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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

995–997

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hagemann, Ludwig, u. Reiner Albert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Dialog in der Sackgasse? Christen und Muslime zwischen Annäherung und Abschottung.

Verlag:

Würzburg: Echter; Altenberge: Oros 1998. 205 S. 8 = Religionswissenschaftliche Studien, 46. Kart. DM 44,-. ISBN 3-429-02030-1 u. 3-89375-162-9.

Rezensent:

Johannes Lähnemann

L. Hagemann und R. Albert legen einen für die Ortsbestimmung des christlich-islamischen Dialogs relevanten und aktuellen Sammelband vor. Hagemann steht als Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie und Religionsgeschichte an der Universität Mannheim vor allem für die überregionalen und internationalen Dimensionen der Fragestellung, Albert als Politologe und ehemaliger Leiter des Instituts für deutsch-türkische Integrationsforschung an der Mannheimer Moschee für die Erfahrungen "vor Ort", die aber wiederum im überregionalen und internationalen Kontext reflektiert werden. Hinzu kommt die langjährige Zusammenarbeit von Hagemann mit Adel Theodor Khoury, Professor für Religionswissenschaft an der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität Münster und einer der besten Kenner des Islam und der christlich-islamischen Beziehungen im deutschsprachigen Raum. Diese Kooperation hat ein theoretisch klares und gleichzeitig von praktischen Erfahrungen geprägtes Buch entstehen lassen. Das Spannungsgefälle von Annäherung und Abschottung wird besonders plastisch am Beispiel der Mannheimer Moschee, die als "offene Moschee" und mit ihrem Institut für deutsch-türkische Integrationsforschung als Modell dialogischen und integrativen Wirkens aufgebaut wurde, unter massivem Einwirken des türkischen Generalkonsulats Karlsruhe aber eine national-konservative, dialog-unerfahrene Leitung an Stelle ihrer bisher liberalen und gesprächskompetenten erhielt; Albert mußte die Leitung seines Instituts abgeben und schildert in einem "Nachwort" die "Mannheimer Turbulenzen", die ein vielversprechendes Dialogmodell zurückgefahren haben.

Der Tenor des ganzen Bandes ist von großer Ernüchterung nach den Dialogaufbrüchen der 60er und 70er Jahre geprägt. Er zeigt deutlich die strukturellen Probleme und politischen Erschwernisse für offene Begegnung und echten Dialog auf, besonders auf islamischer Seite. Gleichwohl erklärt Hagemann in seiner Einführung: "Zum Dialog untereinander gibt es keine Alternative, wollen Menschen in ein und derselben Gesellschaft in Frieden miteinander leben und überleben" (15).

Eröffnet wird der Band mit der Würdigung eines Lebensweges im Dialog, der gleichzeitig so etwas wie eine Vision für bescheidenes, beharrliches und wirksames Begegnungshandeln enthält: Robert Casper von den Weißen Vätern wird von H. als Promotor christlich-islamischer Ökumene zu seinem 75. Geburtstag geehrt. Unter den von Kardinal Lavigerie als dem Gründer dieser "Gesellschaft der Missionare von Afrika" gegebenen Prinzipien - ein Wirken durch das indirekte Apostolat, d.h. aus christlicher Motivation heraus das Leben mit denen zu teilen, mit denen die Missionare in einem rein islamischen Umfeld zusammenleben - hat R. Casper mit intensiver Kennt-nis des Arabischen und des Islam theologisch und religionswissenschaftlich gearbeitet und gelehrt und lebt heute als Seelsor-ger in Monastir/Tunesien. Von besonderem Einfluß war er als Mitgestalter der den Islam betreffenden Aussagen des II. Vatika-nischen Konzils, die fast wie eine "kopernikanische Wende" hinsichtlich einer positiven Würdigung des Islam durch die römisch-katholische Kirche gewertet werden können. Gerade die Ausführungen über die Entstehung dieser Texte sind von besonderem Interesse hinsichtlich der Dialoggeschichte dieses Jahrhunderts.

Nach einem Bericht über die Forschungstätigkeiten des Mannheimer Lehrstuhls von Zdenko Joha folgt ein umfangreicher Aufsatz von H. "Zur Politisierung des Islams", der die restaurativen Tendenzen bei den islamistischen Bemühungen, Religion und Politik in islamischen Staaten an der idealisierten Anfangsgeschichte des Islams auszurichten, kritisch darstellt. Die (Wieder-)Einführung der Scharia in einigen Staaten, das Wirken extremer Gruppierungen, das Bemühen um "Entwestlichung des Wissens" werden mit ihren z. T. schmerzlichen Konsequenzen für die nichtmuslimischen Minderheiten charakterisiert. Bei aller Notwendigkeit, die Entwicklungen in vielen islamisch geprägten Ländern mit Sorge und kritischer Wachsamkeit zu betrachten, hinterläßt dieser Artikel m.E. etwas zu einseitig den Eindruck eines insgesamt bedrohlichen Islam, obwohl zwischendurch deutlich gemacht wird, daß der Gesamtislam nicht mit dem Islamismus gleichzusetzen ist. Die Bandbreite aber, die etwa den Islam in Jordanien und Palästina oder auch in Südafrika mit einschließen könnte und die das allgemeine Bedrohungsbild, wie es in unseren Medien gezeigt wird, relativieren müßte, wird hier nicht recht sichtbar.

Die nächsten beiden Beiträge von H. - "Zurück in die Vergangenheit? Der Druck islamischerseits nimmt zu" und "Auf Distanz zu Christen? Stellungnahmen und Analysen zeitgenössischer Muslime" gehen in eine ähnliche Richtung, verweisen andererseits aber auch auf beharrlich weitergeführte Dialogbemühungen und auf einige Verlautbarungen islamischer Organisationen wie des muslimischen Weltkongreß und einzelner muslimischer Autoren, die zu einem gleichberechtigten Miteinander von Christen und Muslimen aufrufen. Daß die islamische Identitätssuche gleichwohl an vielen Stellen im Gegenüber zum "werte-losen" Westen und als dekadent betrachteten Christentum erfolgt, wird sicher mit Recht herausgestellt.

Der folgende, von Khoury und H. gemeinsam verfaßte Artikel "Dürfen Muslime auf Dauer in einem nicht-islamischen Land leben? Zur Frage der Integration muslimischer Mitbürger in eine nicht-islamische Gesellschaftordnung" hat hohen informativen Wert. Er zeigt, daß es bei allen Schwierigkeiten für Muslime, die nicht im "Haus des Islam" leben, doch Flexibilitäten in der Interpretation islamischer Grundsätze gibt, die es möglich machen müßten, daß Muslime als Minderheit die Grundlagen einer pluralen Demokratie bejahen und in ihr konstruktiv mitwirken können.

Die beiden letzten Beiträge haben die Mannheimer Dialog- und Begegnungserfahrungen im Hintergrund und reflektieren diese in größeren Zusammenhängen und Kontexten. Albert schreibt über "Das moderne Theorieverständnis und der christlich-islamische Dialog", Oliver Lellek über "Dialog an der Basis: Erfahrungen in der Christlich-Islamischen Gesellschaft Mannheim". Albert erweist sich in seinem Beitrag als Denker, der die Frage des christlich-islamischen Dialogs in den Gesamt-kontext älterer und neuzeitlicher Politiktheorien und praktischer Politikerfahrungen einzuordnen vermag, durch die alle idealistischen Machbarkeitsvorstellungen "vernünftiger" Poli-tikkonzepte relativiert werden müssen. Er analysiert auch den schwierigen Entwicklungsprozeß der kemalistischen und nach-kemalistischen Türkei. Von daher hat das Institut für deutsch-türkische Integrationsforschung bei der Mannheimer Moschee eine wichtige Pionieraufgabe übernommen und unter schwierigen Bedingungen verfolgt, die u. a. mit der Verleihung des Karl-Kübel-Preises 1997 honoriert wurde. Auch angesichts der verhinderten konsequenten Weiterführung der Institutsarbeit plädiert Albert für unabhängige interkonfessionelle Bildungsein-richtungen, die für Jugendliche und Erwachsene notwendige Aufklärungs- und Informationsarbeit betreiben. Hier liegt ein Aufgabenbereich, in den gegenwärtig nicht genug an Fantasie und Initiative investiert werden kann.

Lellek schließlich beschreibt die Chancen und Mühen kontinuierlicher interreligiöser Begegnungsarbeit "vor Ort", bei der von Alltagsproblemen über Glaubensinformation, gesellschaftliche Fragen und Projekten wie einem Modellvorhaben zu deutschsprachigem islamischen Religionsunterricht eine Fülle ernüchternder, aber auch ermutigender Erfahrungen gemacht wurden. Hier liegt ein Arbeitsfeld, in dem es inzwischen an vielen Punkten in Deutschland - in christlich-islamischen Gesellschaften und Gesprächskreisen und auch in den regionalen Gruppen der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden - Initiativen gibt, die aber noch des Austausches und der "Vernetzung" bedürfen, um realitätsnahe Integrationswege herauszufinden.

Die Beiträge dieses Bandes - und auch die im Anhang beigefügten Dokumente (u. a. zu Moscheeneubauten und zur Zukunft eines deutschen Islam) - stellen in ihrer Vielfalt einen Problemaufriß dar, der das Prozeßhafte der gegenwärtigen Begegnungssituation von Christentum und Islam sichtbar macht. An wie vielen Stellen die Religionen selbst ihre "Hausaufgaben" noch machen müssen, um glaubwürdig zum Frieden unter den Völkern beitragen zu können, wird überdeutlich. Daß vor allem einer Abschottung entgegengearbeitet werden muß (und kann!), in der falsche Vorurteile, Stereotypen und Feindbilder grassieren, die von Fanatikern leicht zu Gewaltszenarios mißbraucht werden können, muß hier allen "Menschen guten Willens" vor Augen stehen.