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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

907–909

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Huber, Konrad, Klotz, Rainer, u. Christoph Winterer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Tot sacramenta quot verba. Zur Kommentierung der Apokalypse des Johannes von den Anfängen bis ins 12. Jahrhundert.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2014. XIV, 433 S. m. 39 Abb. Geb. EUR 46,00. ISBN 978-3-402-12887-9.

Rezensent:

Simon Danner

Der Band umfasst einen großen Teil der Beiträge, die auf dem interdisziplinären Symposium »Tot sacramenta quot uerba. Die Kommentierung der Apokalypse von den Anfängen bis ins 12. Jahrhundert« besprochen wurden. Das Symposium wurde vom 28.09.–01.10.2009 in Innsbruck durch das FWF-Forschungsprojekt »Die kritische Edition von In Apocalypsin des Rupert von Deutz« veranstaltet und hatte zum Ziel, die Kommentierung der Johannesapokalypse bis in die Zeit des Rupert von Deutz aufzuarbeiten. Diese Aufgabe ist allein schon deswegen recht gestellt, weil Untersuchungen, die sich umfassend mit der Auslegungsgeschichte der Offenbarung befassen, spärlich gesät sind und die vorhandenen einer Aktualisierung bedürfen. So ist Boussets Kommentar »Die Offenbarung Johannis«, der erstmals 1896 erschien, eine umfangreiche »Geschichte der Auslegung« vorgeschaltet. Kamlah widmet sich in seiner Dissertationsschrift »Apokalypse und Geschichtstheologie« (1935) nur der mittelalterlichen Auslegung vor Joachim von Fiore, während Kretschmar in seiner Arbeit »Die Offenbarung des Johannes« (1985) die Geschichte der Auslegung im ersten Jahrtausend untersucht. Weitere Beiträge, die einzelne Kommentatoren der Apokalypse oder bestimmte Aspekte der Auslegungsgeschichte in den Blick nehmen, sind über diverse Sammelbände verstreut. Wichtige seien hier genannt: Eine Folie für alle folgenden liefert der von Emmerson und McGinn 1992 herausgegebene Band »The Apocalypse in the Middle Ages«, der zuerst die zahlreichen Forschungsergebnisse der vorausgegangenen Dekaden bündelt. Als Sammelbände mit eigener Schwerpunktsetzung sind zu nennen »Ancient Christian Interpretations of ›Violent Text‹ in the Apocalypse« (2011 von Verheyden u. a. herausgegeben) oder der Ta­gungsband »L’ Apocalisse nel Medioevo«, der die Ergebnisse einer Tagung präsentiert, die nur vier Monate vor der Innsbrucker Tagung stattfand, und der schon 2011 von Guglielmetti ediert wurde. Häufig haben die Autoren des vorliegenden Bandes auch schon in jenen erwähnten Sammelwerken publiziert.
Um das Ziel zu erreichen, die Kommentierung der Apokalypse aufzuarbeiten, ist der Innsbrucker Band breit aufgestellt. Er enthält 16 Beiträge, die sich der Geschichte der Auslegung von ver- schiedenen Seiten nähern und damit das Schema aufgreifen, nach dem schon Emmerson und McGinn ihren Band auf eine exege-tische, eine kunstgeschichtliche und eine liturgische bzw. kulturelle Perspektive hin gestaltet hatten. Die Beiträge sind logisch geordnet. Die ersten gehen von theologischen, historischen und philologischen Fragestellungen aus und sind in chronologischer Rei­henfolge zusammengestellt.
Auf der Tagung wurde nicht nur in Anlehnung an Rupert von Deutz zu dessen lateinischen Vorläufern referiert, sondern auch zur weniger umfangreichen griechischen Kommentierung. So untersucht de Villiers in seinem Beitrag den ersten umfassenden griechischen Kommentar des Oecumenius und nimmt dessen Zahlendeutung in den Blick. Ihm fällt auf, dass Oecumenius eine Mittelpo-sition zwischen einem buchstäblichen und einem allegorischen Verständnis einnimmt, indem er einerseits bestimmte Zahlen in die Verfasserzeit der Johannesapokalypse einbettet und historisch deutet, andererseits bei anderen Zahlen allegorisch deutet. Interessant sind besonders die Absichten, die de Villiers in dieser Vorgehensweise des Oecumenius erblickt: Die Zeit des Sehers Johannes im Römischen Reich des 1.–2. Jh.s werde in Kontrast zur Zeit des Oecumenius im Byzantinischen Reich des 5.–6. Jh.s gesetzt. Damit werde die Kritik der Offenbarung an Reich und Herrscher entschärft sowie nicht das Bild eines strafenden, gewalttätigen Gottes gezeichnet, sondern das eines wohltätigen und gnädigen. Oecumenius ziele in seiner Auslegung also auf eine Unterscheidung der in der Offenbarung geschilderten Situation der Kirche und seinem status quo.
Einer der Beiträge, die nicht einzelnen Autoren gewidmet sind, sondern den Verlauf der Auslegungsgeschichte betrachten und so eine diachrone Ebene in den Sammelband eintragen, ist der von Mégier. Sie nimmt die große Zeitspanne von Tyconius bis Rupert von Deutz in den Blick und untersucht, wie die »Anomalie« (154.192) der von Tyconius in die Auslegung eingeführten Kategorien species und genus rezipiert, variiert und schließlich überholt wurde. In großflächiger Textarbeit, die von den Lesern verlangt, lateinische Texte nicht geringen Umfangs selbst zu übersetzen, arbeitet sie den Zusammenhang von der Anwendung jener Kategorien und dem Kirchenverständnis der Autoren heraus: Bis zur gregorianischen Reform verwendeten Autoren Tyconius’ Kategorien und seine hermeneutischen Grundsätze, ein verändertes Kirchen- und Zeitverständnis ließen die Wirkung dann aber vollends verblassen. In einem weiteren Aufsatz im von Wieser u. a. 2013 edierten Kompendium »Abendländische Apokalyptik« vertieft Mégier diese Überlegungen.
Karrer indes nähert sich dem Thema der Apokalypse-Kommentierung von der Seite der Textkritik und Textgeschichte. In seinem Beitrag weist er darauf hin, dass zum Interesse am Kommentartext wesentlich ein Blick auf die Textvorlage gehört, mit der der Kommentator arbeitet. Deshalb bietet Karrer anfangs eine übersichtliche und sehr gut informierende Einführung in die Textgeschichte der Apokalypse unter Berücksichtigung der griechischen wie der lateinischen Überlieferung und untersucht dann, welchen Niederschlag die Textentwicklung auf Rupert von Deutz hatte. In dieser Textarbeit, die durch Tabellen sehr übersichtlich dargestellt und genau dokumentiert ist, geht er der Textentwicklung von den griechischen Hauptzeugen über die Vetus Latina bis zu der Vulgataversion nach, die Rupert benutzte. Die Resultate aus diesem Durchgang sind zahlreich: Zum einen kann er zeigen, welchen Einfluss kleine Varianten der Vorlage Ruperts auf dessen Interpretation der Apokalypse hatten – entweder sind es alte Traditionen, die bei der Revision der Vulgata wieder an die Oberfläche treten, unter dem Einfluss der Vetus Latina fortbestehende Varianten oder ganz junge Fortschreibungen, an denen die Korrelation zwischen benutztem Vulgatatext und Auslegung nachvollzogen wird. Zum anderen gewinnt Karrer aus der Darstellung der Textgeschichte über Rupert hinaus bis zum Textus receptus des 16. Jh.s den Impuls, den Apokalypsetext der 28. Auflage des Nestle-Aland zu überprüfen und dabei Probleme und Lücken aufzutun.
Von kunstgeschichtlicher Seite betrachtet Klein das Thema und bietet in seiner Abwägung der Beeinflussung zwischen Kommentar und Illustration einen sehr guten Überblick über die Darstellung der Apokalypse in illuminierten Handschriften, Fresken und architektonischen Elementen. So verhält es sich auch mit dem Beitrag von Meßner, der dank zahlreicher Verweise gut über die liturgische Verwendung der Offenbarung im Mittelalter informiert.
Die kurz skizzierten Aufsätze zeigen, dass der Band in einzelnen Fragen Neues präsentieren oder über einzelne Bereiche einen Überblick verschaffen kann. Damit gehört er in die anfangs genannte Reihe von Sammelwerken, die Beiträge aus der weiträumigen Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte der Johannesapokalypse enthalten. Die im Vorwort formulierte Zielsetzung, die Kommentierung bis zu Rupert aufzuarbeiten, gelingt nur in der Zusammenschau aller dieser innerhalb eines kurzen Zeitraums entstandenen Werke, die aber schon allein wegen ihrer Form keine kurze Darstellung der Auslegungsgeschichte wie Bousset oder Kretschmar bieten können. Das ebenso im Vorwort ausgedrückte Ansinnen, mit dem Band einen soliden Beitrag zur Apokalypseforschung vorzulegen, gelingt gewiss.