich werden diese Überlegungen, im Sinne eines Ausblicks, auch auf die Bildung im höheren Lebensalter bezogen.
Wie steht es nun mit der Öffentlichen Religionspädagogik? Sie gibt den Beiträgen des vorliegenden Bandes ihre Richtung. Wie der Vf. immer wieder betont, muss die Religionspädagogik sich auf die Diskussion um öffentliche Bildung beziehen. Das geschehe am erfolgreichsten dort, wo sich die Religionspädagogik »einschalten will in das öffentliche Ringen um das gemeinsame Richtige und Gute«, indem sie sich an den »Prinzipien von Gleichheit, Freiheit, Rationalität, Universalität« orientiert (84). Die Religionspädagogik müsse versuchen, argumentativ zu überzeugen, anstatt sich auf wie auch immer vorausgesetzte Wahrheiten zu berufen. Das ist eine überzeugende Position. Es wäre allerdings interessant, sie nun noch genauer mit verschiedenen Theorien der Öffentlichkeit und deren Rezeption etwa in der Erziehungswissenschaft ins Gespräch zu bringen.
Wie in dieser Rezension nur ansatzweise deutlich gemacht werden konnte, bietet der Band nicht nur grundlegende Reflexionen zu verschiedenen Grundbegriffen der Religionspädagogik, sondern auch zahlreiche kritische und klärende Erörterungen religionspädagogischer Positionen. Insofern handelt es sich um ein anspruchsvolles Grundlagenwerk, durch das vor allem der religionspädagogische Fachdiskurs in nicht wenigen Hinsichten deutlich vorangebracht werden kann.