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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

973–976

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

O’Donovan, Oliver

Titel/Untertitel:

Finding and Seeking. Ethics as Theology, 2.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2014. X, 249 S. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-7187-9.

Rezensent:

Christine Schliesser

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

[O’Donovan, Oliver:] The Authority of the Gospel. Explorations in Moral and Political Theology in Honor of Oliver o’Donovan. Ed. by R. Song and B. Waters. Foreword by R. Williams. Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. XXI, 294 S. Geb. US$ 45,00. ISBN 978-0-8028-7254-8.


Mit Finding and Seeking hat Oliver O’Donovan, Mitglied der British Academy und Professor em. für Christian Ethics and Practical Theology an der Universität Edinburgh, nach Self, World and Time (2013) den zweiten Band seiner Trilogie Ethics as Theology vorgelegt. Während sich der erste Band den Kernbestandteilen moralischer Erfahrung widmet, formuliert O. die Aufgabe des zweiten Bandes wie folgt: »to follow moral thought from self-awareness to decision through the sequence of virtues from faith to hope« (IX). Der verbindende Gesamtrahmen dieser Trilogie ist dabei durch den gemeinsamen Untertitel Ethics as Theology beschrieben: Ethischem Denken und seinen Möglichkeitsbedingungen sind theologische Dimensionen inhärent.
Die neun Kapitel des zweiten Bandes schließen inhaltlich an den ersten an: Selbst, Welt und Zeit werden nun, wenn auch lose, mit den Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung verbunden, denen die Sünden des Zweifels, der Torheit und der Sorge in ihren unterschiedlichen Gestalten korrespondieren. Dabei verwendet O. einen weiten Tugendbegriff, »to highlight the good as distinct from the right« (89), ohne sich mit der Diskussion aufzuhalten, ob der Tu­gendbegriff für die paulinische Trias »Glaube, Liebe, Hoffnung« angemessen ist. Gegen das lineare Streben, welches das Finden als Ziel- und Endpunkt der Suche versteht, setzt O. mit der umgekehrten Reihenfolge »Finding and Seeking« ein zirkuläres, meditatives Vorgehen. »We find, in order to seek again« (101).
In den ersten beiden Kapiteln wird das Selbst als »Spirit and Self« und »Faith and Purpose« entfaltet. Nach O. ist »our sickened agency« (1) auf Erneuerung durch den Heiligen Geist angewiesen, die Grundvoraussetzung theologischer Ethik. Die Sünde gegen das Selbst zeigt sich nach O. in der Verleugnung des Rufes Gottes als »failure of faith […] in refusing responsible agency, […] a passive-reactive immanence that is deaf to the call of God to act and live for him« (20). Das Verhältnis von Glaube und Selbst wird im zweiten Kapitel vertieft, wenn Glaube unter den Stichworten »obedience, self-offering and self-consistency« (27) entfaltet wird. Dem Glauben wird die Sünde des Zweifels gegenübergestellt, als »Unentschlossenheit« und »Halbherzigkeit« (43), in einem späteren Kapitel noch als »Herabsetzung« und »moralische Distanziertheit« (65).
In den Kapiteln 3 und 4 nimmt O. das Thema Welt unter den Stichworten »Faith and Meaning« und »The Good of Man« auf. Während der erste Ruf unmittelbar auf das Erwachen des Selbst vor Gott im Glauben zielt, ist der »second call mediated through the good world God has made […], calling the wakened agent-self to practical engagement« (47). Indem sich das Selbst in der Welt wahrnimmt, nimmt es zugleich auch andere wahr und erkennt Freiheit als sozial verfasst. Die Interaktion des Selbst mit der Welt wird im vierten Kapitel unter den Stichworten »knowledge and love« (81) beschrieben. Die Sünde gegen die Welt zeigt sich als Torheit, entfaltet als »Rücksichtslosigkeit« (84), »Rechthaberei« (86) und »Vorurteil« (95), später noch als »Ideologie« (109).
Die folgenden zwei Kapitel nähern sich dem dritten Aspekt: Zeit, als »Wisdom and Time« und »Love and Testimony«. Die »knowledge and love«-Relation wird nun in Weisheit überführt, die der zeitlichen Dimension des Handelns Rechnung trägt. Liebe, so wird im 6. Kapitel ausgeführt, »is directed by faith and hope« (120) und un­mit­telbar mit dem verbunden, was O. als Zeugnis bzw. Bekenntnis fasst. Das Zeugnis, das wir erhalten haben, wird durch unser Le­ben einerseits erneuert, während es zugleich unserem Leben Gestalt verleiht.
Die zentrale Bedeutung nicht nur der Zeit, sondern des Jetzt für die praktische Vernunft wird im siebten Kapitel unter der Überschrift »Hope and Anticipation« herausgearbeitet. »To exercise agency effectively we must consider the time we occupy, formed by what we have learned to love, following what has been achieved for us, yet hearing and making answer now, in this new and instant moment« (145). Im Heute steht die hoffnungsvolle Zukunft offen. Als Sünde gegen Zeit und Hoffnung wird die Sorge ausgewiesen, die als »Gier« und »Ungeduld« (175) in Erscheinung tritt. In Kapitel 8 und 9, »Deliberation« und »Discernment«, werden zwei weitere Formen der Sorge als Sünde gegen die Zeit erörtert, »Utilitarismus« bzw. »Konsequentialismus« (201) und »Historismus« (230). Dabei erwächst die Kritik O.s am Konsequentialismus aus explizit theologischen Überlegungen und insbesondere daraus, dass dadurch Gottes Versprechen verdunkelt werde. Auch die Kritik des Histo-rismus ist theologisch gefasst, wenn »we retreat from discerning God’s call in the immediate horizon of the future-present, and turn instead to a reading of present experience which we hope may deliver the future up to clear and masterful anticipation« (230). Ein abschließendes Postskript gewährt einen Ausblick auf den ab­schließenden Band der Trilogie, Entering into Rest, und verspricht, alle noch losen Enden dort zusammenzuführen.
Im zweiten, von Robert Song und Brent Waters herausgegebenen Band der Trilogie »Ethics as Theology« führt O. sein ganz eigenes, beeindruckendes Programm einer Synthese philosophischer und theologischer Ethik fort, das im Dialog mit einer Vielzahl von Stimmen aus unterschiedlichen Disziplinen den unverzichtbaren Beitrag der theologischen Ethik herausarbeitet. Doch wird der Zugang durch die bisweilen eher meditativ-assoziative als systematische Ausarbeitung, die eine klare Struktur vermissen lässt, erschwert. Dabei vermag der zwanglose Umgang O.s mit den biblischen Schriften als »cheerful acceptance of the text’s offer of more than lies on its surface« (135) nicht nur Exegeten zu erstaunen. In jedem Fall strahlt auch »Finding and Seeking« die Kreativität, Gelehrsamkeit und Unabhängigkeit des Denkens aus, die man von seinem Autor gewohnt ist.
»Perhaps no other of his contemporaries has managed to combine so effectively a deep familiarity and love of Scripture, an extraordinary knowledge of the magisterial tradition of doctrinal and moral theology, and a commitment to the illumination of both the concepts and application of Christian ethics.« (XII)
Mit dieser Charakterisierung fassen die Herausgeber das umfangreiche theologische Schaffen und Wirken von Oliver O’Donovan zusammen, der anlässlich seiner Emeritierung mit dem anzuzeigenden Sammelband gewürdigt wird. Der Band entspringt einer Tagung mit dem Titel »The Authority of the Gospel. A Symposium in Honor of Oliver O’Donovan«, die im Januar 2011 an der Universität Durham stattfand.
In ihm finden sich 15 thematisch unterschiedlich fokussierte Beiträge, die durch zwei Klammern zusammengehalten werden: Die Autoren gehören zum Schüler- oder Kollegenkreis des Geehrten und ihre Beiträge befassen sich mit einer oder mehreren seiner Schriften bzw. treten in Diskussion mit verschiedenen inhaltlichen Aspekten seines umfangreichen Werks. Zu den Autoren zählen Nigel Biggar, Brian Brock, Jonathan Chaplin, Eric Gregory, Shinji Kayama, Jean-Yves Lacoste, Joan O’Donovan, Robert Song, Hans Ulrich, Bernd Wannenwetsch, Brent Waters, John Webster, Rowan Williams, John Witte, Jr., Holger Zaborowski sowie O’Donovan selbst.
Etwa die Hälfte der hier vereinten Aufsätze befasst sich mit verschiedenen Themen von O’Donovans politischer Theologie, wovon ein Teil den Einfluss Augustins auf O’Donovan aufnimmt, darunter etwa Gregorys Beitrag zu Augustins Eudaimonismus und Kayamas Ausführungen zu Augustins Predigten. Lacoste und Biggar setzen sich, aus jeweils unterschiedlicher Perspektive und mit unterschiedlichem Ergebnis, mit den Fragen nach einem gerechten Krieg auseinander, während sich Zaborowski dem von O’Donovan ins Englische übersetzte Werk »Personen« (1996) von Robert Spaemann widmet. Die bemerkenswerte inhaltliche Bandbreite von O’Donovans Œuvre verdeutlichen nicht zuletzt die Beiträge zur Sexual- und Bioethik von John Witte, Jr. und Robert Song sowie John Websters Meditation zur Natur der Trauer.
Insgesamt wurde mit diesem inhaltlich reichen Sammelband O’Donovan ein bunter Blumenstrauß überreicht, aus dem jede einzelne Blüte Beachtung verdient.