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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

923–924

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Willershausen, Andreas

Titel/Untertitel:

Die Päpste von Avignon und der Hundertjährige Krieg. Spätmittelalterliche Diplomatie und kuriale Verhandlungsnormen (1337–1378).

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter (Akademie Verlag) 2014. 474 S. Geb. EUR 99,80. ISBN 978-3-05-006336-2.

Rezensent:

Heinrich Holze

Bei der vorzustellenden Publikation handelt es sich um eine 2010 an der Universität Augsburg eingereichte Dissertation. Sie reiht sich ein in mehrere Studien, die unter der Leitung von Martin Kaufhold am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte zum Papsttum in Avignon entstanden sind (Stefan Weiß: Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln, 2002; Julius Leonhard: Genua und die päpstliche Kurie in Avignon, 2013; Sebastian Zanke: Johannes XXII, Avignon und Europa, 2013). Andreas Willershausen lenkt in seiner Arbeit den Blick auf den mehr als ein Jahrhundert dauernden Konflikt zwischen den Königtümern von England und Frankreich, bei dem es neben strittigen territorialen Fragen vor allem um das dynastische Problem konkurrierender Thronansprüche ging. Im Fokus steht die Rolle des Papsttums, das zu Beginn des 14. Jh.s von Rom nach Avignon gezogen und damit zu einem Machtfaktor in der französischen Politik geworden war.
Eingangs referiert der Vf. den Stand der Forschung zur Ge­schichte des Papsttums von Avignon und entwickelt die eigene Fragestellung anknüpfend an die von Gert Althoff geprägte Ritual- und Konfliktforschung (15–55). Der Fokus ist darauf gerichtet, mit welchen Mitteln und Methoden sich der päpstliche Hof in Avignon durch seine Gesandten als ein zentraler und zugleich differenziert agierender Akteur der Diplomatie und Vermittlung in die Konflikte der Zeit einschaltete. Der Vf. entfaltet seine Untersuchung auf einer breiten Quellengrundlage (56–86). Dazu gehören diploma- tische Rechtsquellen sowie die Korrespondenzen der beteiligten Konfliktpartner. Außerdem werden erzählende Quellen unterschiedlicher Provenienzen herangezogen. Nach einem kurzen Überblick über den Verlauf des Hundertjährigen Krieges (86–91) untersucht der Vf. im Hauptteil der Arbeit in diachronischer Perspektive das diplomatische Wirken der Päpste in der Zeit vom Ausbruch des Krieges bis zum Vorabend des abendländischen Schismas (95–317). Die Überschrift »Viae Pacis« ist programmatisch. Der Vf. nimmt mit ihr eine Formulierung Benedikts XII. auf, der in einem Brief vom Juni 1337 angesichts der ausbrechenden Kriegshandlungen den Auftrag des Stellvertreters Christi mit den Worten be­schrieb, »unablässig für die Gesamtheit der Christen über Wege des Friedens nachzudenken« (15, Anm. 2).
Im Hauptkapitel untersucht der Vf. an sieben Fallbeispielen, die für unterschiedliche Zeiten, Orte und Konstellationen stehen, wie die Päpste und ihre Gesandten das ihnen zur Verfügung stehende »diplomatische wie symbolische Kapital« (150) in den Konflikten einsetzten, um zwischen den Parteien einen Interessenausgleich herbeizuführen. Auch wenn sich die Päpste einer einseitigen Parteinahme verweigerten, hatten doch ihre Interventionen nur begrenzt Erfolg. In Abgrenzung von der bisherigen Forschung hält der Vf. dennoch daran fest, dass die Waffenstillstände und Friedensschlüsse die »rechts- und friedensbewahrende Funktion« (259) der Kurie eindrucksvoll dokumentierten. In der Spätphase des Untersuchungszeitraums ließ jedoch die »weitgehende Ergebnislosigkeit der Friedensverhandlungen« (316) den abnehmenden Einfluss des Papsttums am Vorabend des Großen Abendländischen Schismas erkennen. Im dritten Kapitel werden aufbauend auf die Fallstudien die »Strukturen und Wirkungsweisen päpstlicher Di­plomatie« (319–397) in synchroner Perspektive beschrieben. Der Vf. begründet das »Selbstverständnis der Päpste als Vermittler« mit dem »Amtsverständnis als oberste Hirten« (319) und der »Rolle als Vikar des himmlischen Königs« (322). Interessant ist sein Hinweis auf einen Zusammenhang mit den Kreuzzügen, da aus Sicht der Päpste die Hilfe für die bedrohte Christenheit im Heiligen Land auch »die Notwendigkeit einer päpstlichen Konfliktintervention« im Abendland legitimierte (325).
Weitere Themen, die erörtert werden, sind die diplomatischen Mittel der kurialen Friedenspolitik, die sich nicht wesentlich von denen weltlicher Konfliktlösung unterschieden, die Implikationen der Ortswahl als Stätten der Entscheidungsfindung, wobei die Wahl von Brügge die abnehmende Bedeutung von Avignon zeigte, sowie die Rolle der Apostolischen Nuntien »als selbstbewusster und in ihrem Einsatzgebiet bestens vernetzter Vermittlerpersönlichkeiten« (404). Im letzten Kapitel wird »die Bedeutung symbolischer Kommunikation bei Vertragsabschlüssen des Hundertjährigen Krieges« (391–397) angesprochen. Der Vf. verweist auf rituelle Akte wie »das Vergießen von Tränen oder die Proskynese vor den Verhandlungspartnern« (391) und auf rechtssymbolische Handlungen beim Abschluss eines Friedensvertrages, besonders bei den Eidesleistungen. Er hält aber daran fest, dass »die eigentliche Ex­klusivität der päpstlichen Friedenspolitik« nicht in ihrer geistlichen Dimension gelegen habe, sondern in »der transpersonalen Verpflichtung der Päpste als ein von Amts wegen gebundener Me­diator« (401). Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie mehrere Register schließen die Dissertation ab. Mit ihr legt der Vf. erstmals eine Gesamtdarstellung der Friedensinitiativen der Päpste von Avignon und ihrer Gesandten in den ersten Jahrzehnten des Hundertjährigen Krieges vor.
Der Fokus der Untersuchung ist politik- und diplomatiegeschichtlich. Auf einer breiten Quellengrundlage werden die Me­thoden und Implikationen der päpstlichen Vermittlungsbemühungen analysiert. Die Untersuchung zeigt, das die Päpste und ihre kurialen Gesandten nicht nur Waffenstillstände vermittelten, sondern auch konkrete Konfliktlösungsvorschläge machten und da­mit den Weg zu Friedenschlüssen ebneten. Aus kirchengeschichtlicher Sicht wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Vf. über dieses Ergebnis hinaus auch der Frage nachgegangen wäre, was denn die Päpste, die sich in den vorangehenden Jahrhunderten als Strategen der Kreuzzüge verstanden hatten, veranlasste, zu überpar-teilichen Friedensstiftern zu werden. Gewiss gibt die Arbeit Hinweise auf die religiösen Wurzeln dieses Wandels, doch bleiben sie eher zufällig und werden nicht weiter entfaltet. Ein Blick auf die Augus­tinusdeutung des späten Mittelalters hätte Hinweise liefern und den politik- und diplomatiegeschichtlichen Beobachtungen mehr Tiefenschärfe geben können.