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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

848–850

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bohne, Gerhard

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik als Kulturkritik. Texte aus der Weimarer Republik. Eingel., hrsg. u. komment. v. D. Käbisch u. M. Wermke.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. 416 S. Kart. ISBN 978-3-374-02487-2.

Rezensent:

Antje Roggenkamp

Die von David Käbisch (inzwischen Frankfurt am Main) und Mi­chael Wermke (Jena) herausgegebenen Texte Gerhard Bohnes (1895–1977) um­fassen 15 Aufsätze und kleinere Schriften aus den Jahren 1923 bis 1932 (143–357). Mit ihrer umfänglichen Einleitung legen die Herausgeber eine Einführung in Wirken und Werk des Religionspädagogen vor. Diese konzentriert sich einerseits auf das Buch »Das Wort Gottes und der Unterricht. Zur Grundlegung einer evangelischen Pädagogik« – in zwei divergierenden Varianten (Berlin 1929, 21932); andererseits auf vielfältige Einflüsse, mit denen sich B. zeitgleich auseinandersetzt.
Im Einzelnen enthält die Einleitung (15–142) biographische und institutionengeschichtliche Informationen über das Umfeld B.s (20–52), die Darstellung des Ringens mit Positionen Eduard Sprangers (52–67), die Entwicklung seines Engagements für eine christliche Schule (67–105), eine sich wandelnde Deutung der Moderne (105–133) sowie die Rekonstruktion einer Religionspädagogik »als Kulturkritik« (134–141). Die Herausgeber vermuten diesbezüglich ein unabgegoltenes Potential für die Religionspädagogik, das in Form kritischer Wiedererschließung zum einen das Selbstverständnis gegenwärtiger Religionspädagogik vorantreiben könne, zum anderen den Bedingungen einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft Rechnung trägt (7 f.). Dabei gehen sie für B.s Konzeption im Unterschied zur Rezeption der Ansätze zeitgenössischer Mitstreiter – zu nennen wären von religionspädagogischer Seite u. a. Hans Richert, Friedrich Niebergall, Herrmann Tögel (A. R.) – davon aus, dass er »weder der nationalsozialistischen Ideologie das Wort redete noch gar als Wegbereiter des Nationalsozialismus gelten kann« (8).
Der biographisch-institutionengeschichtliche Abschnitt arbeitet zunächst heraus, dass die generelle Rückführung von B.s Ansatz auf die Dialektische Theologie einem apologetischen Kalkül Helmut Kittels entspringt, der 1947 seinen eigenen, jetzt zur Evangelischen Unterweisung mäandernden, ehemals deutsch-christlichen Ansatz auf diese Weise in einen Kontext politisch unbedenklicher Theologie verschieben wollte. Im Grunde genommen orientiert sich B. aber von vornherein an der geisteswissenschaftlichen Pä-dagogik Eduard Sprangers, die das Denken, Fühlen und Wollen des einzelnen Individuums von unterschiedlichen kulturellen Teilsys­temen der Gesellschaft geformt sieht (17 f.). Bis 1929 Studienrat in Altenburg, durchläuft B. als Dozent für Religionswissenschaft in den Jahren 1930–1933 die Kollegien dreier pädagogischer Akademien (Frankfurt/Oder, Elbing, Kiel): In Frankfurt setzt er sich mit dem Philosophen Hans Bohnenkamp über den Geltungsbereich von Theologie, der B. eine Bedeutung im Diesseits aus der Perspektive des Jenseits einräumt, kritisch auseinander (44). 1938 wird er als politisch unzuverlässig eingestuft, 1948 erneut an die PH Kiel berufen, deren Rektor er kurzzeitig zwischen 1959 und 1961 werden soll.
Während in Sprangers strukturpsychologischer Konzeption die Religion einen institutionellen Status neben anderen Wertgebieten, die subjektiv zu verwirklichen seien, erhält, unterscheide B. zwischen objektiver Gottgebundenheit des Menschen, subjektiver Bejahung dieser Tatsachen und institutionellen Ausdrucksformen von Religion in Kult, Dogma und Sittlichkeit. Gegen Ende der 1920er Jahre greife B. hingegen auf Friedrich Brunstäds Religionsphilosophie von 1922 zurück, um das Verhältnis zwischen Religion und Kultur als hierarchisches – und nicht länger als gleichgeordnetes – präzisieren zu können: »Die Religion ist kein besonderes Wertgebiet neben diesen Kulturwerten; sie bedeutet die tiefste Begründung des Wertstrebens überhaupt […]« (65). Im Unterschied zu Spranger, dem er einen Kategorienfehler vorwirft (»Was nur verschieden ist, das widerstreitet nicht.«), begreift Brunstäd den »Wertwiderstreit« als einen »Zwiespalt zwischen Sollen und Sein« (66). Für B. ergibt sich hieraus die Grundlage seiner Religionspä-dagogik, die Einsicht nämlich, dass die hamartiologische Bestimmung des Menschen, seine Sündhaftigkeit, seiner prozessualen Verwirklichung in der Kultur diametral entgegenstehe.
B.s Engagement im Schulkampf um die »christliche Schule« (§§146 und 174 WRV) ist nicht ohne Bezug auf die Thüringer Kirchenaustrittsbewegung der 1920er Jahre zu verstehen. Als Mitglied des Christlichen Reichselternverbandes Thüringen setzt sich B., der auch überregionale Aufgaben übernimmt, für die konfessionelle Schule ein (77.82). Damit tritt er in Spannung zur Thüringer Landeskirche, die aus der Befürchtung heraus, dass in den Gemeinschaftsschulen auf christlichen Religionsunterricht verzichtet werden könnte, einen Mittelweg (keine christlichen Bekenntnis-Schulen, aber konfessioneller Religionsunterricht für alle) einzuschlagen sucht. Nachdem durch den Thüringer Schulkompromiss der Weg zur Gemeinschaftsschule 1927 eröffnet worden ist, wendet sich B. der Klärung von religionspädagogischen Grundsatzfragen zu und erklärt die christliche Bekenntnisschule vor dem Hintergrund der Einsicht in die Krise der Kultur 1929 jetzt zu einer »Scheinlösung« (101 f.).
Während B. – auch wenn der Begriff erst seit den 1960er Jahren in der Religionspädagogik üblich wird – der Sache nach zunächst mit Spranger von einer Säkularisierung der Kultur im Sinne der Ausdifferenzierung von Gesellschaft ausgeht, wendet er sich gegen Ende der 1920er Jahre von dessen Vorstellung einer sich nach einheitlichen Gesetzen entwickelnden Kultur ab. Dies dokumentieren vor allem verschiedene Rezensionen, die aus seiner Feder im literarischen Organ Eckart erscheinen. Gegen die kulturprotestantische These, dass sich das Reich Gottes nur in der bestehenden Kultur verwirklichen könne, setzt er zunehmend die Überzeugung, dass es nur durch die Krise des Bestehenden hindurch kommen könne (125). Ein Vergleich der verschiedenen Ausgaben von erster und zweiter Auflage des Bohne’schen Hauptwerkes »Das Wort Gottes und der Unterricht« stützt auch methodologisch die Einsicht, dass sich B.s Gedanken – ausgehend von Sprangers Strukturpsychologie über Brunstäds Werteverwirklichung unter dem Einfluss von Friedrich Gogarten (Krisis der Kultur, religiöse Entscheidung) – zu einer eigenständigen Konzeption entwickelt haben. Es sei ausgerechnet das Erbe des Kulturprotestantismus, das ihn die Gogartensche Spannung für den Religionsunterricht relativieren lasse: der Religionsunterricht stehe nicht auf der Grenze zwischen Gott und Mensch, Religion und Kultur, sondern er greife in beides über, ohne einer der beiden Sphären (an-) zu gehören (131 f.).
B. lege einen eigenständigen Entwurf vor, der die Kritik an der Krise der Kultur zu einer religionspädagogischen Leitlinie werden lässt: es geht um die prinzipielle Kritikfähigkeit des Einzelnen ge­genüber »staatlichen und kirchlichen Autoritäten« (140). Die zum Teil expressionistisch eingefärbte Kategorie der Entscheidung – Entsprechendes gilt auch für Termini wie Krise und Kritik (136) –, sei als »nichtreflexives Gegenstück« (135) der Kritikfähigkeit aufzufassen. Die radikale Kritik an der menschlichen Hybris lasse sich aber eben nicht mit politischen Kategorien wie »progressiv« oder »konservativ« messen, sondern helfe, die spannungsvolle Kulturanalyse B.s für die Religionspädagogik bleibend aktuell zu halten.
Die zumindest für die Rezensentin unerwartete Einsicht in B.s Insistieren auf religionspädagogisch wirksame Kritikfähigkeit konterkariert in der Tat jede Rückführung seines Ansatzes auf dia-lektisch-theologische Grundlagen oder ein sogenanntes Entschei-dungs­christentum und eröffnet der religionspädagogischen His­toriographie ganz neue (Forschungs-)Perspektiven. Dass diese Fragen nun durch die bislang schwer zugänglichen Aufsätze erneut bearbeitbar sind, scheint mir ein erhebliches Verdienst der Herausgeber.