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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

867–868

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Weaver, Jr., G. Stephen

Titel/Untertitel:

Orthodox, Puritan, Baptist. Hercules Collins (1647–1702) and Particular Baptist Identity in Early Modern England.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 234 S. m. 2 Abb. = Reformed Historical Theology, 32. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-525-55086-1.

Rezensent:

Uwe Swarat

Diese Arbeit ist die überarbeitete Fassung einer Doktoraldisserta-tion am Southern Baptist Theological Seminary in Louisville, Kentucky (USA). Sie widmet sich einer der führenden Persönlichkeiten der zweiten Generation des Baptismus.
Der Baptismus ist aus demjenigen Flügel des englischen Puritanismus erwachsen, der die Idee einer Staatskirche ablehnte (Dissenters oder Nonkonformisten). Er hat jedoch keinen einheitlichen Anfang, sondern ist aus zwei unterschiedlichen Situationen heraus entstanden. Die eine Ursprungssituation war eine kleine Gruppe von Nonkonformisten unter der Führung von John Smyth und Thomas Helwys, die vor der Verfolgung durch Staat und Kirche von England nach Amsterdam auswich und dort die Notwendigkeit der Gläubigentaufe erkannte. Nach ihrer Rückkehr nach England gründete sie 1612 in Spitalsfield bei London die erste Baptistengemeinde.
Unabhängig von der Spitalsfielder Gemeinde ka­men in den folgenden Jahren mehrere separatistische Gemeinden in England ebenfalls zu der Überzeugung, dass die christliche Gemeinde die Gläubigentaufe zur Grundlage haben sollte, und konstituierten sich damit als Baptistengemeinden. Aus dieser zweiten Quelle des Baptismus entstand 1633 die älteste Baptistengemeinde in London im Stadtbezirk Wapping. Dritter Pastor dieser Gemeinde war Hercules Collins, dem die Untersuchung von G. Stephen Weaver gilt.
Der Umstand, dass der Baptismus in England mehrere Quellen hat, führte zu einem Lehrunterschied zwischen den Gemeinden, der als so gewichtig angesehen wurde, dass sie sich nicht zu einem einzigen Bund zusammenschließen konnten. Es handelt sich um eine Differenz, die aus der Prädestinationslehre der reformierten Kirchen stammt, nämlich die zwischen dem Arminianismus (nach Jacobus Arminius † 1609) auf der einen und der Dordrechter Orthodoxie (Dordrechter Synode 1618/19) auf der anderen Seite. Ein Teil der Baptistengemeinden vertrat mit dem Arminianismus die Heils­chance für alle Menschen (sie wurden darum General Baptists genannt), während der andere Teil überzeugt war, das Heil stehe nur den dazu von Gott Prädestinierten offen (sie wurden Particular Baptists genannt). Zu Letzteren gehören auch die Gemeinde Wapping und ihr Pastor Collins.
W. gibt in dieser Arbeit zunächst den Lebenslauf von Collins wieder und charakterisiert dann dessen theologische Überzeugungen mit den drei Stichwörtern, die im Titel des Buches stehen: Orthodox, Puritan, Baptist. Die Kommata zwischen ihnen könnten den Eindruck erwecken, als würden drei Phasen seines theologischen Denkens unterschieden; das wäre jedoch ein Missverständnis. Der Verfasser weist nämlich nach, dass Collins alles drei zu­gleich war und sein wollte: ein christlich orthodoxer, puritanisch geprägter Baptist! Mit dieser Prägung wurde er zu einer der repräsentativen Gestalten der Particular Baptist.
Mit der Bezeichnung von Collins’ Theologie als Orthodoxie will der Verfasser benennen, dass Collins die altkirchlichen Bekenntnisse von Nicäa-Konstantinopel und Chalcedon ausdrücklich bejahte und damit sowohl die Trinitätslehre als auch die christologische Zwei-Naturen-Lehre. Wie bewusst Collins auch auf dem Boden der reformatorischen Theologie stand, wird u.a. daran erkennbar, dass er eine bearbeitete Fassung des Heidelberger Katechismus herausgegeben hat. Als Puritaner erweisen sich Collins wie die übrigen Particular Baptists dadurch, dass ihre eigenen Glaubensbekenntnisse (vor allem die Second London Confession 1677/1689) weitgehend wortgleich sind mit der Westminster Confession, dass sie puritanische Autoren eifrig lasen und zitierten und dass sie vor allem in ihrer Hermeneutik und Homiletik ganz mit den Puritanern übereinstimmten. Selbst dort, wo sie von ih­nen abwichen, nämlich in der Ekklesiologie und der Taufpraxis, be­gründeten sie das mit dem puritanischen Grundsatz, dass der Gottesdienst streng nach dem Maßstab der Bibel gestaltet sein soll.
Im Kapitel über die speziell baptistischen Elemente in Collins‘ Theologie arbeitet der Verfasser heraus, dass das Eintreten der Baptisten für Religionsfreiheit aus ihrem Bekenntnis zur Trennung von Kirche und Staat und damit aus ihrer Ekklesiologie erwachsen ist. Als kirchliches Leitungsmodell vertrat Collins den Kongregationalismus, was nicht nur bedeutet, dass jede Einzelgemeinde selbständig ist, sondern vor allem, dass die Entscheidungen in wichtigen Fragen nicht von einem oder mehreren Ältesten ge-troffen werden, sondern von der Gemeindeversammlung insgesamt.
Besonders interessant ist das Sakramentsverständnis von Collins. Im Unterschied zu anderen Baptisten nennt er Taufe und Abendmahl nicht nur ordinances (Anordnungen), sondern auch sacraments. Für das Abendmahl weist der Verfasser nach, dass Collins kein rein memorialistisches Verständnis (bloßes Gedächtnismahl) vertrat, sondern wie Calvin eine geistliche Präsenz Christi im Abendmahl und ein geistliches Essen (engl. spiritual nourishment; lat. manducatio spiritualis) durch die Gläubigen lehrte. Allerdings scheint mir der Verfasser Calvins Sakramentslehre nicht ganz korrekt erfasst zu haben. Er behauptet nämlich, für Calvin (und den Heidelberger Katechismus) hätten weder Taufe noch Abendmahl eine Heilswirkung (salvific benefit) gehabt; beide Sakramente dienten lediglich der Vergewisserung (assurance) der Gläubigen. Damit ist aber der Calvinische Sakramentsparallelismus (Zeichen und Sache ereignen sich parallel) missverstanden. Für Calvin wird in den Sakramenten nicht nur veranschaulicht, sondern tatsächlich angeboten, was sie verheißen, nämlich die Gnade Gottes (siehe u. a. Institutio IV,14,7.17; 17,11). W. beschreibt die reformierte Sakramentstheologie zwar richtig, wenn er sagt, dass Taufe und Herrenmahl keine Gnadenmittel in und aus sich selbst sind (not »means of grace in and of themselves«; 143). Allerdings folgert er falsch, sie seien somit überhaupt keine Gnadenmittel. Sie sind es im Sinne Calvins zwar nicht »in und aus sich selbst«, aber doch dann, wenn der Heilige Geist sie in den Dienst nimmt, sodass sie im Glauben empfangen werden. Gegen W. wird man also sowohl als Reformierter wie als Baptist Taufe und Abendmahl als Gnadenmittel be­trachten dürfen.
Die hier vorgelegte Untersuchung ist verdienstvoll, weil sie nicht nur eine einzelne Gestalt des Baptismus im 17. Jahrhundert der Vergessenheit entrissen, sondern zugleich auch das theologische Profil und das Selbstverständnis der Particular Baptists insgesamt herausgearbeitet hat. Viele Baptisten verstanden sich damals und verstehen sich noch heute als Teil der von (Luther und) Calvin angestoßenen Reformation und vertreten eigene theologische Positionen nur auf dem Gebiet der Ekklesiologie und der Tauflehre. Diese eigenen Positionen haben sie auf der Basis der reformierten Theologie entwickelt, sodass bei ihnen nach ihrem Selbstverständnis die Reformation konsequent durchgeführt wurde.