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Ausgabe:

September/2016

Spalte:

900–902

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gertz, Jan Christian, u. Manfred Oeming [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neu aufbrechen, den Menschen zu suchen und zu erkennen. Symposium anlässlich des 100. Geburtstages von Hans Walter Wolff.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2013. 129 S. = Bib­lisch-Theologische Studien, 139. Kart. EUR 22,99. ISBN 978-3-7887-2725-3.

Rezensent:

Jürgen van Oorschot

Fünf Beiträge dokumentieren ein in Heidelberg 2011 stattgehabtes Symposium, dass anlässlich des 100. Geburtstags von Hans Walter Wolff am 14.12.2011 veranstaltet wurde. Ein biographischer Beitrag von Rudolf Smend und eine Würdigung des Predigers Wolff durch Helmut Schwier rahmen drei Vorträge zu den Arbeitsschwerpunkten des Alttestamentlers im Bereich der erzählenden Werke des Pentateuchs (Thomas Römer), der Prophetie (Jörg Jeremias) und der alttestamentlichen Anthropologie (Bernd Janowski).
Smend legt mit diesem Buch (11–40) eine jener Miniaturen vor, mit denen er auch schon an anderen Stellen eine dichte Beschreibung alttestamentlicher Forscherpersönlichkeiten präsentierte. So führt er zunächst in das Bonn und Wuppertal der 1930er Jahre und präsentiert den Studenten Wolff in der Wahrnehmung so unterschiedlicher Akteure wie Hans Emil Weber und Johannes Hempel. Aus dem unprätentiös frommen, reformierten Wuppertal kommend gehörte Wolff schon in diesen jungen Jahren neben Paul Humburg und Karl Immer zu einer der bestimmenden Personen des dortigen Kirchenkampfes. Dass er als 16-jähriger Hauslehrer in der Villa Halstenbach damit die Nachfolge von Helmut Thielecke antritt, gehört zu den vielen Details des Beitrags, ebenso wie Hinweise auf seine universitären Studien im akademischen wie (kirchen-)politischen Spannungsfeld zwischen Emanuel Hirsch, Jo­hannes Hempel und Karl Barth sowie auf den ersten Beitrag zur Prophetenforschung, publiziert 1934 in der Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (ZAW 52, 1934, 1–22), in dem schon eines seiner späteren Lebensthemen anklingt. Über die Zeit des Kirchenkampfes im Rheinland, speziell die Verhältnisse an der Bonner Theologischen Fakultät, sein Lehr- und Gemeindevikariat in Münster, die Zeit als Soldat ab Juni 1940 bis zur Entlassung aus der Gefangenschaft im Juli 1945 und das vielfältige Engagement als Mann der Bekennenden Kirche gibt der Beitrag einen breiten Einblick. Eindrücklich auch, wie unter diesen Verhältnissen eine erste Monographie (Das Zitat im Prophetenspruch) und seine Dissertation (Jesaja 53 im Urchristentum, Halle) entstehen. Letztere brachte ihn in Kontakt mit Gerhard von Rad (damals Jena) und Martin Noth (damals Königsberg). Ab Herbst 1945 bemühen sich Göttingen, Berlin und Leipzig um den jungen Alttestamentler, was wegen der Intervention des späteren rheinischen Präses Held jedoch nicht zum Ziel führte. Wolff blieb der Rheinischen Kirche, konkret der 1945 neu gegründeten Kirchlichen Hochschule Wuppertal, erhalten. Weiteres erfahren wir zu seiner Wirksamkeit dort, zur Gründung des Biblischen Kommentar im Neukirchener Verlagshaus und dem Profil von Wolffs Arbeit am Dodekapropheton, dem Wechsel nach Mainz 1959 und 1966 nach Heidelberg. Mit knappen Strichen markiert Smend die Heidelberger Jahre bis zu Wolffs Tod im Jahr 1993.
Im Beitrag »Hans Walter Wolff und die Suche nach den Kerygmata der Erzählwerke in der Hebräischen Bibel« (41–59) konfrontiert Thomas Römer drei zentrale Aufsätze Wolffs zum Kerygma des DtrG, des Jahwisten und der elohistischen Fragmente mit der gegenwärtigen Forschungsdebatte. Die Herkunft der dezidiert theologischen Frage nach den Kerygmata alttestamentlicher Literaturwerke, deren Beantwortung Römer nachzeichnet (J – universaler Segen; E – Gottesfurcht; DtrG – Umkehr), wird dabei bei R. Bultmann und G. von Rad verortet. Die nachfolgende deutsche Debatte hat im Unterschied zur nordamerikanischen Diskussion die Grundlagen und Folgerungen Wolffs vielfach in Frage gestellt. In kritischer Würdigung arbeitet Römer die bis heute zu berücksichtigenden Textbeobachtungen Wolffs heraus und zeichnet sie in neuere Lösungsvorschläge ein. Dabei hebt er vor allem die Bedeutung seines Beitrags zur Deuteronomismusforschung hervor.
Als Prophetenforscher und Schüler Wolffs würdigt Jörg Jeremias »Hans Walter Wolffs Forschungen auf dem Gebiet der Prophetie« (61–76) als deutlichen Forschungsschwerpunkt über 52 Jahre hinweg. Drei Grundüberzeugungen Wolffs markiert er dabei: das empfangene Gotteswort als Priorität im Prophetenspruch, die Erkenntnis der Gerechtigkeit Gottes als zentrales Anliegen und der Prophet als Mittler (Bote und Seelsorger) zwischen Gott und Mensch. Die enge Verbindung des Theologen und Kirchenmanns Wolff wird in der Einschätzung der praktischen Gemeindearbeit als Ziel aller wissenschaftlichen Exegese deutlich, was Jeremias mit Hilfe von Erfahrungen als Assistent Wolffs illustriert. Mit dem Programm des Biblischen Kommentars, den Studien zum Hoseabuch sowie den Kommentaren zu Hosea, Amos und Micha führt Jeremias wichtige Ergebnisse der Arbeit Wolffs vor Augen. Leidenschaft, methodische Sorgfalt und die Verbindung von wissenschaftlicher Exegese und Predigt beeindrucken Jeremias bis heute am meisten.
Mit dem am stärksten rezipierten Buch Wolffs beschäftigt sich der Beitrag von Bernd Janowski »Hans Walter Wolff und die alttes-tamentliche Anthropologie« (77–112). Dabei stellt er den Ansatz Wolffs anhand der 1973 erstmals publizierten »Anthropologie des Alten Testaments« sowie deren Kritik dar (I), entwirft Perspektiven für einen Neuansatz, wie er ihn selbst entwickelt (II), und würdigt abschließend Wolffs Entwurf (III). Als Ansatz begründet Wolff einen dreifachen Zugriff: eine anthropologische Sprachlehre, eine biographische Anthropologie und eine soziologische Anthropologie. Dabei sei mit Wolff ausgehend von den Texten und Kontexten nach der Selbstauslegung des Menschen zu fragen (82). Diese zeige sich etwa in Ps 8 so, dass der Mensch nicht an sich oder in seiner Selbstbezüglichkeit, sondern nur in der Relation von Schöpfer und Geschöpf angemessen erfasst werde. Über alle Kritik hinweg würdigt Janowski den Mut zur Synthese, wobei auch ältere und neuere Einsprüche gehört werden müssten (Prävalenz des Hörens, Klischees beim Thema Sexualität; Beschränkung auf vier anthropologische Grundbegriffe; Fehlen einer religionsgeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Analyse bzw. Perspektive). Die neuere Forschung habe diese Einwände vor allem durch eine Berücksichtigung der Kulturen in der Umwelt Israels und durch ein reges interdisziplinäres Gespräch berücksichtigt. Janowski führt dies nicht zuletzt mit Blick auf seine eigenen Arbeiten vor (konkrete Lebensumstände; literarische Kontexte; anthropologische Konstanten; 90–110). In seinem Fazit postuliert er einen integrativen Ansatz bei der Abfassung einer Anthropologie des Alten Testaments, die »erst noch zu schreiben« sei (110). Die Sachperspektive Wolffs einer Korrelation von Textwelt und Lebenswelt und die Einsicht, dass »anthropologische Probleme […] nicht unter Abblendung von Theologie, sondern nur in aller Offenheit für das Gotteszeugnis der Bibel geklärt werden (können)« (112), seien dabei auch zukünftig wichtig.
Helmut Schwier beleuchtet mit »Als Ausleger der Propheten predigen. Homiletische Anmerkungen zu Hans Walter Wolffs Predigten« (113–128) zunächst Predigten aus dreieinhalb Jahrzehnten (I), dann Wolffs Verständnis von Prophetie und die Unterscheidung von wahrer und falscher Prophetie (II) und abschließend Einsichten für die gegenwärtige Homiletik. Als Prediger befleißigt sich Wolff einer verständlichen Sprache, die, biblisch inspiriert, sich zugleich um Konkretheit und Anschaulichkeit bemüht. Mit Beispielen aus dem Jahr 1955 und 1981 illustriert Schwier zugleich den Hörerbezug und eine gelungene Form politischer Predigt. An­hand eines Aufsatzes und einer Adventspredigt von 1981 umreißt Schwier Kriterien wahrer Prophetie und prophetischer bzw. politischer Predigt heute. Wolffs Predigten könnten für diese anspruchsvolle Aufgabe bis heute als best practice (128) dienen.
Ein kurzes Vorwort und ein Autorenverzeichnis rahmen die fünf Beiträge.