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Ausgabe:

September/2016

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Wright III, Benjamin G.

Titel/Untertitel:

The Letter of Aristeas. ›Aristeas to Philocatres‹ or ›On the Translation of the Law of the Jews‹. Berlin u. a.: De Gruyter 2015. XII, 501 S. = Commentaries on Early Jewish Literature. Geb. EUR 119,95. ISBN 978-3-11-043904-5.

Rezensent:

Barbara Schmitz

Der sogenannte Aristeasbrief darf mit Recht als ein »understudied work« (3) gelten, auch wenn er immer wieder im Mittelpunkt der Diskussion um die Entstehung und Eigenart der Septuaginta (LXX) steht. Doch gerade dadurch ist der sogenannte Aristeasbrief immer nur unter dieser Perspektive befragt worden, ohne die Schrift als Ganze in den Blick zu nehmen. Das ist gerade deswegen von Bedeutung, weil nur einige wenige der insgesamt 322 Paragraphen die Übersetzung des jüdischen nomos thematisieren.
Umso notweniger ist es, dass durch den instruktiven Kommentar von Benjamin G. Wright das ganze Aristeasbuch wieder in den Mittelpunkt gestellt wird. W.s Kommentar zeichnet sich durch zwei unterschiedliche Perspektiven und Fragestellungen aus, die im Kommentar durchgehend Beachtung finden: Dies ist zum einen die erzähltheoretische Fragestellung, zum anderen die historische Perspektive. Während erstere bisher kaum in der Forschung zum Aristeasbuch Beachtung gefunden hat, zeichnet sich die zweite, historische Perspektive durch eine klare und die Argumente sorgfältig abwägende Darstellung aus.
W. weist darauf hin, dass beim Aristeasbuch sorgfältig zwischen Autor und Erzähler zu differenzieren ist: Aristeas ist der Erzähler, der als Figur im Text auftritt und als Ich-Erzähler die Ereignisse berichtet. Als solcher ist er nicht identisch mit dem Autor. Der Erzähler Aristeas wird als Grieche und ein Hofbeamter von Ptolemäus II. präsentiert, hingegen dürfte der Autor des Buches Jude gewesen sein. Das Besondere an der Erzählkonstruktion des Aristeasbuchs ist, dass ein jüdischer Autor einen Erzähler griechischer Herkunft auftreten lässt, der die Ereignisse um die Übersetzung der LXX erzählt. Warum diese Konstruktion? »By writing in the voice of a Gentile narrator, our author reassures his educated Jewish co-ethnics/religionists that the Gentiles who occupy the upper strata of Hellenistic Alexandrian society understand and accept Jews as Jews« (19). Wegen dieser Differenzierung wählt W. folgende präzise terminologische Unterscheidung: Das kursiv geschriebene Aristeas steht für das Buch, den Autor nennt W. Ps.-Aristeas und die im Buch auftretende Figur, die zugleich der Erzähler ist, Aristeas (20). Dass diese Unterscheidung für die theologische Konzeption von Belang ist, zeigt sich beispielsweise bei der viel diskutierten Gleichsetzung von Gott und Zeus in Arist 16.
Über den Autor, in W.s Terminologie Ps.-Aristeas, ist an­derweitig nichts bekannt. Es lässt sich nur aus dem Aristeasbuch selbst schließen, dass er über eine gute griechische Bildung verfügte, Zugang zur griechischen Literatur hatte, sehr belesen war, die alexandrinische Homerexegese kannte und mit der ptolemäischen Bürokratie und Königsideologie vertraut gewesen sein dürfte.
Bei der Gattungsfrage diskutiert W. intensiv die beiden grundlegenden Positionen: Zum einen wird das Aristeasbuch wegen seiner Form (nicht wegen des Titels, der sich erstmals in einem Ma­nuskript aus dem 14. Jh. n. Chr. findet) als Brief (Doering), zum anderen als (historiographische) diegeses (Hadas, Honigman) verstanden. Dabei nimmt W. eine vermittelnde Position ein: »Aristeas thus represents a conscious blending/bending of genres that in-vokes both historiography and epistolography […] Aristeas is a hybrid constructed for precisely the advantages that such genre hybridity confers« (51). – Insgesamt versteht W. das Aristeasbuch als eine Exodus-Ge­schichte (rewritten Exodus) mit dem Ziel, Alexandria als einen Ort, aus dem man nicht mehr fliehen muss, sondern wo man leben kann, zu profilieren.
Mit Blick auf die historische Frage betont W., dass uns diese Schrift als einer der wenigen gänzlich erhaltenen jüdischen Texte aus dieser Zeit aus Alexandrien die Möglichkeit eröffnet, die jüdische Gemeinschaft Alexandriens aus dem 2. Jh. v. Chr. präziser zu rekonstruieren. Die viel diskutierte Frage dabei ist, welchen historischen Wert man der Schrift beimisst und wie fact und fiction in diesem elaborierten literarischen Produkt unterschieden werden können. So stellt sich beispielsweise die in letzter Zeit wieder kontrovers diskutierte Frage, ob der König von Ägypten bei dem Projekt der Übersetzung engagiert war oder nicht. W. bleibt skeptisch: »we would do well to remain suspicious of the picture Ps.-Aristeas paints for us, even if it might seem to be historically plausible« (11). Dabei arbeitet W. eine hilfreiche Unterscheidung zwischen der Intention zum Zeitpunkt der Produktion der Übersetzung und ihrer späteren Rezeptionsgeschichte heraus: »the Septuagint does not appear intended at that point of production to supplant the Hebrew text and to serve as an independent replacement of it« (13). Dann aber sei die LXX als eine vom hebräischen Text unabhängige und in sich stehende Größe wahrgenommen worden: »Here is where Aristeas enters the picture. The author portrays the Septuagint as being a free-standing replacement for the Hebrew text from its very origins, a translation that served as the sacred scripture of the Alexandrian Jewish community right from the beginning. Yet, this assessment clashes with what we can understand from examining the translation itself […] the Letter of Aristeas witnesses to the reception history of the Septuagint and not to its point of production« (13 f.).
Bei der viel diskutierten Frage der Datierung legt W. ausführlich die einzelnen Positionen dar (21–30) und kommt selbst zu einer Datierung in das 2. Jh. v. Chr., zwischen 160 und 100 v. Chr. In weiteren Kapiteln diskutiert W. textkritische Fragen und das Verhältnis zu den Nacherzählungen von Aristeas bei Josephus und Eusebius (30–35), bespricht detailliert die in Aristeas möglicherweise verwendeten Quellen (35–43) und thematisiert die Beziehung von Aristeas zu anderen jüdischen Schriften, vor allem zu Pseudo-Phokylides, dem Prolog des griechischen Sirachbuchs und dem 3. Makkabäerbuch (59–62). Abschließend arbeitet W. zwei große und sich zugleich überschneidende Ziele der Schrift (62–74) heraus: »(1) to construct/reinforce a Jewish identity that would provide a solid justification for elite, educated Jews to participate in the larger Hellenistic world of Alexandria as Jews and (2) to offer a myth of origins for the primary basis on which a Jewish identity should be built, the Greek version of the Pentateuch, the Septuagint« (66).
Die folgende ausführliche Kommentierung (99–458) orientiert sich an den Vorgaben der Reihe: Sie beginnt mit der Übersetzung, es folgen Hinweise zur Textkritik (»textual notes«), ein »general comment« und »notes« zu einzelnen Begriffen oder Formulierungen. Die Kommentierung ist klar und sachdienlich und macht die wichtigsten Informationen zum Text übersichtlich gut zugänglich. Ein Sach- und Namenregister sowie ein Stellenregister schließen den Kommentar ab.