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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

918–920

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Breitenbach, Almut

Titel/Untertitel:

Der ›Oberdeutsche vierzeilige Totentanz‹. Formen seiner Rezeption und Aneignung in Handschrift und Blockdruck.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XIV, 447 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 88. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-153532-1.

Rezensent:

Ulrike Treusch

Media vita in morte sumus – was die mittelalterliche Vergänglichkeitsdichtung zum Thema hat, das Bewusstwerden der eigenen Todesverfallenheit, ist längst Gegenstand internationaler und interdisziplinärer Forschung, darunter auch die Kleinform des Totentanzes, des Dialogs des Todes mit Vertretern der mittelalterlichen Stände, verbunden mit dem Motiv des tanzenden Todes und der tanzenden Toten, mit oder ohne Illustrationen. Nach der 2010 veröffentlichten Dissertation von Rolf P. Dreier (Der Totentanz – ein Motiv der kirchlichen Kunst als Projektionsfläche für profane Botschaften [1426–1650]) mit einer historischen Fragestellung im Kontext der Konfessionalisierung und der 2011 erschienenen Doktorarbeit von Susanne Warda (Memento mori. Bild und Text in Totentänzen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit) am Schnittpunkt von Literatur- und Kunstwissenschaft, liegt nun mit der Studie von Almut Breitenbach eine Arbeit aus der germanistischen Mediävistik vor, mit der die Vfn. 2008 an der Universität Siegen promoviert wurde. Sie nimmt das Forschungsdesiderat nach Einzelstudien und die Frage nach »Funktion und Intention, nach Gebrauch und Rezeption der Totentänze« (7) auf und konzentriert sich dabei auf die Textzeugen des Oberdeutschen vierzeiligen Totentanzes im 15. Jh. Anhand der Text- und Überlieferungsgeschichte erarbeitet sie exemplarisch »zeitgenössische Verstehenshorizonte« (9) sowie »Rezeptions- und Aneignungsformen« (9) und bietet damit eine Spezialstudie im besten Sinne des Wortes!
Nach der Einleitung zu Fragestellung und Methodik sowie der Einordnung des Oberdeutschen vierzeiligen Totentanzes in die mittelalterliche Vergänglichkeitsliteratur (1–58) stellt die Vfn. das Textkorpus vor (59–99), sechs erhaltene Sammelhandschriften und zwei Blockbücher aus der Zeit von ca. 1450 bis 1500. In der Analyse von Überlieferungsgeschichte und primärer Rezeption berücksichtigt die Vfn. kodikologische und paläographische Aspekte ebenso wie die Geschichte der Handschriften und Drucke, ihre Verfasser, Bearbeiter und Schreiber. Nach der Untersuchung der Sammelhandschriften im Rezeptionsraum Kloster (100–119) und außerhalb der Klöster (120–197) forscht sie nach der Rezeption der zwei voneinander unabhängigen Blockbuch-Fassungen (198–217) und stellt, der umfangreichste Teil der Arbeit, exemplarisch die literarische Rezeption des Oberdeutschen Totentanzes in der Schrift ›Vermahnung der geistlichen und weltlichen Stände Deutschlands‹ vor (218–303). Hier zeigt sie, wie der Oberdeutsche Totentanz in einen anderen Text aufgenommen, der neue Text umgearbeitet und im Kontext der Diskussion um die Reichsreform des 15. Jh.s neu akzentuiert wurde als eine Schrift zur g eistlichen Erneuerung. Diese Bearbeitung und Kommentierung, u. a. durch den Augsburger Humanisten Sigismund Gossembrot, erweist den Oberdeutschen Totentanz als geistlichen Text, der offen war für eine Umgestaltung: »Zugleich zeigt sich, wie wenig festgelegt und eindeutig die Botschaft der Totentänze war und wie reduziert ihre Leistung erscheinen muss, wenn sie nicht in ihrem unmittelbaren Kontext betrachtet werden« (299).
Ein ausführliches Schlusskapitel (304–354) zu »Gebrauch, Funktion, Aneignung und Rezeption« des Oberdeutschen Totentanzes sowie zu den Besonderheiten des Totentanzes gegenüber anderen Formen der Vergänglichkeitsdichtung führt das in den vorausgehenden Kapiteln Erarbeitete weiter. Zwei Ergebnisse sind besonders hervorzuheben: In der detaillierten Analyse der Textzeugen des Oberdeutschen Totentanzes gelingt der Vfn. der Nachweis, dass der Totentanz nicht immer für ein laikales, volkssprachliches Publikum konzipiert war, sondern »zunächst mit großer Sicherheit Teil monastischer meditatio mortis« (305) war, die später »übersetzt, vermittelt und nach und nach verschiedenen Verwendungsbereichen angepasst wurde« (305). Zum anderen erarbeitet sie überzeugend, dass die Totentänze innerhalb der mittelalterlichen Vergänglichkeitsliteratur ab ca. 1440 als eigenständiger Texttyp wahr­genommen wurden, der sich gegenüber anderen Formen der Vergänglichkeitsdichtung nicht nur durch die mögliche (beim Oberdeutschen Totentanz nicht erhaltene) Verbindung mit dem Medium Wandgemälde auszeichnete, sondern vor allem durch das Motiv des tanzenden Todes, das breit entfaltet wurde.
Im Anhang (355–408) findet sich lobenswerterweise die Edition der Schrift ›Vermahnung‹ (355–385). Hier wäre zu überlegen gewesen, ob auch ein Wiederabdruck, nicht zwingend eine Neuedition, einer Textfassung des Oberdeutschen Totentanzes sinnvoll und leserfreundlich gewesen wäre, auch wenn in dessen Inhalt eingeführt wird (vgl. 80–91). Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und mehrere, sorgfältig erstellte Register (Quellen, Autoren und Werke, Personen und Orte, Themen und Sachen) beschließen die Arbeit (409–447).
Von einschlägigem Interesse ist die Studie zunächst für die theologische und germanistische Mediävistik. Dass aber fast alle Textzeugen des Oberdeutschen Totentanzes inzwischen als Digitalisate online zugänglich sind, lädt darüber hinaus ein, sich mit dieser Form geistlicher Literatur des Spätmittelalters zu befassen.