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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

852–854

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Käbisch, David

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XV, 363 S. = Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart, 14. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-153007-4.

Rezensent:

Frank M. Lütze

Dass der Religionsunterricht Schülerinnen und Schüler zum Umgang mit und zur Orientierung in einer pluralen Welt befähigen soll, kann als common sense in der gegenwärtigen Religionspädagogik gelten. Dabei lag freilich bislang der Fokus auf der Pluralität religiöser Lebensdeutungen; explizit nichtreligiöse Selbstverständnisse – die keineswegs auf Ostdeutschland begrenzt sind! – kamen demgegenüber nur selten in den Blick. Sich den damit für den Religionsunterricht verbundenen Herausforderungen zu stellen, ist das Anliegen und das Verdienst der Marburger Habilitationsschrift von David Käbisch. In einem Dreischritt aus empirischer Bestandsaufnahme, theologischer wie bildungstheoretischer Re­flexion sowie didaktischen Überlegungen entwirft er Grundlinien einer Religionsdidaktik, die Konfessionslosigkeit – verstanden als nichtreligiöse Lebensorientierung – nicht auf eine mögliche Lernvoraussetzung begrenzt, sondern systematisch innerhalb des Unterrichts als Alternative zu religiösen bzw. christlichen Deutungsmus­tern in den Blick nimmt. Dieses Anliegen wird im Horizont der von Bernhard Dressler beschriebenen Didaktik des Perspektivenwechsels entfaltet.
Die ausführliche Einleitung (1–43) markiert die Bearbeitung von Konfessionslosigkeit als wichtiges Desiderat der Religionsdidaktik und erläutert den Aufbau der Studie. Nach einem ersten exemplarischen Blick auf den Anteil nichtevangelischer Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht einer westdeutschen Großstadt werden (kirchlich-)bildungspolitische Verlautbarungen, Bildungsstandards sowie Lehrpläne auf Bezüge zur Konfessionslosigkeit gesichtet. Der Befund ist im Ganzen ernüchternd: Dominiert bei Ersteren ein missionarischer Blick, beschränken sich die untersuchten Bildungsstandards und Curricula auf vereinzelte, vor allem in der gymnasialen Oberstufe vorgesehene Bezüge auf nichtreligiöse »Weltanschauungen«. Ähnlich düster sieht K. die Lage in der Religionspä-dagogik, die sich bislang vor allem in Ostdeutschland und dort überwiegend im Bereich der Gemeindepädagogik mit den durch Konfessionslosigkeit gestellten Herausforderungen befasst habe. Schließlich zeigt sich auch die empirische Forschungslage im Blick auf die Beschreibung von Konfessionslosigkeit in mehrfacher Hinsicht als defizitär. Als unbefriedigend wird dabei u. a. der oszillierende Begriff von »Konfessionslosigkeit« markiert, der bald über Taufstatus, bald über Kirchlichkeit oder über Religiosität definiert wird (eine berechtigte Anfrage, die man freilich auch der vorliegenden Studie nicht ganz ersparen kann). Die Einleitung mündet in eine Beschreibung und Begründung des dreiteiligen, an die Schritte einer elementarisierenden Unterrichtsplanung angelehnten Aufbaus der Untersuchung.
Der erste Hauptteil (45–117) wendet sich empirischen Befunden zur Konfessionslosigkeit zu – eine angesichts der dünnen Forschungslage diffizile Aufgabe, der sich K. mit methodischer Um­sicht stellt. Die Prägungen und Interessen konfessionsloser Kinder und Jugendlicher, die aus unterschiedlichen Studien zusammengestellt werden (Kapitel I.2 / I.3), werden mit Blick auf die vorgesehene Thematisierung von Konfessionslosigkeit im Unterricht er­gänzt um einen religionssoziologischen Blick auf die Perspektiven erwachsener Konfessionsloser (I.1). Letzteres bleibt allerdings be­schränkt auf die Wahrnehmung von Religion und Kirchlichkeit durch Konfessionslose, während nichtreligiöse Mus­ter der Lebens- und Weltdeutung, der Kontingenzbewältigung etc. weitgehend unausgeführt bleiben. Das mag wesentlich dem Umstand geschuldet sein, dass »Konfessionslosigkeit« keine eigene Weltanschauung ist, sondern eine »Melange an religiösen, religionskritischen und nichtreligiösen Einstellungen« (23), was eine empirische Beschreibung erheblich erschwert; dennoch sollte im Rahmen einer Didaktik des mutuellen Perspektivenwechsels, die eben auch eine probeweise Übernahme konfessionsloser Perspektiven beinhaltet, zumindest deutlich(er) auf das Dilemma hingewiesen werden. Instruktiv sind die Beobachtungen aus der Unterrichtsforschung, die K. aus verstreuten Studien zusammenträgt; dabei erkennt K. (etwas anders als der Rezensent) quantitative, aber keine qualitativen Unterschiede in der Konfessionslosigkeit zwischen Ost und West. Am Ende des ersten Hauptteils steht eine Zusammenfassung (110–117), die auf die weitgehende Überschneidung von Konfessionslosigkeit und nichtreligiöser Le­bensorientierung hinweist.
Der zweite Hauptteil der Arbeit (119–189) reflektiert grundlegende bildungstheoretische, religionspädagogische und theologische Perspektiven einer auf Konfessionslosigkeit bezogenen Religionsdidaktik. Eine gründliche Relecture von Sprangers Unterscheidung von Lebensformen fokussiert die auf unterschiedlichen Ebenen möglichen Konflikte, angesichts derer nichtreligiöse Orientierungen durchaus als attraktive Alternative erscheinen können. Der Beitrag religiöser Bildung zur Lebensorientierung wird anschließend in kritischer Auseinandersetzung mit religionsdidaktischen Ansätzen profiliert. Ein dritter Gesprächsgang wendet sich den für die Arbeit grundlegenden Kategorien »Religion«, »Theologie« und »Bekenntnis« zu. Dabei führt die Fülle der rezipierten Ansätze aus Sicht des Rezensenten bisweilen zu unabgeschlossenen Argumentationsgängen: So bleiben etwa die Überlegungen zur Bekenntnisfreiheit im Anschluss an Henning Luther (179 f.) im Kontext weitgehend unverbunden.
Didaktische Perspektiven stehen im Fokus des dritten Hauptteils (191–293). Zwei Kapitel, die den Bezug auf Konfessionslosigkeit einzeichnen in das Anliegen einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik sowie in eine Didaktik des Perspektivenwechsels, bilden die Scharnierstelle zu den vorangehenden systematischen Überlegungen. Das anschließende dritte Kapitel beschreibt mit zahlreichen Beispielaufgaben hermeneutische Kompetenzen, die anzusteuern sind in einem Unterricht, der Schüler zu einem Wechsel zwischen religiösen und nichtreligiösen Perspektiven befähigen möchte. Der Hauptteil endet in Anforderungen an schulgeeignete Aufgabenformate in deutlicher Abgrenzung von Importen aus der Gemeindepädagogik (290 u. ö.).
Ein abschließendes Summarium (295–316) profiliert das Anliegen eines Religionsunterrichts, der Konfessionslosigkeit als eine konstitutive Referenzgröße berücksichtigt, im Blick auf seine Aufgaben im Rahmen der allgemeinbildenden Schule. Den damit gestellten Herausforderungen, so wird mit Blick auf das »Hamburger Modell« wie auf LER gezeigt, muss und kann sich der konfessionelle Religionsunterricht stellen.
Mit dem besprochenen Buch legt K. eine umsichtige und an­spruchsvolle Rekonstruktion einer Didaktik des Perspektivenwechsels im Blick auf Konfessionslosigkeit vor. Nichtreligiöse Lebensdeutungen werden dabei in eindrücklicher Weise ernstgenommen als mögliche und bisweilen mit guten Gründen vertretene Lebensorientierung: Hier setzt das Buch Standards, die fortan nicht unterboten werden sollten. Die pointierte Abgrenzung gegenüber allen außerschulischen (»gemeindepädagogischen«) Ansätzen zum Um­gang mit Konfessionslosigkeit tendiert allerdings aus Sicht des Rezensenten im Endeffekt zu einer kognitivistischen Engführung des Lernens. Nimmt man über die Gestaltung angemessener Aufgaben hinaus auch die Frage nach didaktisch geeigneten Quellen für religiöse wie nichtreligiöse Lebensorientierungen in den Blick, sollte man – zumal in einem konfessionslosen Mehrheitskontext – auf ein Lernen in Begegnung, wie es die als »gemeindepädagogisch« (ab)qualifizierten Beiträge vorschlagen, nicht verzichten.