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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

930–934

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Walter, Peter

Titel/Untertitel:

Syngrammata. Gesammelte Schriften zu Humanismus und Katholischer Reform. Hrsg. v. G. Wassilowsky.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 432 S. = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Supplementbd. 6. Geb. EUR 59,00. ISBN 978-3-402-11585-5.

Rezensent:

Markus Wriedt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Walter, Peter: Syngrammata. Gesammelte Schriften zu Theologie und Kirche am Mittelrhein. Hrsg. v. C. Arnold. Würzburg: Echter Verlag 2015. 648 S. = Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte, 8. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-429-03815-1.


Zu Ehren des Freiburger Ordinarius der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Direktors der Arbeitsbereiche Dogmatik und Quellenkunde der Theologie des Mittelalters (Raimundus-Lullus-Institut) Peter Walter sind insgesamt drei Bände mit seinen Aufsätzen, leider auch in drei verschiedenen Verlagen, erschienen. Die kirchenhistorisch relevanten werden in dieser Besprechung vorgestellt. W. gehört zu den in besonderer Weise integren und loyalen katholischen Theologen, die für den ökumenischen interkonfessionellen Dialog von unschätzbarer Bedeutung sind. Er ist ungemein produktiv und hat in selbstloser Weise zahlreiche zeit- und kräftezehrende Ämter in Kirche und Universität wahrgenommen. Nach dem Studium der Fächer Philosophie und Theologie in Mainz und Rom wurde er 1980 mit einer Arbeit über das Erste Vaticanum zum Dr. theol. promoviert. Nach kurzer Zeit im seelsorgerlichen Dienst in der Diözese Mainz arbeitete er seit 1984 als wissenschaftlicher Assistent an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen und konnte sich 1989 mit einer bahnbrechenden Arbeit über die Schriftauslegung des Erasmus von Rotterdam habilitieren. Von 1990 bis 2015 war er als Lehrstuhlinhaber in Freiburg tätig. Bereits 1991 wurde er Mitglied des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und ka­tholischer Theologen (vormals Jaeger-Staehlin-Kreis). Seit 2001 ist er auch als Berater der Kommission für Glaubensfragen der Deutschen Bischofskonferenz tätig. Sein hohes Ansehen führte dazu, dass W. 2002 Vertreter der römisch-katholischen Theologie in der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde. Er ist weiterhin korrespondierendes Mitglied der Reial Acadèmia de Bones Lletres in Barcelona. 2005 wurde er zum Präsidenten der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte gewählt und übernahm den Vorsitz in der Gesellschaft zur Herausgabe der Schriften des Corpus Catholicorum in enger Zusammenarbeit mit der Görres-Gesellschaft. W.s tiefschürfende Quel lenkenntnis, seine Loyalität zur römisch-katholischen Kirche, seine gleichwohl kritische Haltung zu verschiedenen Entwicklungen machten ihn zum gesuchten Gesprächspartner in Universität, Kirche und ökumenischen Vereinigungen. Dass dennoch zu seinen Ehren keine Aufsatzsammlung von Gratulatoren veröffentlicht wurde, sondern vielmehr sein umfassendes Œuvre aus weitverstreuten Publikationsorten zusammengetragen wurde, entspricht seinem Selbstverständnis. Um der Sache willen sind seine Beiträge geschrieben. Das klingt in aller gebotenen Nüchternheit auch aus den Beiträgen der beiden vorliegenden Bände heraus.
Der Titel der dreibändigen Festgabe stammt aus der Übersetzung der griechischen Inschrift, die Albrecht Dürer 1526 auf sein Porträt des Erasmus von Rotterdam schrieb: »Noch besser werden [ihn] seine Schriften [Syngrammata] zeigen.« Kaum passender hätte man die Sammlung überschreiben können. Der von Claus Arnold, Mainz, herausgegebene Band mit Schriften zu Theologie und Kirche am Mittelrhein enthält insgesamt 26 Aufsätze und Mis­zellen vorzugsweise territorialgeschichtlicher Provenienz und einige auch durchaus in allgemeinverständlicher, um nicht zu sagen populärer Form. Ein Vorwort von Karl Kardinal Lehmann, dem Bischof von Mainz, dem W. einige Jahre als Kaplan zuarbei-tete, zeichnet kollegial-freundschaftlich die Karriere des Geehrten nach und ordnet ihn und sein Werk vor allem dogmatisch-theologiehistorisch ein. Er beginnt mit drei Beiträgen zu Hildegard von Bingen, die freilich allesamt lange vor der in den letzten Jahren betriebenen Heiligsprechung und Erhebung der gelehrten Nonne vom Rupertsberg bei Bingen am Rhein zur Kirchenlehrerin im Jahr 2012 verfasst wurden. Sie beschäftigen sich mit ihrer Theologie, dem Verständnis der Heiligen und vor allem der Mariologie Hildegards, die W. in der klösterlichen Lebensgemeinschaft des Konvents verortet. Schon diese, noch mehr allerdings die nachfolgenden Aufsätze zum Humanismus am Mittelrhein sind von stupender Ge­lehrsamkeit und versuchen mit sachbezogener Quelleninterpre-tation hypertrophen Wertungen entgegenzuwirken.
Diese zehn thematisch konzentrierten Aufsätze nehmen neben bekannten humanistisch geprägten Gestalten wie Albrecht von Brandenburg, Erasmus von Rotterdam, Sebastian Münster oder Rudolf Agricola auch eher unbekannte Persönlichkeiten in den Blick. So etwa Martin Rifflinck, den gelehrten Abt des Klosters Eberbach im Rheingau. Seine Studienzeit im Jakobskolleg, dem Studienhaus der Zisterzienser in Heidelberg, hat W. rekonstruiert und dabei auch das akademische Umfeld und dessen Prägung aufgrund einiger überlieferter Handschriften herausgearbeitet. W. vermeidet vorschnelle Charakterisierungen und deutet die letzten Auswirkungen des artistischen Wegestreites als Teilfacetten der theologischen Stellungnahme etwa zum Ketzerprozess gegen den Prediger Johannes Rucherat von Wesel, ohne sie zu stark zu ge­wichten.
Weitere Aufsätze betreffen den Einzug humanistischen Denkens an den Mainzer Hof, etwa bei dem Wormser Bischof Johannes von Dalberg und der bedeutenden Stellung, die Rudolf Agricola dort einnahm, etwa als Verfasser einer Rektoratsrede für Johannes von Dalberg oder seiner Gratulationsrede zum Regierungsantritt Innozenz VIII. Zwei Aufsätze widmen sich dem nur Eingeweihten bekannten Humanisten Dietrich Gresemund (1477–1512), der nach umfangreichen Studien in Mainz, Padua, Bologna, Heidelberg und Rom schließlich in Mainz zu klerikalen Ehren gelangte und sesshaft wurde. W. untersucht an seinem Beispiel das Vordringen humanistischer Gelehrsamkeit in die außerhalb des Bischofshofes liegenden Bereiche, wie beispielsweise des Stephansstiftes. Gleichsam als Nebenprodukt seiner Studien ediert W. eine eindrücklich im humanistischen Stil verfasste Predigt Gresemunds.
Ein Kleinod historischer Akkuratesse ist der Aufsatz über den Aufenthalt des Mainzer Generalvikars und Domscholasters Dietrich Zobel von Giebelstadt im Arnsburger Hof. Er rückt die Hochschätzung dieses Adelshauses und seiner Bedeutung für den rheinischen Humanismus vor dem Hintergrund belastbarer Quel-lenfunde zurecht und entlarvt die in manchen Handbüchern ent­haltenen Interpretationen als »schönen Traum« (323).
Gleichermaßen ist auch die Interpretation eines Traktats des Ingelheimer humanistischen Gelehrten Sebastian Münster in der Freiburger Universitätsbibliothek ein Meisterstück solider Quellenanalyse. Neben der didaktischen Zurüstung – der Titel dieser Arbeit »Vom Suchen und Finden in der Freiburger UB« betrifft im­mer mehr von der archivalisch-bibliothekarischen Kärrnerarbeit entwöhnte Studierende – enthält die Studie eben auch allgemeinverständlich aufbereitet Methodenschritte zur Interpretation dieses fraglos humanistischen Pamphlets, welche erste Bezüge zum reformatorischen Gedankengut Martin Luthers aufweist. Weniger deswegen, wohl aber wegen der in dem Quellenstück aufweisbaren Bezüge zur gelehrten Stimmung am Anfang des 16. Jh.s entwickelt sich der Quellenfund in der Bearbeitung von W. vom Aschenputtel zur attraktiven Königstochter (350).
13 kürzere Beiträge zur Geschichte des Bistums Mainz bilden den dritten Teil des Bandes. Zum einen dokumentiert sich in ihnen eine tiefe Verbundenheit zur eigenen Heimat W.s, zum anderen seine kritisch-loyale Haltung zu Kirche und ihrer Hierarchie. Ne­ben mit einigem Lokalkolorit verfassten Beiträgen zu Bingen-Büdesheim finden sich Überblicksartikel zur Wormser Liebfrauenpfarrei und zur theologischen Ausbildung des Mainzer Klerus. Von besonderem Wert sind die kleinen biographischen Studien zu den Mainzer Bischöfen Johann Baptist Heinrich, Wilhelm Emmanuel (von) Ketteler, Peter Tischleder, Albert Stohr, Herman Kardinal Volk und Josef Maria Reuß. Die biographische Würdigung wird stets kontextualisiert und so werden Blicke auf – scheinbar – wichtigere Ereignisse der Zeit- und Kirchengeschichte ermöglicht. Be­sonders hervorgehoben sei der Beitrag zu dem Mainzer Bischof in der Zeit nationalsozialistischer Gewaltherrschaft Peter Tischleder, der – entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil – sich nicht brechen ließ und aus seiner republikanischen Überzeugung keinen Hehl machte. Zugleich dokumentiert der Beitrag neben der Biographie des zu Unrecht vergessenen gelehrten Klerikers auch die ungeheuren Schwierigkeiten, das Amt unter den Bedingungen des menschenverachtenden Nationalsozialismus sinnvoll und ohne falsch verstandenen Zeugniseifer durchzuhalten.
Aus den Beiträgen wird deutlich, in welch hohem Maße die jüngeren Mainzer Bischöfe sich in der akademischen Lehre engagierten und wie andererseits die theologische Arbeit von den älteren auch in krisenhaften Zeiten nicht ruhte. Dass das gesellschaftliche – und behutsam politische – Engagement der Bischöfe dabei bei aller erforderlichen Kritik das sentire cum ecclesia niemals aus dem Blick verlor und so in großer Loyalität zu Rom sich vollzog, charakterisiert diese Männer der Mainzer Kirchengeschichte ebenso wie ihren historischen Bearbeiter.
Der andere von Günther Wassilowsky, Innsbruck, herausgegebene Band enthält 21 gesammelte Schriften zu Humanismus und Katholischer Reform. Im Zentrum und in qualitativ überwiegender Masse stehen die elf Beiträge des ersten Abschnittes zu Erasmus von Rotterdam. Der in seiner zweiten Graduierungsschrift intensiv untersuchte Fürst der Humanisten hat W. nie mehr losgelassen. Von besonderem Gewicht sind dabei – der willkürlichen Selbsteinschätzung des Rezensenten folgend – die Beiträge zur Rezeption des altkirchlichen Erbes bei Erasmus. Dazu zählen freilich nicht nur die sogenannten »Kirchenväter« wie Gregor von Nazianz oder Origenes – Letzteren schätzt Erasmus entgegen den in dieser Hin sicht übereinstimmenden theologischen Grundüberzeugungen am Beginn der konfessionellen Systemkonkurrenz als freien Geist außerordentlich hoch –, sondern auch das Erbe der Antike, etwa Seneca. W. dokumentiert sorgsam und auf ausgezeichnete Quellenkenntnis fußend das intellektuelle Netzwerk, in dem Erasmus eine wichtige, nicht immer freilich die wichtigste Rolle spielte. Dass die Traditionsbezüge bei Erasmus in erster Linie der Schriftauslegung dienten, kann nicht genug betont werden. Zugleich tragen die detailreichen Beiträge erheblich zur Differenzierung des Bildes von Humanismus und den verschiedenen reformorientierten Strömungen am Beginn des 16. Jh.s bei.
Der mehr allgemein mit »Humanismus« überschriebene zweite Teil der Sammlung thematisiert die humanistische Inanspruchnahme der Vergangenheit am Beispiel Karls des Großen und Senecas. Diese rezeptionsgeschichtlichen Studien verbinden sich sehr gut mit den Arbeiten zu Melanchthon und seiner behutsamen Wiederaufnahme eines Traditionsprinzips auch innerhalb der reformatorischen Theologie. Dass so Melanchthon auch zum Wegbereiter der Ökumene werden konnte, wird abschließend in einem Beitrag beleuchtet.
Gerade vor dem Hintergrund des 450. Jahrestages des Konzils von Trient sind vier Beiträge im letzten Teil zu nennen, welche theologische Weichenstellungen, aber auch institutionelle Folgen des Reformkonzils rekonstruieren. W. zeichnet die Gründung des Collegium Germanicum et Hungaricum nach, wendet sich aber auch den u. a. durch die reformatorische Kritik wichtig gewordenen De­batten zur bleibenden Sündhaftigkeit der Getauften, der Rechtfertigungslehre und dem darin enthaltenen Glaubensverständnis sowie dem römischen Katechismus als einer Zusam-menfassung römisch-katholischer Glaubensüberzeugungen zu. Er­neut spielt auch hier der Quellenbefund eine zentrale Rolle, der W. immer wieder daran hindert, auf die Züge theologischer Trends aufzuspringen und seine historische Arbeit in deren Dienst zu stellen. In der Verlässlichkeit der historisch-kritischen Arbeit ist W. zum überzeugenden und wichtigen Gesprächspartner der gegenwärtigen interkonfessionellen Ökumene geworden. Weder falscher Konsens, der die Unterschiede verkleistert, noch profilierter Dissens sind seine Sache, sondern die Aufarbeitung der historischen Entstehung von Differenzen und die Frage nach deren bleibender Gültigkeit in der Gegenwart unter den Bedingungen gewandelter Gesellschaft und Kirche.
Immer wieder findet sich bei W. der Begriff der Spurensuche, mit dem die akribische historische Arbeit von W. sehr gut charakterisiert wird. Weniger die große Theorie, der spektakuläre Fund oder die Zusammenführung von Gedankenwelten zeichnen seine Beiträge aus als vielmehr die sorgfältige, zuweilen kleinteilige Quellen- und Handschriftenarbeit in Archiven und Bibliotheken. Diese Spuren aufzuweisen und so anderen Gelehrten den Weg zu zeigen, ist das unschätzbare Verdienst von W. und seinen Aufsätzen, die nun in einer geschlossenen Ausgabe vorliegen und nur jedem an der Geschichte der Kirche in regionaler Konzentration auf den Rhein und die dort gelegenen Diözesen Interessierten wärmstens empfohlen seien.