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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

987–989

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meyer, Peter, u. Kathrin Oxen[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Predigen lehren. Methoden für die homiletische Aus- und Weiterbildung. Hrsg. im Auftrag d. Zentrums f. evangelische Predigtkultur unter Mitarbeit v. A. C. Müller, J. Neuschwander, S. Platzhoff, T. Schüfer, M. Schult, F. Sommer u. O. Trenn.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 376 S. = Kirche im Aufbruch, 17. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-374-04126-8.

Rezensent:

Peter Bukowski

»Predigen will gelernt sein.« (13) Niemand, dem die Predigtaufgabe am Herzen liegt, wird diesen Satz bestreiten. Umso schwerer wiegt der Befund, dass die gängige homiletische Literatur an genau dieser Stelle eine schmerzliche Lücke aufweist, insofern als »noch im­mer die prinzipiell-homiletische Frage Vorfahrt hat […]. Der konkrete Lernweg von Predigerinnen und Predigern beschäftigt diese Predigtlehren kaum. Erst recht sind Anregungen zur zuverlässigen Gestaltung der einzelnen Stationen dieses Lernprozesses rar […] ein Entwurf ›Predigen lernen‹ fehlt« (13). Diese Lücke zu schließen ist das Anliegen des von Kathrin Oxen, der Leiterin des Zentrums für evangelische Predigtkultur (Wittenberg), und ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Peter Meyer herausgegebenen Bandes »Predigen lehren«. Und um es vorweg zu sagen: Ihr Vorhaben ist auf eine so überzeugende Art und Weise gelungen, dass man die Veröffentlichung ohne Übertreibung als Meilenstein der Homiletischen Literatur bezeichnen darf.
Nach einer Einleitung, die einen Überblick und eine hilfreiche Gebrauchsanweisung für das Folgende liefert, gliedert sich das Werk in drei Hauptteile. Der erste (33–85) ist »Stationen des Predigtlernens« gewidmet: Lehrende unterschiedlicher homiletischer Lernorte stellen ihr Ausbildungsprogramm vor. Dass dies keinen dokumentarischen Überblick über die Landschaft verschaffen kann, liegt auf der Hand. So beschreibt etwa die für die Universität zu Wort kommende Birgit Weyel ihr (sehr animierendes) Seminarprogramm; an anderen Studienorten wird anders gelehrt. Dennoch sind die verschiedenen »Blitzlichter« aufschlussreich und anregend. Und: Durch die Auswahl der Beiträge leuchtet erstmalig eine auch für die anderen Teile des Buches prägende herausgeberische Grundentscheidung auf: In den Blick kommen nämlich nicht nur die »klassischen« Lernorte: Universität, Predigerseminar und Pfarrerfortbildung, sondern auch Lernorte, die lange im Schatten standen, für die Wahrnehmung des Predigtauftrages unter veränderten kirchlichen Rahmenbedingungen aber zunehmend wichtiger werden; ich nenne nur die Lernorte »Kirchengemeinde« (58 ff.), »Prädikantenausbildung« (65 ff.) und »Diakonische Ausbildung« (71 ff.). Diese Weitung des Horizontes tut allen Beteiligten gut und ist anderen pastoralen Handlungsfeldern dringend anzuraten.
Das Stichwort der Horizonterweiterung legt es nahe, zunächst den abschließenden dritten Teil des Buches in den Blick zu nehmen (305–362). Auch hier geht es unter der Überschrift »Homiletische Herausforderungen« um Weitung des Horizontes, nun aber nicht im Sinne binnenkirchlicher Vernetzung, sondern ökumenischer Erschließung. Predigtdidaktische Impulse aus der Schweiz, Südafrika, Schweden, England, Norwegen und den USA bereichern das Ensemble der homiletischen Fragestellungen und Entdeckungen enorm und machen Predigtlehrenden Lust, ihrerseits ökumenische Suchpfade zu betreten.
Das Herzstück des Buches bildet der große Mittelteil (98–301), in dem in 38 (!) Einzelbeiträgen »homiletische Methoden« und »Lern-arrangements« vorgestellt bzw. dokumentiert werden. Hier lassen sich erfahrene Dozierende, Praxisanleitende und Coaches quer durch die Republik über die Schulter blicken. Und man merkt den Beiträgen an: Jeder der hier vorgestellten Lehrschritte ist in eigener Praxis gründlich erprobt, bedacht, nachjustiert worden. Mit einem Wort: Es handelt sich jeweils um bewährte, praktikable und deshalb in die eigene Praxis überführbare Methoden. Dabei ist den Autorinnen und Autoren nicht genug dafür zu danken, dass sie bereit waren, ihre Beiträge gemäß der strengen Vorgabe der Herausgebenden zu verfassen. Nach Hinweisen zu Sozialform, Zeitbedarf und Material wird das entsprechende Modul jeweils in vier Schritten vorgestellt: »Worum es geht« – »Wozu das führt« – »Wie das geht« – »Homiletisch-didaktischer Kommentar«. Das erleichtert dem Lesenden den Überblick und hilft bei der Entscheidung, ob bzw. in welchem Rahmen man die vorgestellte Methode selbst einmal erproben möchte. Dabei liegt die besondere – in ihrer Kon sequenz bisher einmalige – Benutzerfreundlichkeit dieses Teils darin, dass die Autorinnen und Autoren alles für eine Methode wichtige Material ins Netz eingestellt haben. Es kann unter der im Buch angegebenen Seite aufgerufen und heruntergeladen werden. So kann, wer sich anregen lässt, gleich und ohne allzu lange Vorbereitung mit dem eigenen Erproben beginnen.
Um sich in der Vielfalt der dargebotenen Methoden nicht zu verlieren, sind sie nach sechs »Brennpunkten« geordnet. Diese nehmen die homiletische Aufgabe (1.), die Person des/der Predigenden (2.), den Text (3.), die Situation (4.), den Schreibprozess und die Darbietung (5.) sowie die Weiterarbeit an der eigenen Predigt (6.) in den Blick. Dass diese Gliederung nicht trennscharf gelingt, liegt in der Natur der Sache. Aber wer weiß, in welcher Richtung er nach Anregung sucht, wird schnell fündig.
Die von Meyer und Oxen herausgegebene homiletisch-methodische Materialsammlung will für das Predigen-Lehren sensibilisieren und zurüsten. Dass dieses Ziel in hohem Maße erreicht wurde, sollte aus dem Bisherigen deutlich geworden sein. Zugleich aber lässt sich diese weit gefächerte Materialsammlung auch als homiletisch-didaktische Zeitansage lesen, der gegenwärtige Trends zu entnehmen sind. Dazu noch einige Schlussbemerkungen.
1. Überblickt man die Gesamtheit der Beiträge, wird offensichtlich, dass das mit weitem Abstand als häufigstes genannte homiletische Paradigma das dramaturgische von Nicol/Deeg ist (weit dahinter wäre als zweites das rezeptionsästhetische in der Ausprägung Engemanns zu nennen). Dies nimmt insofern nicht wun-der, als jenes Paradigma in seinem Kern das unlösbare Ineinander von Form und Inhalt und, verbunden damit, das Experimentelle, Kreativ-Spielerische, die am »Endprodukt« orientierte Predigt als »Reden-In« statt »Reden-Über« im Blick hat. Dennoch nimmt es – zumindest aus Sicht des Rezensenten – wunder, wie vergleichsweise wenig auf das rhetorische Paradigma zurückgegriffen wird. Dies umso mehr, als gerade in jüngster Vergangenheit die erschließende Kraft der Sprechakttheorie noch einmal eindrucksvoll herausgestellt wurde (genannt sei nur: Frank M. Lütze, Absicht und Wirkung der Predigt, Leipzig 2006).
2. Als vor 40 Jahren, also zur Hochzeit der »empirischen Wende« das Buch »Didaktik der Predigt« erschien (hrsg. von Peter Düsterfeld/Hans B. Kaufmann), konnte man den Eindruck bekommen, Kreativität und Methodenreichtum würden das Bemühen um den biblischen Text ablösen. Das ist im vorliegenden Werk erfreulich anders: Zwar sind (fast) alle Methoden auf kreative Erschließungs- und Produktionsvorgänge ausgerichtet, aber diese beziehen sich explizit auch auf den Umgang mit der biblischen Grundlage und (zumindest in einigen Fällen) auf theologisch-dogmatische Grundsatzfragen. Dass dabei der »klassischen« Exegese eher wenig erschließende Kraft zugetraut wird, sollte von der Zunft als kritische Rückfrage ernst genommen werden.
3. Allerdings: Fast alle Module kreisen um die beiden Pole »Kreativität« und »Authentizität«: Die Predigenden sollen etwas ›Frisches‹ und dies als ›Eigenes‹ zu sagen haben. Dass beides notwendig ist, steht außer Frage: Eine ständig mitlaufende innere Zensur, die nach falsch/richtig beurteilt, hemmt den Produktionsprozess und macht das Endresultat tendenziell langweilig. Aber sind diese Pole auch hinreichend? Bisweilen hatte ich den Eindruck, als liefe im Hintergrund eine Arbeitshypothese mit, die ungefähr so lautet: Dogmatik und Schulexegese beherrschen die Predigenden, die Was-Frage haben sie im Grunde geklärt, jetzt ist deren predigtgerechte Umsetzung angesagt. Diese Hypothese halte ich für – gewagt. Um es der gebotenen Kürze halber überspitzt zu sagen: Ich höre von Kanzeln auch viel kreativen, authentischen, hörerzugewandten Unsinn. Es finden sich im angezeigten Buch durchaus Beiträge, die an dieser Stelle heilsam gegenzusteuern versuchen – ohne ins andere Extrem zu verfallen. Davon wünsche ich mir noch mehr. Aber dieser Wunsch gilt der homiletischen Szene, nicht den Herausgebern. Denn wie schreiben sie in vorbildlicher Klarheit? Es geht darum, »die Grundlage für theologisch verantwortete, situationsgerechte Predigten zu schaffen« (16).