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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

970–971

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ebert, Udo, Riha, Ortrun, u. Lutz Zerling [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Mensch der Zukunft – Hintergründe, Ziele und Probleme des Human Enhancement. Tagung der Kommission Wissenschaft & Werte, Leipzig, 17.–18. Februar 2012.

Verlag:

Stuttgart: S. Hirzel Verlag 2013. 182 S. m. 3 Abb. = Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse, 82/3. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7776-2384-9.

Rezensent:

Lukas Ohly

Die Vorträge einer Tagung der Kommission Wissenschaft & Werte von 2012 untersuchen interdisziplinär nicht etwa das eine Phänomen des Enhancement, sondern jeweils unterschiedliche Aspekte, die mit diesem Begriff assoziiert sind. In dem Aufsatzband habe ich sieben Definitionen für Enhancement gefunden, die zum Teil stark voneinander abweichen (6.81.98.112.122.134.170). Daher überrascht es nicht, dass unterschiedliche Bewertungen vorliegen, ob sich Enhancement mit der Natur des Menschen verträgt ( Karl-Siegbert Rehberg, 48) oder über sie hinausgeht (Hartmut Rosa/Jörg Oberthür, 92). Udo Eberts »Definition« in der Einleitung, es handle sich um »Eingriffe«, »die dazu dienen, den Menschen über das hinaus, was zur Erhaltung und Wiederherstellung seiner Gesundheit« nötig ist, zu «verbessern« (6), wird von ihm selbst bereits als zu undifferenziert zurückgenommen. Die Präzisierung, den Menschen durch Nano-, Bio-, Informationstechnologie und Neurowissenschaft zu verbessern (NBIC), erscheint nur in zwei Beiträgen (Christopher Coenen, 9; Uwe Cantner, 134). Die meisten Beiträge lehnen sich nur irgendwie an diese Technologien an. Der theologische Beitrag von Nikolaus Knoepffler beschränkt sich etwa auf Gentechnik (112). Franz Josef Lindners Zusatzbedingung, dass Enhancement-Maßnahmen »nicht rückholbar« seien (122), blendet nahezu die gesamte Prothetik aus.
Insgesamt ist das ethische Resümee fast aller Beiträge ein »Ja, aber!« Armin Grunwald konstatiert, es gebe »bislang keine starken Argumente gegen technische Verbesserung des Menschen« (73), indem er das s. E. einzige starke Argument, Menschen im Embryonalstadium zu verbessern und sie damit irreversibel zu instrumentalisieren, umgeht: »Wenn nur einwilligungsfähige Personen […] einer technischen Verbesserung unterzogen würden, bestünde […] keine Gefahr, dass diese ›technisch verbesserten‹ Menschen nicht mehr im vollen Sinne Autoren ihrer Biografie wären.« (Ebd.) Damit unterschätzt er allerdings die Szenarien des Neuroenhancements, das den Kern der menschlichen Identität berührt ( Uwe-Fritjof Haustein, 161). Gerade hier könnte das Problem des »Präferenzwandels« auftreten, eine Inkonsistenz, die Cantner aus ökonomischer Sicht so auf den Punkt bringt: »Das was die Entscheider vor der Nutzung von Human Enhancement Produkten besonders geliebt haben und was sie vorher präferiert haben, wertschätzen sie nach der Nutzung auf einmal nicht mehr.« (144) Das Problem, dass sich das Ich durch Neuroenhancement so manipulieren kann, dass es nach der Manipulation ein anderes Ich sein wird, wird bei Haustein (161) und Rosa/Oberthür (91) zumindest angedeutet, aber nicht eigens ausgeführt. Die Thesen zum ethischen Vorrang des Lernens vor dem technischen Einsetzen von Kompetenzen (Rosa/ Oberthür 94; Knoepffler 166; Haustein 166) teile ich. Sie bleiben jedoch weitgehend ohne nähere ethische Begründung, warum dieser Vorrang zu gelten hat.
Eine hilfreiche Differenzierung des Begriffes »Verbessern« findet sich im Beitrag von Grunwald: Die Ausstattung eines individuellen Menschen zu verbessern, sei etwas anderes, als einen durchschnittlichen Menschen oder schließlich das Menschsein unter optimalen Bedingungen zu verbessern (65). Grunwald versteht En­hancement nur im letzteren Sinn, »wenn ›übliche‹ menschliche Fähigkeiten überschritten« werden (66). Allerdings erzeugt diese Kennzeichnung neue Indifferenzen, etwa wenn technische Im­plantate eingesetzt werden, um nach einem Unfall die übliche Leis-tungsfähigkeit von Patienten wiederherzustellen (67). Hier wird zwar nur eine »Funktionsäquivalenz« (68) der Wahrnehmungsfähigkeit erreicht, allerdings indem ein Mensch neue »Organe« er­hält. Es wird ein Mensch »verändert« (und nicht nur geheilt), ohne ihn aber zu »verbessern«: Es entstehen zwar keine neuen Wahrnehmungsfunktionen, aber neue Körperfunktionen, weil der Körper erweitert wird.
Der Band arbeitet sich an der anthropologischen Frage ab, ob der Mensch noch Mensch ist, wenn er an Maschinen angeschlossen und von ihnen gesteuert wird. Dabei haben die vielen detaillierten Beispiele hohen Informationswert (11.63.67.75 f.81 f.160.174). Ethische Fragen werden lose daran angebunden (57.71–74.90.146.174). Nur Ortrun Rihas Beitrag ist dabei entschieden enhancement-kritisch, sowohl was die Möglichkeiten (ähnlich Thomas Junker, 109) als auch ihre ethische Bewertung betrifft. Ansonsten bleiben die Beiträge ethisch tentativ. Damit wird aber eine grundsätzliche Grenze der Leistungsfähigkeit von Interdisziplinarität überhaupt offengelegt: In wessen Zuständigkeitsbereich fallen fachethische Diskurse? Ist Ethik »mit anderen Mitteln« interdisziplinär durchführbar, oder bedürfen umgekehrt alle Wissenschaftsdisziplinen einer gemeinsamen ethischen Methode? Cantner zumindest, der Enhancement zu ökonomischen »Gütern« zählt, räumt ein: »Die Grenzen der reinen Ökonomik sind hier für Weiterentwicklungen zu überschreiten« (146).