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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

952–954

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Transzendenz und säkulare Welt. Lebensorientierung an letzter Gegenwart.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XIV, 293 S. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-16-153836-0.

Rezensent:

Jürgen Werbick

Der Untertitel dieses Buches von Ingolf U. Dalferth markiert den roten Faden der hier zusammengestellten und überarbeiteten Beiträge wie den Umkreis der theologischen bzw. religionsphilosophischen Fragen, der dabei abzuschreiten ist. Zu klären ist, in welchem Sinne hier – in Unterscheidung von religiösen oder nichtreligiösen Einstellungen oder Lebenskonzepten – von Lebensorientierung geredet wird. Es ist deshalb zu erläutern, wie solche Orientierung von der Selbstvergegenwärtigung der Gegenwart Gottes, also der letzten Gegenwart getragen wird. Klärung wird – bei diesem Autor nicht überraschend – mit Klarstellungen erreicht, die der analytischen (Religions-)Philosophie verpflichtet sind. Sie wird in elementaren Unterscheidungen geltend gemacht, die den christlichen Glauben als solchen ausmachen und ihn von Überzeugungen unterscheiden, die sich nicht am Gegenwärtigwerden der letzten Gegenwart orientieren orientieren.
Lebensorientierung vollzieht sich in Unterscheidungen, in de­nen sich entscheidet, wie man lebt und welche Folgeentscheidungen das nach sich zieht. Die Orientierung an letzter Gegenwart vollzieht die Selbstunterscheidung Gottes nach, in der er sich von sich selbst unterscheidet, da er eine Welt von sich unterscheidet und ihr in letzter Entschiedenheit als Liebe gegenwärtig wird, den Menschen zum Nächsten wird, so dass sie sich zu ihm verhalten oder eben nicht verhalten können. Diese Selbstunterscheidung Gottes lässt die Welt weltlich sein; sie provoziert – wo sie glaubend und theologisch wahrgenommen wird – die Entzauberung der Welt, den Raum einer säkularen Selbsttranszendierung des Menschen, die freilich niemals in Gottes Transzendenz hineinführt. Gegenüber der horizontal differenzierenden Leitdifferenz säkular/reli-giös ist theologisch die vertikale Leitdifferenz Gott – Welt (Schöpfer – Geschöpf) geltend zu machen, in der allein sich die Frage nach der Wahrheit des Lebens stellt, die Frage danach, »was ein menschliches Leben – jedes einzelne menschliche Leben auf je seine Weise– trotz aller Dürftigkeit, Unzulänglichkeit, Beschädigung, Falschheit, Verworrenheit wahr und gut und recht macht« (44). Das kann »nichts in unserem Leben selbst sein, nichts, was wir sind oder tun oder von uns aus werden können, sondern nur etwas, was unserem Leben so vorgegeben ist, dass es nicht an demselben Ambivalenzen teilhat, aus denen es herausführen soll« (45). Es muss freilich im menschlichen Leben verändernd zur Wirkung kommen und so »eine Vorgabe sein, die unser Leben nicht ohne uns, aber nicht allein durch uns so verändert und bestimmt, dass die Hoffnung auf ein wahres, gutes und gerechtes Leben nicht enttäuscht wird« (45). Nur freilich, »wenn sich die Transzendenz Gottes in der Immanenz als letzte Gegenwart erschließt«, kann sie »zum maßgeblichen Bezugspunkt der Lebensorientierung« werden, kann sie von den Glaubenden »als Gegenwart der kreativen Liebe verstanden [werden], die Ursprung und Ziel all der guten Gaben ist, die dem Leben in wechselnden Gegenwarten in unterschiedlichen Graden zukommen und die dieses nicht selbst schaffen oder erhalten kann« (274.272). Die Leitdifferenz Transzendenz/Immanenz bzw. Schöpfer/Schöpfung ist in dem Sinne streng asymmetrisch be­stimmt, dass sie in ihrer letztgültigen Bedeutung nur aus und aufgrund der Selbstvergegenwärtigung der Transzendenz/des Schöpfers bestimmbar wird, weshalb Gott nicht »von der Welt her als Schöpfer verstanden werden [kann], sondern nur aus sich selbst und dadurch von jemandem, dem Gott sich als Gott erschließt« (277). So ist auch theologisch zur Geltung zu bringen, dass der Mensch niemals von sich aus zum Glauben an den Schöpfer kommen oder sich dazu entscheiden kann. Der Glaube ist »von Anfang bis Ende Gabe und Geschenk, und nur so ist er das, was Menschen wahr macht und menschliches Leben recht« (284). Und in diesem Sinne wäre zu sagen, dass der Glaube »die konkrete Einbeziehung eines Menschen in die Gegenwart der göttlichen Liebe in Jesus Christus bzw. die konkrete Vergegenwärtigung der Inkarnation im Leben eines Menschen [ist], die dessen Identität vor Gott durch Zueignung der Identität Christi konstituiert« (285).
D.s Buch dient in allen seinen Teilen der Begründung und der Auslegung dieser Leitunterscheidung, an der sich entscheidet, ob man sinnvoll vom christlichen Glauben spricht und sich auf rechte Weise in der Welt auf Transzendenz, auf Gottes letzte Gegenwart bezogen weiß. Das Herausfordernde dieses Konzepts wird vielleicht nicht sofort sichtbar, so nachdrücklich es D. immer wieder zur Sprache bringt. Einem katholischen Theologen mag es vor allem im Blick auf D.s Unterscheidung von Glaube und Vernunft diskussionswürdig sein. Glaube und Unglaube sind – so D. – keine Optionen, zwischen denen man neutral wählen könnte; es gehört nicht zu den Möglichkeiten des Menschen, auch nicht zu denen seiner vernünftigen Selbstbestimmung, sich zum Glaubenden zu machen. Man verdankt seinen Glauben »nicht sich selbst, sondern allein Gott« (153). So erscheint es abwegig, den Glauben gegen die Einwände der Vernunft zu verteidigen, gar zu immunisieren. Man würde der Vernunft damit zugestehen, dass sie die unparteiliche Richterin über die Glaubbarkeit des Glaubens wäre. Gleichwohl ist der Glaube herausgefordert, sich über die Vernunft des Glaubens Rechenschaft zu geben und ihn in diesem Sinne zu verteidigen: nicht vor der Vernunft, sondern mit der Vernunft. Der Glaube nimmt die Vernunft für sich in Anspruch, um sich einsichtig zu werden. Aber er lässt sich nicht dafür in Anspruch nehmen nachzuweisen, dass er sich den Ansprüchen der Vernunft unterwirft. Weiß sich also die Vernunft des Glaubens in dem Sinne von der Vernunft des Unglaubens geschieden, dass sie es gar nicht darauf anlegen kann, sich ihr gegenüber als die »vernünftigere Vernunft« auszuweisen? D. grenzt sich hier gegen die »abwegige Denkform« ab, die »nach wie vor die Debatten in der katholischen Fundamentaltheologie« beherrsche (156). Abwegig wäre es tatsächlich, den Glauben dadurch zur Möglichkeit des Menschen zu machen, dass man ihn als im Prinzip unabdingbare Konsequenz einer recht gebrauchten Vernunft auszuweisen versucht. Aber ist es auch abwegig, der Glaubenszuversicht, sich argumentativ verantworten zu können, dadurch Geltung zu geben, dass man sich mit der »Vernunft des Unglaubens« um den rechten Gebrauch der Vernunft streitet und dies in der Zuversicht, die besseren Argumente formulieren zu können? So würde ich das Verfahren der katholischen Fundamentaltheologie beschreiben. Die menschliche Vernunft wird nicht als übergeordnet-neutrale Instanz anerkannt, vor deren Richterstuhl sich der Glaube zu verantworten habe. Vielmehr wird unterstellt, dass sich im Streit der Argumente für alle prinzipiell nachvollziehbar erweisen können muss, welche Lebensorientierung »vernünftiger« ist, ohne dass mit dem Ausgang des Streits (der nie definitiv erreicht sein wird) die Zuversicht verbunden sein könnte, dass er den Glauben zu einer Sache vernünftigen Nachdenkens machen würde. Das argumentative Engagement katholischer Fundamentaltheologie resultiert aus der Verpflichtung, über die nicht herleitbare höchste Güte des Geschenks, die den Menschen mit der Selbstvergegenwärtigung Gottes als Liebe gemacht wird, so vernünftig Rechenschaft abzulegen, dass diese Güte auch Menschen überzeugen kann, die überzeugende Gegenargumente meinten formulieren zu müssen. Ob ihnen diese Güte dann als das, worüber ihnen Größeres nicht gegeben werden kann, auch einleuchtet und als Lebensorientierung zugänglich wird, steht auf einem anderen Blatt. Das bleibt unableitbar und unbegründbar Gabe.
Katholische Fundamentaltheologie könnte lernen, solche Un­terscheidungen ernster und theologisch prinzipieller zu nehmen. D. wäre zu bitten, ihr Verfahren nicht von vornherein als abwegig einzuordnen. Der Rezensent gesteht, dass er die Fragen, die hier fundamentaltheologisch nicht nur am Glaubensbegriff, sondern an der Lebenswirklichkeit des Glaubens aufbrechen, selbst noch nicht annähernd überblickt. D. ist zu danken, dass er sie mit seinen Unterscheidungen so »radikal« forciert, dass sie auch im ökumenischen Gespräch nicht mehr zu überhören sind.