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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

988–990

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Vogler, Werner]

Titel/Untertitel:

Gedenkt an das Wort. Festschrift Werner Vogler zum 65. Geburtstag., Hrsg. von Ch. Kähler, M. Böhm und Ch. Böttrich.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1999. 304 S., 1 Porträt 8. Kart. DM 44,-. ISBN 3-374-01701-0.

Rezensent:

Martin Rösel

Die anzuzeigende Festschrift ehrt den Neutestamentler Werner Vogler, der am Theologischen Seminar (Kirchliche Hochschule) und später an der Universität in Leipzig tätig war. Über seine für einen Wissenschaftler ganz untypische Vita informiert ein kurzer Überblick (295 f.), der zusammen mit einem Geleitwort H. Hirschlers (7) als "Einstieg" in die Lektüre zu empfehlen ist. Die Autoren des Bandes stammen aus dem näheren und weiteren Umfeld der Leipziger Fakultät. Hervorzuheben ist, daß von einigen die engeren Fachgrenzen durchaus überschritten wurden, vgl. die Artikel des Alttestamentlers H. Seidel "Gemeindegesang in der christlichen Urgemeinde" (231-242) oder des Neutestamentlers Chr. Kähler "Wer spricht vom Fall in die Grube? Werden, Wandel und Bedeutung einer Metapher" (78-92).

Die einzelnen Studien sind alphabetisch nach ihren Verfassern geordnet. Das ist besonders hinsichtlich der neutestamentlichen Aufsätze schade, denn so werden die übergeordneten Themen und Bezüge der Arbeiten untereinander nicht gleich deutlich. So beschäftigen sich einige Aufsätze mit der von Vogler bearbeiteten Thematik der jüdisch-christlichen Beziehungen: G. Baumbach, "Glaubensgerechtigkeit" contra "Gesetzesgerechtigkeit". Die Auseinandersetzung des Paulus mit seiner pharisäischen Vergangenheit (9-23), nimmt Paulus recht pauschal gegen Antijudaismus-Vorwürfe in Schutz, wobei methodisch fragwürdig erscheint, daß er versucht, "das Judentum in der Sicht des Pharisäers Paulus" (16) darzustellen - als wäre uns diese Sichtweise aus den Schriften des Christen Paulus überhaupt zugänglich. Interessant ist der Versuch, auf S. 22 die Ergebnisse der Untersuchung graphisch aufzubereiten. Auch U. Schnelle, Die Juden im Johannesevangelium (217-230, vgl. auch den entsprechenden Exkurs in seinem Johanneskommentar, 1998), bemüht sich um eine Entlastung hinsichtlich des Antijudaismus, dies mit Hinweisen zur Erzählstruktur des Evangeliums und zur typischen Redeweise der Gegnerpolemik in der Umwelt des NT. G. Haufe, Israel-Polemik in Q (56-67), zeigt, daß für die Q-Gemeinde Israel als unbedingt verurteilt zu gelten hat. Leider finden sich hier keine Hinweise auf parallele Vorstellungen aus Qumran oder dem AT, vgl. nur O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, 1967. Erneut wird im letzten Satz besorgt festgestellt, dies alles habe aber mit "grundsätzlichem Antijudaismus" nichts zu tun (67). Ob diese Urteile der drei genannten Autoren nicht doch zu pauschal sind? Neben der Erklärung des Phänomens aus seinem zeitgeschichtlichen Kontext heraus sollte man m. E. auch die wirkungsgeschichtlichen Implikationen berücksichtigen.

Chr. Böttrich, Judas Iskarioth zwischen Historie und Legende (34-55), knüpft an die erste wissenschaftliche Arbeit des Jubilars an und stellt zunächst die historischen Daten über Judas zusammen. Darauf zeigt er in einer sehr differenzierten Untersuchung, daß die Rezeptionsgeschichte biblischer Texte eine unverzichtbare Dimension der Exegese ist, was im konkreten Fall zur theologischen Rehabilitation des historischen Judas führt. In vergleichbarer Gründlich- und Ausführlichkeit stellt K. W. Niebuhr, Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Thoralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption (175-200), eine Interpretation der Bergpredigt vor, die, was alttestamentlich-jüdischen Vorstellungen sicher angemessen ist, von einem dynamischen Tora-Verständnis ausgeht. Daher ist die Alternative, ob in den Antithesen die Tora ersetzt oder nur entfaltet werden soll, letztlich unbrauchbar; es geht darum, Jesus selbst als vollmächtigen Tora-Lehrer in der Autorität Gottes darzustellen.

Die weiteren Artikel zu neutestamentlichen Themen sind: M. Böhm, Nachfolge aus Erfahrung. Redaktionskritische Beobachtungen zur Berufung der ersten Jünger bei Markus und Lukas (24-33). H. von Lips, Das Medium ist die frohe Botschaft. Beobachtungen zur Verwendung von evangelion und evangelizestai im Neuen Testament (93-106). C.-P. März. Die theologische Interpretation der Jesus-Gestalt bei Lukas. Anmerkungen zur theologischen Intention des lukanischen Doppelwerkes (134-149). H. Reichelt, Der Anfang und das Ende - der Kommende und das Gekommene. Anmerkungen zur Eschatologie der Johannes-Apokalypse (201-205). N. Walter, Bloß ein Komma? Das "Wort" und die Interpunktion (280-294), zeigt exemplarisch, wie editorische Entscheidungen von exegetischen Urteilen abhängig sind. Interessant wären noch Hinweise auf antike Gliederungssysteme, etwa in den Qumran-MSS gewesen.

Die Untersuchungen zu alttestamentlichen Themen eröffnet W. Herrmann, Die Armen, die Gott suchen (68-77). Im Unterschied zu aktuellen Forschungspositionen (Lohfink, Levin) versteht er die cnwjm nicht als definierbare soziale Gruppe, entscheidend sei vielmehr die Glaubensbindung. Was aber in dieser Zeit "Glaube" ist, kann nicht geklärt werden, so daß eine konkrete Füllung der Bezeichnung "Arme" nicht möglich ist. Der bereits genannte Aufsatz von Chr. Kähler untersucht das Bild vom Fall in die Grube in seinen verschiedenen Ausprägungen von Prov 26,27 bis hin in die LXX-Übersetzung und das Sirachbuch und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Traditionsgeschichte des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. R. Lux, "Wir wollen mit Euch gehen ...". Überlegungen zur Völkertheologie Haggais und Sacharjas (107-133), zeigt die differenzierte Wahrnehmung der Völkerthematik in Hag und Sach 1-8 vor dem Hintergrund persischer Vorstellungen. Dabei wird deutlich, daß Israels Rolle als Mittlervolk, das die Völker zu Gott führt (Sach 8,23), analog zu dem Motiv der Einführung von Völkerdelegationen beim Großkönig formuliert wurde. Selbst wenn man hinsichtlich der Annahme von redaktionellen Elementen nicht so weit geht wie der Vf., muß die sorgfältige Einzeichnung der Texte in ihr (religions-)geschichtliches Umfeld begrüßt werden.

D. Matthias, Beobachtungen zur fünften Vision des Amos (9,1-4) (150-174), versteht die umstrittene fünfte Vision als notwendigen Höhepunkt der Visionenreihe; U. Rüterswörden, Dtn 12,1. Der Anfang des deuteronomischen Gesetzes (206-216), zeigt, daß Dtn 12,1 nicht als Eingrenzung der Gültigkeit der folgenden Weisungen auf das Land Israel zu verstehen ist. R. Stahl, Die glaubenden Gerechten. Rechtfertigung im AT (243-251), müht sich um den Nachweis, daß die Formeln sola gratia und sola fide bereits im AT enthalten seien, was wegen der unausgewogenen diachronen und zudem eklektizistischen Textbehandlung wenig überzeugt. D. Vieweger steuerte einen Teil aus seiner archäologischen Promotionsschrift bei: Eine einzigartige bronzezeitliche Schale aus Zypern. Ein Beitrag zur Realienkunde (252-260). Die in einem Grab der Nekropole von Tamassos gefundene Schale imitiert offenbar einen geflochtenen Korb, so daß an ihrer Bemalung antike Flechttechniken zu erkennen sind, für die es ansonsten keine Belege gibt. S. Wagner, drd als twrh legt eine gründliche semantische Untersuchung vor, die zu dem bisher nur als These geäußerten Ergebnis kommt, daß "mit drd die ganze Wirkmächtigkeit von twrh angemessen umschrieben sei" (279). Die Ergebnisse markieren eine deutlich andere Position als die R. Stahls zur Glaubensgerechtigkeit.

Das Buch ist sorgfältig gesetzt und weitgehend frei von Druckfehlern. Zu nennen ist lediglich die fehlerhafte Angabe hinsichtlich des Geburtsdatums des Jubilars, die von 1937 auf 1934 zu korrigieren ist. Weshalb in einem Buch, das durchgängig in deutsch geschrieben wurde, den einzelnen Beiträgen englischsprachige summaries beigegeben wurden, hat sich mir nicht erschlossen. Die Tatsache allerdings, daß solche präzisen Zusammenfassungen erstellt wurden, ist m. E. nachahmenswert. Zu bedauern ist, wie leider oft bei Festschriften, das Fehlen eines Bibelstellenregisters, das den Gebrauch des Bandes sehr erleichtert hätte. - Besonders hervorzuheben ist, daß zu dieser Festschrift Alt- und Neutestamentler beigetragen haben. So spiegelt sie neben dem Anliegen der Ehrung zugleich die Bemühungen um sachgerechte Auslegung der gesamten Bibel.