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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1001–1004

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Collins, John J.

Titel/Untertitel:

Jewish Wisdom in the Hellenistic Age.

Verlag:

Edinburgh: Clark 1998. XII, 275 8. Kart. £ 14.95. ISBN 0-567-08623-2.

Rezensent:

Otto Kaiser

Der vorliegende Band erfüllt alle Ansprüche, die man an ein Lehrbuch stellt: Seine Diktion ist präzise. Obwohl der Verfasser über die Diskussion der letzten Jahrzehnte souverän verfügt, ist seine Intention vor allem informativ, während sich die Polemik auf unerläßliche Abgrenzungen beschränkt. Das Buch enthält zwölf Kapitel. Von ihnen dient das erste Where Is Wisdom to Be Found? der generellen Einführung in die biblische Weisheit und damit der Skizzierung des Hintergrundes, auf dem sich die jüdische Weisheit im hellenistischen Zeitalter entfalten konnte (1-20).

In dem den Titel Hebrew Wisdom tragenden Ersten Teil des Buches sind die Kapitel 2-6 der Darstellung der Weisheit Ben Siras gewidmet. Dabei behandelt Collins der Reihe nach die Themen Ben sira in His Hellenistic Context (23-41), Wisdom and the Law (42-61); Ben Sira’s Ethics (62-79), The Problem of Evil and the Justice of God (80-96) und The History and Destiny of Israel (97-111).

In den hier gesetzten Grenzen ist es leider nicht möglich, C.s materialreicher Darstellung im einzelnen zu folgen. Statt dessen seien hier einige seiner signifikantesten Positionen referiert:

Jesus Sirach, zu dessen Zeit es noch keine öffentlichen Schulen in Jerusalem gab (36), stand den Kreisen um den Hohenpriester nahe, ohne selbst Priester gewesen zu sein. Er war kein eigentlicher Lehrer des Tora, sondern ein sie benutzender Weisheitslehrer (37). 6,34-37 entsprechend dürfte der von ihm erteilte Unterricht den Charakter eines Gruppen-Tutoriums besessen haben (38). Seine gebremste Sozialkritik (13,17-19; 26,29-27,3) zeigt, daß er Rücksicht auf die Reichen nehmen mußte, in deren Dienst er stand (38,32 f.) (29-32). Seine Vertrautheit und grundsätzliche Akzeptanz des hellenistischen Gastmahls (31,12-32,13) belegt, daß er kein eifernder Gegner des Hellenismus gewesen ist, was er sich im Blick auf die hellenisierte Oberschicht auch nicht hätte leisten können (32f.). Seine praktischen Lehren berühren sich besonders mit denen des Griechen Theognis und des Ägypters Phibis (Pap. Insinger). Seine theologischen Konzepte bezeugen eine gewisse Kenntnis stoischer Philosopheme, ohne daß sich eine Frontstellung gegen griechisches Denken bei ihm nachweisen läßt: "There was (zu seiner Zeit) no need to oppose it, as it was not being promoted" (41). Ben Siras Identifikation von Weisheit und Gesetz geht davon aus, daß das mosaische Gesetz implizit in der Schöpfung enthalten und mithin eine Aktualisierung des natürlichen Gesetzes ist (58). Auch wenn dabei mit einer Beeinflussung durch das stoische Konzept des nomos als eines kosmischen Prinzips zu rechnen ist, liegt die eigentliche Ursache für die von Ben Sira vorgenommenen Identifikation in der wachsenden Bedeutung der Tora im Judentum seiner Zeit (60 f.). Die Ethik Ben Siras ist patriarchalisch (62), eudämonistisch (76), in ihrer breiten Berücksichtigung der häuslichen Verhältnisse möglicherweise hellenistisch beeinflußt (62 f.). Sachlich wird sie von der den aktuellen Bedürfnissen angepaßten Tradition bestimmt (76, vgl. 62). Während die Kultur der Scham im Hellenismus eine Herausforderung zu kühnen Taten darstellte, dient sie bei Ben Sira einer Ethik der Vorsicht und Umsicht, die durch die Furcht des Herrn bestimmt ist (77 f.). Ben Siras entscheidenden Beitrag zur Lösung des Theodizeeproblems findet C. in dem von der Stoa vermittelten Gedanken der notwendigen Polarität von Gut und Böse in 33,(7-)14 f. bzw. 42,24 f., womit die von ihm vertretene Entscheidungsethik in einen prädestinatianischen Horizont rückt (85, vgl. 95). Die Aussage in 25,24, daß Sünde und Tod durch eine Frau in die Welt gekommen sind, gehört in den Kontext der Reflexion über die schlechte Frau, ist aber (wie z. B. 17,1-24 zeigt) nicht systematisch in Ben Siras Denken integriert (80, vgl. 59). Sein Lobpreis der Väter als exempla fidei läßt sich am angemessensten als ein encomium bezeichnen und besitzt seine Analogien in der hellenistischen Literatur (98-100 f.). 50,25-27 dürften eine jüngere Erweiterung des ursprünglichen Buchschlusses in 50,22-24 darstellen (107). Eine messianische Erwartung Ben Siras läßt sich nicht nachweisen, der zwischen 51,12 und 13 (G) eingefügte Psalm mit seinem messianischen Wort in Z. 8 und 9 stammt nicht von ihm (108f.). Auch das Gebet um Befreiung in c.36 dürfte erst während der makkabäischen Krise eingefügt worden sein (111).

Das letzte Kapitel des ersten Teils ist der Wisdom in the Dead Sea Scrolls gewidmet (112-131). In ihm wird außer Ps 154 und 4Q184 und 185 zumal das in sechs fragmentarisch erhaltenen Exemplaren vertretene 4Q Sapiential Work A als Paradigma einer eschatologisch ausgerichteten Weisheit vorgestellt, die sich zusammen mit 1QS 3-4 zwischen Ben Sira und der Sap.Sal. einordnen läßt (117-131).

Der zweite Teil Wisdom in the Hellenistic Diaspora bietet zunächst einen umfassenden Einblick in die Situation der jüdisch-hellenistischen Gemeinden zumal in Alexandrien (135-157). Anschließend wendet er sich unter der Überschrift Jewish Ethics in Hellenstic Dress zunächst den Sentenzen des Pseudo-Phocylides (158-177) zu: Sie sind vermutlich vor der Herrschaft Caligulas (37-41 n. Chr.) entstanden (158) und verfolgen den Zweck, ihre Leser, sie seien Juden oder Griechen (vgl. das Pseudonym, 176), mit dem Verständnis des sittlichen Lebens ihres Verfassers vertraut zu machen (177).

Die beiden folgenden Kapitel sind unter den Überschriften Wisdom and Immortality (178-195) und Wisdom and the Cosmos (196-221) der Weisheit Salomos gewidmet. Wiederum können wir nur wenige signifikante Urteile hervorheben. Obwohl die Ansetzung der Sapientia in Alexandrien hypothetisch ist, kommt auch C. mit Recht zu dem Schluß, daß es keine für eine andere Lokalisierung sprechenden Befunde gibt (178). Zeitlich lasse sich Sap. an jeder Stelle zwischen 30 v. und 70 n. Chr. einordnen. Für die Festlegung auf die Zeit der antijüdischen Pogrome zur Regierungszeit des Kaisers Claudius (37-41 n. Chr.) fehlt gegen David Winston die Textbasis, da Sap. 2 keinen historischen Kommentar zu bestimmten Ereignissen, sondern ein gleichsam philosophisches Argument zugunsten einer in Gerechtigkeit geführten Lebens darstellt (179, vgl. auch 194 f.).

Der Verfasser der Sap. greift in 1,1-6,21 zumal auf apokalyptische Traditionen zurück, bedient sich in 6,22-9,18 reichlich der philosophischen Terminologie und entwickelt in c. 10-19 eine homiletische Entfaltung der biblischen Geschichte (182). Das Fehlen der üblichen ethisch-sozialen Unterweisungen findet in der Relativierung der traditionellen Werte durch die Ausrichtung des ganzen Lebens auf die Unsterblichkeit ihre Erklärung. Daß sie trotzdem im Hintergrund stehen, zeigt ihre Ableitung aus der Idolatrie als der Ursünde in 14,22-28 (vgl. Röm 1,24 ff.) (190 f.). Dabei ist die Unsterblichkeitshoffnung ausweislich von 8,19 f. und 9,15 platonisch beeinflußt (185), Verse, die der Referent freilich in partieller Übereinstimmung mit Dieter Georgi als Nachtrag zu beurteilen vorgeschlagen hat.

Uneingeschränkte Zustimmung verdient C.s Feststellung, daß die von Ben Sira vollzogene Gleichsetzung von Weisheit und Tora vorausgesetzt und das mosaische Gesetz vermutlich als Verkörperung des universalen Gesetzes betrachtet wird (vgl. 2,12; 6,4 und 6,17-20 mit 18,4) (192). Obwohl die Weisheit in der Sap. eindeutig ein zwischen Gott und Welt vermittelndes kosmisches Prinzip ist, wohnt sie anders als bei Ben Sira nicht schlechthin in Israel, sondern im Einzelnen, sofern er gerecht ist. Dabei stammt ihr Verständnis als eines kosmischen Prinzips aus der Stoa, aber ihre Mittlerstellung zwischen Gott und Welt (vgl. 7,25 f.,) aus dem Platonismus (199 f.) und gemäß der eigentümlichen Verbindung zwischen stoischem und platonischem Gedankengut mit David Winston genauer aus dem Mittelplatonismus (mit Philo als der nächsten Entsprechung) (200-202), wobei ihre Charakterisierung wie schon bei Ben Sira unter Einfluß der Isis-Aretalogien steht (203 f.).

Entscheidend in Sap. ist freilich die Mittlerstellung der Weisheit zwischen Gott und Mensch, dem sie die Erkenntnis Gottes vermittelt. Dabei verleiht sie dem Menschen keine übernatürliche Erkenntnis, sondern vollendet seinen natürlichen Zustand, indem sie die Mängel seiner körperlichen Existenz kompensiert (205). Trotzdem bleibt es in 13,1-9 (dessen Beweisgang wieder bei Philo, De Decal. 52-54 seine nächste Entsprechung besitzt, 208), eigenartig offen, ob die Verkennung des in seinen Werken offenbaren Gottes schuldhaft oder nicht ist (205 f.). Aber während der irrende Philosoph Respekt verdient, verdient der Götzendiener in Übereinstimmung mit dem aufgeklärten Griechentum lediglich Verachtung (13,10-14,31 und 15,7-19) (209-213). Die Sap. 10-19 füllende Lesung der biblischen Geschichte ist, wie schon der willkürliche Umgang mit der Abfolge der Ereignisse und die anonyme, sich auf die Charakterisierung beschränkende Vorstellung der Personen zeigt, typologisch und exemplarisch (214). Dabei dient der Kosmos mit seinen für den Menschen bestehenden Ambivalenzen wie bei Sir. 39,28-31 den Zwecken Gottes, indem sie den Guten nützen und die Bösen bestrafen (Sap.11,5) (217). Schon die Aufnahme des stoischen Konzepts der philanthropia (Sap. 1,6; 7,23; 12,19) zeigt, daß die Sap. in ihrem Ansatz universalistisch ist, ihn ihr Verfasser aber als Jude in der konkreten Situation Alexandriens nicht durchhalten konnte, sondern die Gerechtigkeit mit der Erfüllung des jüdischen Gesetzes identifizieren mußte (218-221).

Dann zieht das zwölfte und letzte Kapitel als Epilogue: From Hebrew Wisdom to Greek Philosophy die Summe (222-232), indem C. einerseits den von ihm sachgemäß zugrundegelegten engeren Begriff der Weisheitsliteratur als primär instruktioneller und partiell reflektierender Art als sein im Fortgang der Darstellung bewährtes Auswahlkriterium vorstellt und andererseits den inneren Zusammenhang des in den vorgestellten Schriften von den Weisheitslehrern zurückgelegten Weges herausarbeitet. Sie strebten nicht nach Originalität, sondern spiegeln den jeweiligen kulturellen Konsens mit seinem je bestimmten Realitätsverständnis (225). Im Denken Sirachs spielten hellenistische Ideen nur eine bescheidene Rolle. Gegenüber der an Boden gewinnenden Vorstellung von einer Vergeltung im afterlife hielt er an der deuteronomistischen Entscheidungsethik fest (226). Wesentlich stärker hellenistisch beeinflußt erweist sich 4Q Sap.Work A, in dem auch die traditionellen weisheitlichen Themen in den Zusammenhang einer eschatologisch orientierten, nur einer erwählten Minderheit aufgrund einer besonderen Offenbarung einsichtigen Ethik rückten (226).

Mit der Betonung des Toragehorsams zeigt das Werk den Zusammenhang mit der Weisheit der Schule Ben Siras, gibt aber keine Auskunft über die Herkunft der Apokalyptik (227), für deren beide älteste Vertreter I Hen und Daniel die Reflexion über die Tora nicht charakteristisch ist. Daher spiegele Sap.Work A zwar den Einfluß der Apokalyptik auf die Weisheit, aber nicht den der Weisheit auf die Apokalyptik (227 f.). Auch wo sich Weisheit und Apokalyptik wie in I Hen 91-104 überschneiden, bleibt der Unterschied zwischen beiden dadurch gewahrt, daß der Apokalyptiker sich bei seiner Belehrung statt auf die Tradition auf die eigene Inspiration beruft (228 f.). Der Verfasser der Sap.Sal. hat dagegen die apokylptischen Elemente (teilweise!) in die Sprache der griechischen Philosophie übersetzt, indem er die platonische Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele übernahm. Obwohl er den Glauben an den transzendenten Schöpfergott für die Vernunft zugänglich hielt, beruht der seine doch ganz offensichtlich auf dem der eigenen Herkunft gemäßen Glauben (230). Noch offensichtlicher ist die Spannung zwischen der universalistischen Aussage in 11,26, daß der Schöpfer alles liebt, was er geschaffen hat, und dem partikularistischen Erwählungsglauben, der Israel als Gottes Volk betrachtet (230). Auf der anderen Seite hat der Versuch der philosophischen Auslegung der Tradition unter dem Gesichtspunkt der Unsterblichkeit zu einer asketischen Umwertung von für Ben Sira selbstverständlichen Werten geführt, so daß asketische Ehelosigkeit und früher Tod positiv bewertet werden können (231). Dagegen hielt er im Gegensatz zur allgemeinen griechischen Kultur und Übereinstimmung mit deren aufgeklärteren Philosophen an der jüdischen Ablehnung von Idolatrie, Kindestötung und sexuellen Abweichungen fest (231). Zusammen mit Philo hat die Sap.Sal. der mit dem Apostel Paulus einsetzenden christlichen natürlichen Theologie den Weg bereitet (231 f.).

Eine Bibliographie (233-256), ein Stellenregister (257-270) und ein Autorenverzeichnis (271-275) dienen der Vertiefung des Studiums bzw. der Erleichterung des Gebrauchs des Buches Angesichts seiner souveränen Beherrschung und geistigen Durchdringung des Stoffs sollte John J. Collin’s Darstellung zur Pflichtlektüre jedes historischen Theologen gehören. Durch seine klar formulierten und begründeten Thesen fordert es ebenso die weitere Forschung zur Stellungnahme heraus wie es den mit dem Gebiet nicht vertrauten Leser zuverlässig in die Spätgeschichte der jüdischen Weisheit als einer Größe sui generis wie als Vorgeschichte der christlichen natürlichen Theologie einführt. Sie steht vor demselben Problem wie die Weisheit Salomos, wie sich die natürliche Theologie mit einer solchen der Offenbarung vereinbaren läßt.