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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

821–824

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Thaler, Alice

Titel/Untertitel:

Von ontologischen Dualismen des Bildes. Philosophische Ästhetik als Grundlage kunstwissenschaftlicher Hermeneutik.

Verlag:

Basel: Schwabe Verlag 2015. 417 S. m. 53 Abb. = Zürcher Arbeiten zur Philosophie, 4. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-7965-3387-7.

Rezensent:

Markus Firchow

»Philosophische Annäherungen an das Bild« (24) sind auch solche an die Kunstgeschichte, wenn dem »Bild als Artefakt« (11) abgeschaut werden soll, was zu denken es aufgibt. Befürchtungen einer damit einhergehenden »philosophischen Entmündigung der Kunst« (Danto) beschwören das historische Vorbild der Kunstphilosophie Hegels, die unter Annäherung die Beschlagnahmung der Interpretationskompetenz verstand, um der zur Kunstgelehrsamkeit herabgestuften Wissenschaft die historische Zubereitung des Materials zu überlassen.
Die von Wolfgang Rother am Philosophischen Seminar in Zü­rich betreute Dissertation von Alice Thaler betritt mit ihrer »An-leitung zu einer Bildbefragung« (23) also ein geschichtlich nicht unbelastetes Feld. Ob die Kriterien für eine »interdisziplinäre Un­tersuchung« (303) mit dem Anliegen, »die eine Disziplin für die andere fruchtbar zu machen« (27), erfüllt sind, wenn die philo-sophische Ästhetik der Kunstwissenschaft als hermeneutische Grundlage dienen will, wird Letztere selbst zu beurteilen wissen. Allerdings ist der »Schauplatz« von T.s Untersuchung in der Tat schon lange ein »offenes Feld«. Auf ihm »befindet sich das Bild« und erfreut sich, »umgeben von verschiedenen Disziplinen« (27), einer der »ikonischen Wende« verdankten Zuwendung. Der Impuls dazu ging von Kunsthistorikern aus – ebenso wie die Rede vom »Ende der Kunstgeschichte« (Belting) oder die Forderung ihrer bildwissenschaftlichen Neuausrichtung (Bredekamp). Die herausragende Be­deutung Gottfried Boehms, »des wichtigsten Promoters des Bildes«, ist mit »seinem Begriff der ikonischen Differenz« verbunden, der »eine Wende im Verständnis innerbildlicher Prozesse ein[geleitet hat]« (25) und der Bildkritik methodische Prägnanz verleiht.
In gleicher Weise wie der iconic turn seine Emanzipation vom linguistic turn bereits im Namen trägt, schließt die programmatische Leitfrage: ›Was ist ein Bild?‹ (Boehm 1994) auch das mit ein, was es nicht ist. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, weshalb T. in ihrem ersten Kapitel zunächst das Verhältnis von Bild und Sprache auslotet. Eine »Missachtung des spezifisch Bildhaften des Bildes« (124) sieht sie gegeben, wenn die Interpretation ein Bild im Rückgriff auf externe Referenzen entschlüsselt, anstatt Form und Farbe als »eigenständige Ausdruckswerte« (80) wahrzunehmen. T. zeigt, dass dem für die Kunstgeschichte paradigmatischen Verfahren Panofskys diese problematische Voraussetzung zugrunde liegt. Indem er die Bildinterpretation an einer zu decodierenden und sprachlich konnotierten Begrüßungsszene veranschaulicht, sucht er »die Bedeutung des Bildes außerhalb seiner selbst« (81). Eine solche »Ineinssetzung von Bild und Sprache« (80) mache sich im Verfahren immer dann bemerkbar, wenn am »Beginn und Ende das (sprachliche) Denken und nicht das Bild steht« (73). Dass dies auf philosophischer Seite ebenso begegnet, wird exemplarisch an Ga­damer und Ricœur vorgeführt (81–84).
Im zweiten Kapitel diskutiert T. unter dem Begriff der ›ikonischen Logik‹ die dem Bild eigentümlichen »Ordnungen des Zeigens« (127). Sie knüpft an die Konzepte der Sichtbarkeit bei Fiedler und der Ikonik bei Imdahl – sowie an Boehms ›ikonische Differenz‹ an. Da sich der Ausdruck in Boehms Verwendung aber zunehmend »zu einem Schirmbegriff« wandle, bezeichnet er bei ihr »in erster Linie Kontrastverhältnisse, die sich im Bild […] feststellen lassen« (140). Neben Opazität und Transparenz zielt sie vor allem auf den »das Bild begründende[n]« (204) Gegensatz von ikonischer Präsenz und Absenz und entfaltet sachkundig deren bildgestaltende Elemente (146–171) bzw. Leerstellen (171–204): »Es ist diese Dynamik, die das Bild zu einer zwischen Sein und Schein oszillierenden Schnittstelle macht« (204).
Sind nun die »Eigenschaften und Erscheinungsweisen des Bildes« durchschritten, läuft das dritte Kapitel auf die entscheidende Frage zu: ›Was ist ein Bild?‹ (255–285). Da sein »Wesen« ohne philosophische Einbettung in die Bezogenheit von Welt, Zeit und Mensch »nicht vollständig charakterisiert« (286) sei, wird zuvor gefragt: ›Was ist Kunst?‹ (211–254). Hierzu werden fünf Philosophen bemüht, deren »Relevanz oder Konsequenz für kunstgeschichtliches Denken« (212) fruchtbar gemacht werden soll. Aus (nicht nur) historischen Gründen wird die Delegation ausgerechnet von Hegel und seiner auf begriffliche Überbietung angelegten Kunsttheorie angeführt. Als »antiessentialistische Gegenposition« (225) zu diesem wird »durch Weitz’ Ansatz […] eine empirisch-deskriptive Annäherung an Kunst aufgewertet« (229). Goodmans »funktiona-listische Symboltheorie« soll »einen Beitrag zur Differenzierung kunstwissenschaftlicher hermeneutischer Prozesse« (239 f.) leisten. Als Abschluss bringt Heidegger sein entbergendes Wahrheitspathos und Gadamer den Aspekt der »Verwandlung ins Gebilde« (250) ein. Dessen mit Spiel und Fest verflochtenes Kunstverständnis rückt schließlich die für T. wichtige »Beziehung zwischen Kunst werk und teilnehmendem Betrachter« (254) in den Blick. Dieses Verhältnis versteht sie als »Interaktion« zweier »Arten von Bild-räumen, einem Bildinnen- und einem Bildaußenraum«. Dieses »grundsätzlich Dialektische, das sich im Bild manifestiert« charakterisiert es als »›Medium‹ in seinen wörtlichen Aspekten« (257 f.).
Im letzten Kapitel wird schließlich die angekündigte »Systematik des Fragens entwickelt […], die zu einem Interpretationsansatz für abstrakte Bilder führt« (303) und in drei exemplarischen »Bildbefragungen« von T. angewendet wird (326–368). Unter der Prämisse ›Interpretieren bedeutet Übersetzen‹ (305–312) ist eine »Medientransformation« von Bild in Sprache unumgänglich, die durch einen (aus T.s Heidegger-Lektüre entlehnten) »doppelten Sprung« gelingen soll: »aus dem sprachlichen Denken hinüber ›ins‹ Bild« und »wieder zurück in sprachliche Strukturen und Begriffe« (308). Wurde genau das im Zuge der Panofsky-Kritik als ›Lesen des Bildes‹ problematisiert, ist in T.s Buch ab hier eine Spannung zu den vorangehenden pointierten bildtheoretischen Darstellungen zu beobachten: Indem nun die Bildinterpretation als »Instrument der Erkenntnis« (315) ausgewiesen wird, steht zwar »in dessen Zentrum die Sichtbarkeit des Bildes« (318), aber das Sehen ist offenbar bereits diskursiv gesteuert. Die »bildimmanente Bedeutung« wird in »bildimmanenten Reflexionsebenen« (323 f.) gesucht, da die Bildelemente ohne »Übersetzung […] in eine metaphorisch-sprachliche Struktur […] gar nicht erfasst werden« (320) könnten. Indem sie voraussetzt, dass das Bild etwa »einen überprüfbaren historischen Sachverhalt […] in allegorischer Form […] visualisiert« (339) oder sogar »reflektiert« (355), ist T.s Verfahren von dem zuvor kritisierten nicht mehr zu unterscheiden: Am »Beginn und Ende [steht] das (sprachliche) Denken und nicht das Bild« (73). Auch auf einen rea-listischen Abbildbegriff fällt die Studie am Ende zurück: Galt an­fänglich, ein Bild werde »längst nicht mehr als Abbild von Realität betrachtet« (297), heißt es nun in T.s Interpretation: »In Bradfords Gemälde ist Realität abgebildet« (340).
Die von Boehm für das Bild schlechthin ausgewiesene Kategorie der Unbestimmtheit lehnt T. ab (172) und wendet sie nur auf die ikonische Absenz an (140). Entsprechend zielen ihre Übersetzungen auf den Gewinn diskursiver Bestimmtheit: So konnte etwa »der Bildsinn […] freigelegt und nachgewiesen« (340) oder »argumentativ gesichert« (323) werden. Wird auch »ästhetische Erfahrung […] erst in begrifflicher Form bewusst« (341), so wird sie wie auch das Bild selbst vom Paradigma des sprachlichen Denkens aus begriffen: T.s in der Schlussreflexion gestellte »Frage, wie ein bildhafter Ausdruck sprachlich adäquat wiedergegeben werden kann« (380), setzt voraus, dass es einem wahrheitstheoretisch konnotierten Entsprechungsverhältnis zugänglich ist. Dagegen einst Hans Blumenberg, Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstands [1966]:
»Die ästhetische Einstellung läßt die Unbestimmtheit stehen […] durch den Verzicht auf theoretische Neugier, die letztlich immer Eindeutigkeit der Bestimmtheit ihrer Gegenstände fordert und fordern muß. Die ästhetische Einstellung leistet weniger, weil sie mehr aushält, weil sie den Gegenstand für sich stark sein läßt und ihn nicht in den an ihn gestellten Fragen in seiner Objektivierung aufgehen läßt.« (Ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hrsg. v. A. Haverkamp, Frankfurt am Main 2001, 112–119; 119)