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Ausgabe:

September/2016

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Focken, Friedrich-Emanuel

Titel/Untertitel:

Zwischen Landnahme und Kö­nigtum. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zum Anfang und Ende der deuteronomistischen Richtererzählungen. Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 252 S. m. 6 Tab. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 258. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-525-54039-8.

Rezensent:

Erasmus Gaß

Die an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter der Betreuung von Jan Christian Gertz entstandene, zum Wintersemester 2011/12 eingereichte und für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation von Friedrich-Emanuel Focken widmet sich der schwierigen Frage der literargeschichtlichen Verortung der dtr Grundschicht des Richterbuchs. Während man bislang meist davon ausging, dass das Richterbuch zeitgleich mit den übrigen Büchern des sogenannten DtrG (Dtn–2Kön) dtr gestaltet worden sei, zeichnet sich im Rahmen eines neueren Fortschreibungsmodells seit einiger Zeit eine neue Verortung der dtr Redaktion des Richterbuchs ab. Mittlerweile wird verstärkt vermutet, dass das Richterbuch zu einem literargeschichtlich späteren Zeitpunkt dtr bearbeitet worden sei als der Erzählkomplex 1Sam–2Kön. Erst sekundär sei dann das Rich terbuch zwischen den Hexateuch Gen–Jos und den bereits dtr überarbeiteten Samuel- und Königebüchern eingefügt worden. Diese Fragestellung greift F. konsequent auf und versucht mithilfe von geeigneten Untersuchungstexten diese These zusätzlich zu untermauern. Hierfür werden Texte des Richterbuches verwendet, die eine formale und inhaltliche Nähe zu Texten des Hexateuchs und zu den Samuel- bis Königebüchern aufweisen.
Der Aufbau der Studie ist klar gegliedert. Der geneigte Rezipient kann jederzeit den Argumentationsgang gut nachvollziehen. In der Einleitung (13–44) bietet F. einen forschungsgeschichtlichen Überblick, der die Argumente für das von Noth entworfene DtrG gut zusammenfasst. Anschließend bespricht er abweichende Entwürfe, wie das Göttinger Schichtenmodell mit seiner Differenzierung in unterschiedliche dtr Redaktionen (DtrH, DtrP, DtrN) oder das neuere Fortschreibungsmodell, das von einer Fortschreibung des bereits dtr bearbeiteten Erzählkomplexes 1Sam–2Kön durch die Anfügung und dtr Bearbeitung des Richterbuchs ausgeht. Zu diesem letzten Modell zählt F. auch das sogenannte Blockmodell, das von F. M. Cross und seinen Schülern entwickelt wurde. Nach diesem amerikanischen Blockmodell habe das DtrG in vorexilischer Zeit zunächst nur den Bereich 1Sam–2Kön 23* umfasst, bevor es in (nach)exilischer Zeit ergänzt worden sei.
F. verortet schließlich seine Fragestellung in den Kontext des neueren Fortschreibungsmodells und rechnet im Anschluss an R. G. Kratz mit einer dtr Grundschicht des Richterbuchs (DtrR). Darüber hinaus skizziert F. noch weitere Ziele seiner Untersuchung, wie die schwierige Chronologie zwischen Exodus und Tempelbau, die schon vor dem Hintergrund des divergenten Befundes der Textüberlieferung eigentlich zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen kann, es sei denn man arbeitet wie F. literarkritisch und redaktionsgeschichtlich. Eine weitere Fragestellung ist die These vom zyklischen Geschichtsbild der Richterzeit. Schließlich begründet F. seine Textauswahl.
F. greift in besonderem Maße auf dtr Reflexionstexte zurück und bestimmt deren diachrones Verhältnis zueinander. Verwendung finden folgende Texte: die dtr Einleitung in die Richterzeit (Ri 2,6–3,6), die dtr gestaltete Jiftacherzählung (Ri 10,6–12,7), die Erzählung von Samuels Philistersieg (1Sam 7,2–17) sowie die dtr Begründung für die Verwerfung Israels und Judas (2Kön 17,7–23). Vor allem die Jiftacherzählung mit ihrer schon oft beobachteten Reflexion von pries­terschriftlichen Texten aus Num 20–22 ist für eine literargeschichtliche Verortung von DtrR wichtig. Da ein einheitliches DtrG von Martin Noth vor allem mit einer dtr gestalteten durchlaufenden Chronologie begründet wurde, müssen die chronologischen Angaben der Texte literargeschichtlich bestimmt werden. Aus diesem Grund wird noch die Abimelecherzählung (Ri 8,33 – 9,57) sowie die Liste der Kleinen Richter (Ri 10,1–5; 12,8–15) in den Blick genommen. Abschließend skizziert und begründet F. anhand ausgewählter Beispiele aus dem Richterbuch seine angenehm restriktive literarkritische und redaktionsgeschichtliche Methode. Im Gegensatz zu früheren Modellen, die die Texte auf allzu viele Verfasser verteilt haben, ist sich F. der Unsicherheit der Vorstufenrekonstruktion durchaus bewusst. Literarkritischen Urteilen, die in erster Linie inhaltlich begründet werden, erteilt F. eine klare Absage. Ebenso sind nicht alle formalen Gründe wie die Abweichung von literarischen Mustern und Wiederholungen literarkritisch verwertbar.
In seinem Hauptteil bespricht F. in fünf Kapiteln (45–217) die oben bereits begründeten Einzeltexte. Die einzelnen Texte werden literarkritisch in einen Grundbestand und spätere Redaktionen aufgeteilt. Durch einen idiomatischen Vergleich mit anderen Textbereichen wird die literargeschichtliche Verortung der einzelnen Textschichten bestimmt und begründet. Methodisch kann man zwar einwenden, dass sprachliche Ähnlichkeiten und Parallelen nicht notwendigerweise auf den Idiolekt einer gewissen Redak-tionsschicht zurückgeführt werden müssen. Trotzdem ist der sprachliche Zugang der einzige Weg, der in der diachronen Fragestellung zu tragfähigen Ergebnissen führen kann. Ansonsten verbleiben die Grundtexte und ihre spätere redaktionelle Bearbeitung lediglich in einem relativen Abhängigkeitsverhältnis, ohne dass ein kohärentes Bild der Textentstehung gezeichnet werden kann. Wer mit einer solchen methodischen Zugangsweise ein prinzipielles Problem hat, der sollte besser zu synchronen Studien greifen. Dann lösen sich aber sprachliche und literarische Probleme der Texte in Wohlgefallen und narrativer Topik auf.
Literarkritisch ermittelt F. in Ri 2,6–36 eine von DtrR gestaltete Grundschicht (Ri 2,20 f.23aαb; 3,1aα.3), die durch drei Ergänzungen fortgeschrieben wurde. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob er nicht entgegen seiner hermeneutischen Zielsetzung ebenfalls diesen Text in zu viele Vorstufen aufteilt. Nicht ganz einleuchtend ist seine These zur doppelten Angabe von Josuas Tod. Diese Wiederholung sei nach F. darauf zurückzuführen, dass sich Jos 24,28–31 und Ri 2,6(?).7–9 auf zwei unterschiedlichen Schriftrollen befunden hätten (72). Vielleicht wäre hier die Deutung als literarische Wiederaufnahme zielführender, mit deren Hilfe das zuvor verlassene Thema nach einem Einschub wiederaufgegriffen werden konnte.
Die unterschiedlichen literarkritischen Ergebnisse der Forschungsgeschichte zur Abimelecherzählung (Ri 9) werden insgesamt konzise zusammengefasst und deren Schwachstellen jeweils aufgewiesen, bevor die eigene Literarkritik begründet wird (73–116). Nach F. liegen der Abimelecherzählung Ri 9 zwei ältere Quellen zugrunde, die durch zwei Ergänzungsschichten eingebunden wurden. Die ältere Erzählung von Abimelechs Kämpfen (Ri 9,26–41.46–54) wurde in das bereits von DtrR geprägte Richterbuch zwischen die Gideonerzählung und die Liste der Kleinen Richter eingeschrieben. Für eine fortschreibende Ergänzung spricht der sekundär nachgetragene Ortsname Ofra in Ri 9,5 (109). Der Abschnitt Ri 9,1–5a greift somit bewusst die Verortung der Gideonerzählung auf. In einem letzten Schritt wird schließlich die Jotamfabel (Ri 9,8–15) mittels einer zweiten Ergänzungsschicht eingetragen, wobei die umgebende Erzählung von Jotam erst geschaffen wurde. Die literargeschichtliche Abfolge der einzelnen Schichten erscheint schlüssig, aber die Verortung der ersten Ergänzungsschicht, die eine erste Form der Abimelecherzählung in das von DtrR bearbeitete Richterbuch eingearbeitet hat, wird kaum begründet, obwohl es für die Gesamtthese eigentlich wichtig wäre (103).
Nach F. habe zudem die Liste der Kleinen Richter unmittelbar an die bereits von DtrR gestaltete Gideonerzählung angeschlossen. Erst danach sei die Abimelecherzählung eingefügt worden. Die Argumentation hierfür ist schwach. DtrR habe nur am Anfang in die Liste der Kleinen Richter die beiden Wurzeln ŠPṬ und YŠ’ eingetragen, die typisch für DtrR seien. Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass es sich bei dieser Liste um eine redaktionelle Fortschreibung handelt. Dies liegt auch insofern nahe, als die einzelnen Angaben zu Orten und Eigennamen innerhalb der Liste der Kleinen Richter bezüglich bestimmter Bibelstellen transparent sind.
Bei der Jiftacherzählung bestimmt F. eine Grundschicht und zwei Ergänzungsschichten sowie eine weitere kleine Ergänzung in Ri 10,8bα (117–178). Mit diesem zentralen Textbereich wird die Gesamtthese stark gemacht, dass DtrR später als der dtr gestaltete Erzählzusammenhang des Hexateuchs und des Erzählkomplexes 1Sam–2Kön sein muss. Das Kernstück für diese Argumentation ist die Auseinandersetzung Jiftachs mit dem ammonitischen König, die zahlreiche Parallelen zu Num 20–22 aufweist (152–154). Nach F. habe Ri 11,12–28 diesen Text bereits gekannt und daraus zitiert. Dementsprechend sei die erste Erweiterungsschicht später als die bereits vorliegende Numerierzählung. Da diese Erweiterungsschicht aber mit DtrR gleichgesetzt wird, kann die erste dtr Überarbeitung des Richterbuches nicht älter als die priesterschriftlich gestalteten Texte in Num 20–22 sein, woraus sich ein gewisser Ab­stand zur dtr Redaktion von 1Sam–2Kön ergibt. Aus diesen Gründen datiert F. DtrR in die nachexilische und nachpriesterschrift-liche Zeit.
In einem kurzen Abschnitt bespricht F. schließlich die Erzählung von Samuels Philistersieg in 1Sam 7,2–17 (179–190). In diesem Text zeigt sich, dass sich die dtr Ergänzungsschicht zum einen von der ersten dtr Redaktion des Textbereiches 1Sam–2Kön stark abhebt (189–190), zum anderen aber einige Parallelen zu DtrR (187–188) aufweist. Aus alledem folgt: DtrR ist literargeschichtlich später zu datieren als die erste dtr Gestaltung von 1Sam–2Kön. Allerdings muss man dann auch davon ausgehen, dass der vor-dtr Text in 1Sam 7,2*.5.6a*.7–12.15–17 zunächst ohne dtr Bearbeitung übernommen und erst in einem zweiten Schritt durch DtrR bearbeitet wurde. Es stellt sich dann allerdings die Frage, weshalb erst DtrR mit dtr Theologie eingegriffen hat.
Schließlich wendet sich F. der Verwerfungserzählung in 2Kön 17,7–23 zu (191–217). Auch in diesem Text findet er eine dtr Ergänzungsschicht zur bereits dtr bearbeiteten Grundschicht, die formale und inhaltliche Ähnlichkeiten zu DtrR aufweist. Allerdings ist diese Ergänzungsschicht später als DtrR zu verorten (217).
In einem abschließenden Kapitel bündelt F. seine Ergebnisse und entwickelt eine Gesamtthese (219–234). Nach F. hat sich die Annahme bestätigt, dass das Richterbuch von DtrR zwischen dem Hexateuch und dem Textkomplex 1Sam–2Kön platziert und erst auf dieser Ebene dtr überarbeitet wurde. Für eine literargeschichtliche Verortung von DtrR dient vor allem die dtr geprägte Verhandlung Jiftachs mit dem Ammoniterkönig, die auf DtrR zurückzuführen und aufgrund ihrer Verwendung des priesterschriftlich geprägten Abschnittes Num 20–22 als nachpriesterschriftlich zu klassifizieren ist. Dies gilt freilich nur, wenn Ri 11,12–28 tatsächlich DtrR zuzurechnen ist. Ob als Argument hierfür die formale und sprachliche Nähe zu Ri 10,10–16 (DtrR) reicht (149–151), bleibt dahingestellt. Hinzu kommt das bislang ungelöste Problem des Endes der Priesterschrift P G, das nach manchen Entwürfen bereits im Exodus- oder Levitikusbuch gesucht wird, so dass der Textabschnitt Num 20–22 höchstens zu PS zu zählen sein wird, was aber die Datierung dieser Ergänzungsschicht nicht erleichtert.
Mit seinen chronologischen Überlegungen liefert F. den Nachweis, dass zumindest die zeitliche Verortung der Ergänzungsschicht in Ri 9,22 noch nicht zu DtrR gehört haben kann. Denn DtrR hat ein einheitliches chronologisches System entwickelt, das insgesamt kohärent ist und die Zeitspanne zwischen Exodus und Tempelbau auf 480 Jahre bemisst (223–226). Abschließend widmet sich F. noch einer kritischen Bewertung des zyklischen Geschichtsbildes der Richterzeit (226–234). Das zyklische Richterschema wird am Anfang von DtrR eingeleitet und in der Jiftacherzählung aufgehoben. Der zyklische Verlauf ist demnach nicht unendlich, sondern auf die Zeit zwischen Landnahme und Königszeit begrenzt und damit einem linearen Geschichtsdenken untergeordnet. Zu­mindest in diesem Detail unterscheidet sich die dtr Bearbeitung der Jiftacherzählung von DtrR, was F. aber konzeptionell deutet, da alles in DtrR auf die Aufhebung des zyklischen Geschichtsbildes hinausläuft. Fraglich ist jedoch, ob es ein schriftgelehrtes Zentrum in Mizpa gegeben hat, wo DtrR den Hexateuch rezipiert und die dtr Bearbeitung des Richterbuches vorgenommen habe (233). Zumindest ist die Rede Jiftachs vor Mizpa nur ein schwaches Indiz, zumal nicht klar ist, ob es sich hierbei um den benjaminitischen Ort Mizpa handelt.
Der Studie ist ein relativ kurzes Literaturverzeichnis beigegeben (235–247). Erfreulicherweise wird beim Stellenregister eine Auswahl getroffen (247–252), wobei ausführliche Passagen durch Fettdruck und Vorkommen in den Fußnoten durch Kursivsetzen angezeigt werden. Leider wurde auf ein Sach- und Personenregister verzichtet.
Trotz einiger kritischer Bemerkungen ist eines gewiss: Jeder, der sich mit der Redaktionsgeschichte des Enneateuch auseinandersetzt, muss diese konzis und schlüssig argumentierende Studie berücksichtigen, auch wenn in einzelnen Fragen sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Ob sich die literargeschichtliche Verortung von DtrR in die nachpriesterliche Zeit durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Aber die kritische Neubewertung der literarischen Daten durch F. sollte künftig unbedingt in den Blick ge­nommen werden.