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Ausgabe:

September/2016

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sekine, Seizo

Titel/Untertitel:

Philosophical Interpretations of the Old Testament. Übers. v. J. R. Short. Berlin u. a.: De Gruyter 2014. XII, 255 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 458. Geb. EUR 74,95. ISBN 978-3-11-034015-0.

Rezensent:

Aaron Schart

Das Buch von Seizo Sekine enthält die Übersetzung von ursprünglich in japanischer Sprache veröffentlichten Aufsätzen, sieben davon stammen aus dem Jahr 2008. Obwohl die Artikel »chapter« heißen, handelt es sich um eigenständige Abhandlungen. Die Artikel sind in vier Themenblöcke eingeteilt.
Der Themenblock »The Old Testament and Philosophy« beginnt gleich mit einem der eindrücklichsten Artikel des Bandes: »Philosophical Interpretations of the Sacrifice of Isaac: Inquiring into the True Significance of the Akedah« (19–72). Die Akedah hat prominente philosophische Interpretationen herausgefordert, darunter diejenigen von Kant, Kierkegaard, Levinas, Derrida und dem japanischen Philosophen Kitaro Nishida (1870–1945). Mit diesen setzt sich S. eng am Text argumentierend auseinander und filtert besonders vier Fragen heraus:
a) Innerhalb der Literarkritik spricht er sich dafür aus, die Verse Gen 22,15–18, die mehrheitlich als späterer Nachtrag eingestuft werden, in der ursprünglichen Fassung zu belassen (V. 19 sei dagegen tatsächlich sekundär).
b) Bezüglich der Frage »Warum befiehlt Gott Abraham die Opferung Isaaks?« diagnostiziert er einen doppelten Selbstwiderspruch Gottes. Einmal widerspreche Gott dem Verbot, einen Menschen zu töten, zum anderen verlange er denjenigen zu töten, den er selbst zum Verheißungsträger bestimmt habe. Insbesondere den philosophischen Beiträgen, die nicht durch Rücksichten gegenüber der eigenen Glaubenstradition gehemmt seien, verdanke man die Herausarbeitung dieser Selbstwidersprüchlichkeit Gottes in aller Schärfe. Im Anschluss an den von Hegel beeinflussten Philosophen Kitaro Nishida sieht S. die Selbstwidersprüchlichkeit Gottes als die notwendige Außenseite der göttlichen Selbstentäußerung: Gott muss seine Absolutheit aufgeben, um mit endlichen Menschen in Beziehung treten zu können, und zwar so, dass diese Beziehungen intrinsisch zu seinem Wesen gehören: »God must be relative to relative beings who exist within himself, not outside himself.« (57) Die Vorstellung von einem personalen absoluten Gott, der den Menschen transzendent gegenübersteht, muss dagegen als unangemessen eingestuft werden. Diese Unangemessenheit äußert sich innerhalb der Erzählung als Selbstwiderspruch im göttlichen Wesen.
c) Die dritte Frage ist: Warum gehorcht Abraham widerspruchslos dem göttlichen Befehl? S. spekuliert, dass Abraham zum einen Gott das Recht zubilligt, den von ihm geschenkten Sohn in dem Moment wieder zurückzufordern, in dem Abrahams Liebe zu Isaak so exklusiv wird, dass Gott als Geber des Sohnes vergessen wird, zum anderen konnte er nicht glauben, dass Gott von ihm am Ende wirklich die Tötung seines Sohnes verlangen würde. Mit letzter Kraft, die schon so schwach ist, dass er nichts mehr zu entgegnen vermag, hält er daran fest, dass Gottes Selbstfestlegung auf Isaak als Verheißungsträger stärker ist als der nun ausgesprochene Befehl, Isaak zu opfern. Auf diese Weise durchschaut er, ohne wirklich darum zu wissen, die Situation als eine Testsituation, die seiner Reifung dient.
d) Die vierte Frage ist: Warum läuft Isaak nicht davon, als er merkt, dass er getötet werden soll? In diesem Fall nimmt S. die Interpretationslinie auf, nach der sich Isaak freiwillig fesseln lässt, weil er sich dem Willen Gottes fügt, den ihm Abraham unterwegs mitgeteilt haben muss, obwohl das in der Erzählung nicht geschildert wird (anders in der Nacherzählung von Josephus). Am Beispiel dieses eindrücklichen Ringens um das Verständnis der Erzählung will S. zeigen, dass Philosophie und Theologie sich wechselseitig ergänzen.
Artikel 2 »The Paradox of Suffering: Comparing Second Isaiah and Socrates« (73–89) behandelt insbesondere den sogenannten »Gottesknecht«, dessen Leiden im 4. Gottesknechtlied von einer anonym bleibenden Wir-Gruppe als stellvertretende Strafübernahme für deren eigene Vergehen verstanden wird (Jes 53,4). Im Vergleich mit Sokrates und Amida Bhudda arbeitet S. heraus, wie wichtig es ist, eine positive Sicht auf die »Selbsthingabe für andere« zu entwickeln, weil diese zur Überwindung des Egoismus führe.
Artikel 3 »Reconstructing Old Testament Monotheism: A Dialogue between Old Testament Studies and Philosophy« (90–116) geht aus vom berühmten Monotheismus des Alten Testaments (z. B. Ex 20,3; Jes 45,21–22) und verteidigt ihn gegen den Vorwurf, er habe übersteigerten Egoismus der Gläubigen zur Folge, wie er sich in nationalen Absolutheitsansprüchen oder der Ausbeutung der Na­tur zeige.
Innerhalb des zweiten Themenblocks »Old Testament Thought and the Modern World« setzt sich Artikel 4 »Modern Aspects of the Old Testament Understanding of God: Qohelet, Schoenberg, Jung« (119–133) mit verschiedenen Denkern auseinander, die die Vorstellung eines personalen Gottes, das Konzept der Heilsgeschichte oder die Idee der Gerechtigkeit Gottes anfechten.
Artikel 5 »Toward Regenerating Ethics: Seeking an Ordered Path of Joyful Coexistence« (134–160) stellt dar, dass der alttestamentliche Schöpfungsglaube, der – philosophisch entmythologisiert – die Ehrfurcht vor dem Geschenk des Lebens impliziert, und das Exodusbekenntnis, das die Bestimmung des Menschen zu Freiheit und Liebe enthält, eine gute Grundlage bieten, um der modernen Gesellschaft eine moralische Basis zu geben, die diese so dringend benötigt, sich aber nicht selbst geben kann. Demut, Respekt und rücksichtsvoller Umgang, gerade auch mit Fremden, sind, das ist weltweit anerkannt, in der japanischen Kultur in außergewöhnlichem Maß verankert (154). Bemerkenswert sind die didaktischen Überlegungen, wie diese Kultur konkret gestärkt werden kann.
Themenblock 3 »The Prophets and Soteriology« umfasst die Artikel 6 »A Genealogy of Prophetic Salvation: Isaiah, Second Isaiah, and Jeremiah« (163–180) und 7 »The Prophets and Deuteronomism: The Book of Jeremiah« (181–208). In beiden geht es darum, welche Auswirkungen die modernen redaktionsgeschichtlichen Einsichten für die philosophische Behandlung der Texte haben. Besonders interessant ist der siebte Artikel, der sich eingehend mit Winfried Thiels umfassender literarkritischer Analyse des Jeremiabuches auseinandersetzt und daran die philosophische Wertung an­schließt, der deuteronomistische Redaktor habe ein Bild vom Handeln Gottes in der Geschichte entwickelt, nach dem Gott genau so straft, wie er im Gesetz angedroht hatte. Dieses strikte Vergeltungsbild entspreche nicht dem historischen Jeremia und sei schon von Hiob und Kohelet in Frage gestellt worden, für die mo­derne Philosophie habe es jegliche Plausibilität verloren (206).
Der vierte Themenblock umfasst nur den Aufsatz »Old Testament Studies in Japan: A Retrospect and Prospects« (211–230). Im ersten Teil des Aufsatzes blickt S. auf die Entwicklung seit 1933 zurück. Dabei fällt auf, wie viele der vorgestellten japanischen Exegeten in Deutschland promoviert haben. Leider widmet S. nur einen sehr knapp gehaltenen Abschnitt der Frage, worin der spezifische Beitrag einer »Old Testament interpretation by Japanese as Japanese« (225) liegen könnte.
S. ist die historisch-kritische Methode die selbstverständliche Grundlage, ebenso ist er mit ganzem Herzen Theologe, zugleich möchte er die im Alten Testament enthaltenen Werte in einen philosophischen Diskurs einbringen, der für alle religiösen, aber auch nicht-religiösen Wertegemeinschaften offen ist. Dies gelingt ihm immer wieder auf eindrückliche Weise. Dafür gebührt ihm der Dank auch der theologisch interessierten Leserschaft.