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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

844–846

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Prüller-Jagenteufel, Gunter, Schliesser, Christine, u. Ralf K. Wüstenberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Beichte neu entdecken. Ein ökumenisches Kompendium für die Praxis.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2016. 240 S. = Kontexte. Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, 45. Geb. EUR 37,90. ISBN 978-3-8469-0210-3.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der von Landesbischof Bedford-Strohm und Kardinal Schönborn mit je einem Vorwort versehene Band will »zur Wiederentdeckung eines kostbaren Schatzes christlicher Praxis – evangelisch wie katholisch – beitragen«. Längst ist sowohl in der evangelisch-lutherischen als auch in der römisch-katholischen Kirche die Beichte »aus der Mode gekommen« (11). In drei Teilen wird das Thema von neuen Autoren abgehandelt: Erfahrungsorte der Beichte; Theologische Wegmarken; Ökumenische Ermutigungen.
Ralf K. Wüstenberg berichtet von der Beichtgelegenheit am Berliner Dom, Hermann Glettler gibt einen persönlichen Praxisbericht »über ein Sakrament, das Zukunft hat«, Klemens Schaupp stellt »Überlegungen zur therapeutischen Dimension der Beichte« an, Joachim Zehner schreibt über Erfahrungen von Versöhnung im Strafrecht, Ralf K. Wüstenberg über »Wahrheitskommissionen als Beichtstuhl?« und Christine Schliesser berichtet beklemmend über Erfahrungen in Ruanda (»das ›christlichste‹ Land Afrikas«) nach dem dortigen Völkermord. Es wird deutlich, »Vergebung ohne Schuldanerkennung« ist »unmöglich« (24). Glettler sucht »Impulse zur Neubelebung der Beichte […] von evangelischen Kirchen, die die Beichte als zeitgemäße Versöhnungspraxis wiederentdecken und neu belegen« (40). Nachdem vor wenigen Jahrzehnten sich Psychoanalyse und Theologie gegenseitig ablehnten, entdecken beide, dass sie aufeinander angewiesen sind (52 f.). Zehner macht deutlich, dass »Vergebung auch immer Erkennen und Benennen von Schuld einschließt« (68). Wüstenberg betont mit CA XII: »Wo der Glaube fehlt, da nützen Reue, Beichte und Satisfaktion nichts.« (72.151–158) Das führt er auch im Hinblick auf Versöhnung im politischen Be­reich aus.
Peter Zimmerling stellt in zwei Kapiteln die Geschichte der Beichte dar, eine Zusammenfassung dessen, was er in mehreren Monographien geschrieben hat. Er sieht »Ansätze zur Wiedergewinnung der Beichte« gegenüber der »massive[n] Kritik an der Beichte durch Vertreter der humanwissenschaftlich geprägten Seelsorge«, wie sie vor allem durch Joachim Scharfenberg vorgebracht worden war. Er erkennt aber an: »Das Beichtgespräch hat humanwissenschaftlichen Erkenntnissen zu verdanken, dass es professioneller als früher geführt werden kann« (99.177–180). Seltsamerweise fallen im ganzen Buch die Stichworte »Clinical Pastoral Training« bzw. Education sowie Supervision überhaupt nicht. Michael Herbst geht der Frage nach, ob die Beichte nicht ihren Standort gewechselt habe, nämlich in »säkulare, oft medial präsentierte Selbstbezichtigungen«. Er sieht darin eine »postmoderne Ironisierung« (119 f.). Gunter Prüller-Jagenteufel betont vollkommen zu Recht, »letztlich kann sich niemand selbst entschuldigen, man kann immer nur um Entschuldigung bitten – und zwar grundsätzlich den Menschen, an dem man schuldig geworden ist« (147). An sich selbstverständlich, wird dies doch meist nicht beachtet. Er betont auch, dass die Reformatoren zu Recht die zeitgenössische Bußpraxis kritisiert hätten, nicht nur hinsichtlich der Ablasspraxis, sondern auch hinsichtlich der Absolution als »autoritäre(n) Urteilsspruch ›nach Art eines richterlichen Aktes‹« (163). Wo in der römisch-katholischen Kirche pastorale Neuaufbrüche zur Wiederentdeckung der Beichte führen, geschieht dies nicht durch das verrechtlichte tridentinische Denken, sondern durch einen personal-pastoralen Zugang (169). Für Zimmerling bildet die Beichte »den Lackmustext für die evangelische Rede von Schuld und Vergebung« (182). Bei Johann Pock gehört die Einzelbeichte mit Absolution je­denfalls zu den dem Priester vorbehaltenen Tätigkeiten (201). Es ist zu fragen, ob nicht auch in der evangelisch-lutherischen Kirche dies gelten sollte (Zimmerling schreibt, Bonhoeffer habe es in Finkenwalde zur Vorbedingung gemacht, »dass der Beichthörer ein ordinierter Theologe war, der expressis verbis die Vergebung zu­sprach«, 175).
In fast allen Beiträgen wird in Bonhoeffers Ausführungen zur Beichte eine »ökumenische Ermutigung« zur Wiedergewinnung der Beichte gesehen – und zwar dort, »wo es um eine – neue oder kontinuierliche – Ausrichtung des Lebens am Evangelium geht, vor allem also im Rahmen von Exerzitien oder in christlichen Gemeinden bzw. Gemeinschaften mit besonders intensivem Glaubensleben« (217). Jedoch es wird bei aller Übereinstimmung in den Darlegungen der Autoren deutlich, dass konfessionelle Unterschiede bleiben werden. Übereinstimmung herrscht aber darin, dass es bei der Beichte und Absolution um das Evangelium geht und dass der Beichthörende im Namen der Kirche handelt in einem Amt, »das der Kirche als Ganzer von Christus her zukommt« (227).
Das Buch ist gut und nützlich zu lesen. Der Leser erfährt vielerlei Anregungen und ist erstaunt darüber, wie homogen die Autoren über das Thema schreiben. Doch vermisst man konkrete Hinweise, wie man der Gemeinde, vor allem den Konfirmanden, die Beichte nahe bringen kann. Und wie steht es mit der Ausbildung der jungen Theologen zum Beichte hören? Hier gibt es noch viel zu überlegen und zu tun!