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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

812–815

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Re Manning, Russell [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Oxford Handbook of Natural Theology. Ed. with J. H. Brooke and F. Watts.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2013. 672 S. = Oxford Handbooks in Religion and Theology. Geb. £ 100,00. ISBN 978-0-19-955693-9.

Rezensent:

Dirk Evers

Das zu besprechende Handbuch zur natürlichen Theologie ist von Russell Re Manning unter Beratung von John H. Brooke und Fraser Watts herausgegeben. Schon die Wahl der Thematik zeigt seine Verwurzelung im angelsächsischen Sprachraum. Während im Zusammenhang deutscher Theologie die Frage nach der Bedeutung natürlicher Theologie eher als fundamentaltheologische Problemstellung erscheint, so dass etwa der Artikel zur Natürlichen Theologie in der RGG4 feststellt: »Die n[atürliche] Theol[ogie] ist kein eigenständiges Thema«, so ist hier ein ganzes Kompendium ebendiesem Thema als einem eigenen Feld der Forschung gewidmet, das allerdings mit dem verschmilzt, was man im deutschsprachigen Raum als Theologie der Natur bzw. Religionsphilosophie bezeichnen würde. Der Band setzt nach Auskunft des Herausgebers keine verbindliche Definition dessen voraus, was mit na­türlicher Theologie gemeint ist, sondern möchte einer Vielfalt an Zugängen aus verschiedenen disziplinären Perspektiven Raum geben. Damit soll ermöglicht werden, dass ein zwar komplexes, zugleich aber durchaus kohärentes, strukturiertes und eigenständiges Themenfeld »emergiert« (1). Natürliche Theologie wird also verstanden als eine Art Cluster-Konzept mit lockerer Struktur und offenen Rändern, bei dem die fundamentaltheologische Fragestellung, die die deutschsprachige Theologie von den 1920er bis zu den 1970er Jahren prägte, trotz der häufigen Bezugnahme allenfalls am Rande interessiert.
Das Handbuch gliedert sich in fünf große Teile. Der erste Teil ist historischen Perspektiven gewidmet. Es geht um die Ursprünge naturphilosophischen Denkens in der Antike (St. Clark), um natürliche Theologie in den biblischen Texten (Ch. Rowland), in der Patristik (W. Hankey) und im Mittelalter (A. Hall). Der anschließende, reichhaltige Beitrag zur frühen Neuzeit (S. Mandelbrote), der theologische, philosophische, soziale, kulturelle u.a. Entwicklungen zusammenführt und auch die Kontinuität zur Antike deutlich macht, führt eindrucksvoll vor Augen, dass und warum frühneuzeitliche natürliche Theologien »were ubiquitous but limited in their success« (91), und warum trotz ihrer Strittigkeit in concreto die Vorstellung, dass im Prinzip Gott und seine Absichten aus den Werken der Natur erkannt werden können, doch eine erstaunliche Plausibilität behielt. Es folgen Essays zur natürlichen Theologie im 19. (M. Eddy) und 20. Jh. (R. Holder), was einen deutschen Leser erstaunen mag, weil die für den deutschen Raum so entscheidende ›Kant’sche Wende‹ in der historischen Darstellung kaum Erwähnung findet (Kant wird allerdings in den Beiträgen zur philosophischen Kritik sowie zur Ethik und Ästhetik ausführlicher verhandelt). Die Darstellung des 19. Jh.s steht ganz im Zeichen von W. Paleys »Natural Theology« und teleologischen und kosmologischen Argumenten. Die des 20. Jh.s beginnt mit der Verwerfung aller natürlichen Theologie durch Karl Barth und wird geschildert als Revival einer Vielfalt von Spielarten natürlicher Theologie im Zuge einer Überwindung der Barth’schen »ultra-dogmatic posi-tion« (121). An der Barth’schen Position wird abgelehnt, und dies dürfte als Grundüberzeugung der meisten Autoren gelten, dass durch einen Verzicht auf natürliche Gotteserkenntnis die Theologie isoliert wird von anderen Zugängen menschlicher Wirklichkeitserkenntnis, nicht mehr auskunftsfähig ist, warum man über haupt an Gott glauben soll (wer Natürliche Theologie ablehnt, beraubt sich der wissenschaftlichen Mittel »to commend the Chris­tian faith« [122]) und in den starken Verdacht einer Selbstimmunisierung gerät. Weder hier noch an anderer Stelle des Handbuchs wird die Frage ausführlicher diskutiert, ob die Kategorie des wissenschaftlich oder rational Vorzugswürdigen überhaupt eine christlich-theologisch oder auch nur religiös adäquate Kategorie ist, so dass die Alternative ›entweder natürliche Theologie oder Fi-deismus/Dogmatismus‹ kaum einmal aufgebrochen wird. Ebenso habe ich eine Erörterung des umgekehrten Arguments vermisst, ob nicht eine Ablehnung natürlicher Theologie auch eine Entlastung wissenschaftlicher Erkenntnis von religiös-theologischer Überhöhung und Schutz vor Übergriffigkeit bedeuten kann.
Der zweite Teil ist dann theologischen Perspektiven auf die natürliche Theologie gewidmet und umfasst Beiträge zu Konzepten jüdischer (D. Frank), islamischer (R. Morrison) und östlicher (J. Frazer, vor allem zum Hinduismus) natürlicher Theologie und stellt dann katholische (D. Edwards), protestantische (R. Re Manning) und ostkirchliche (Ch. Knight) Perspektiven dar. Den Ab­schluss dieses Teils bildet eine systematische Darstellung theologischer Kritik der natürlichen Theologie (A. Moore). Dieser Schlussbeitrag beschränkt sich leider auf die Barth-Brunner-Debatte, wobei Barth als Kritiker eines funktional reduzierten, aufklärerischen Vernunftverständnisses dargestellt wird.
Der dritte und ausführlichste Teil ist philosophischen Perspektiven gewidmet, die verschiedene Strömungen der Philosophie des 20. Jh.s repräsentieren, zum Teil aber auch inhaltlich geordnet sind. So finden sich hier Artikel zur analytischen (K. Parsons) und kontinentalen (R. Re Manning, von Heidegger bis zur Postmoderne) Philosophie, zur Prozessphilosophie (D. Griffin), zum Design Argument (N. Manson), zur Moralphilosophie (W. Schweiker), zu religiöser Erfahrung (M. Wynn) und postmoderner (C. Crockett) und feministischer (P. Anderson) Philosophie. Es wird eine Fülle von Positionen vor allem der angelsächsischen Natur- und Religionsphilosophie vorgeführt, die hier nicht referiert werden können. Hingewiesen sei nur auf die interessanten Auseinandersetzungen mit der im englischsprachigen Raum sogenannten kontinentalen und der postmodernen Philosophie, die beide eher quer zum Anliegen natürlicher Theologie stehen. In den zwei diesen Teil abschließenden Beiträgen entwickelt W. Wildman eine komparative Perspektive auf verschiedene Formen natürlicher Theologie und argumentiert für eine bescheidene, selbstkritische, aber zuversichtliche Form derselben, während Ch. Taliafero externe (Kant, analytischer Anti-Realismus) und interne (Hume, Theismus-Kritik) Formen einer Kritik natürlicher Theologie vorführt.
Der vierte Teil stellt Perspektiven empirischer Wissenschaften auf die natürliche Theologie vor. Vertreten sind Biologie (M. Ruse), Physik (P. Ewart), Chemie (D. Knight), Mathematik (J. Polkinghorne), Ökologie (Ch. Southgate), Psychologie (F. Watts) und Soziologie (R. Fenn). Auch diesen Teil schließt eine Darstellung der Kritik natürlicher Theologie von Seiten der Wissenschaft ab (Ph. Clayton). Insgesamt kann man festhalten, dass alle Beiträge gute Übersichten über die wesentlichen Bezugspunkte naturwissenschaftlicher Theorien zu religionsphilosophischen Fragestellungen bieten (Evolutionstheorie und Design, Kosmologie und Schöpfung, Quantentheorie und Determinismus, Biosphäre und religiöse Naturverhältnisse, Religion und Kognitionswissenschaften u.a.m.). Besonders auffällig ist der Beitrag zur Chemie, die ansonsten bei Debatten zwischen Religion und Naturwissenschaften eher spärlich vertreten ist.
Der fünfte Teil entschränkt das Feld der Disziplinen und Themen und stellt künstlerisch-ästhetische Perspektiven auf die natürliche Theologie vor. Hier ist die Systematik weniger streng als in den vorigen Teilen. Allgemeine Ästhetik (F. Brown), Imagina-tion/Symboltheorie (D. Hedley), Literatur (G. Bennett-Hunter), Musik (J. Begbie), Bildtheorie (K. Nyíri) und Film (R. Johnston) be­kommen jeweils eine eigene Darstellung. Hervorgehoben werden zumeist religiöse Dimensionen der Kunst, die dann zu Themen natürlicher Theologie in Beziehung gesetzt werden, um zu zeigen, dass natürliche Theologie in vor-rationale Erkenntnisformen eingebettet ist und durch diese erweitert werden kann und soll. Mitunter ist dabei allerdings die Spezifizität des künstlerischen Zugangs verloren gegangen, etwa im recht assoziativen Beitrag zur Musik. Zum guten Schluss hilft ein nützliches Register, die große Materialfülle des Handbuchs zugänglich zu machen.
Am Handbuch sind bis auf eine Ausnahme britische und nord-amerikanische Autoren beteiligt. Unter ihnen finden sich nur zwei Frauen, von denen eine für die Perspektive der feministischen Philosophie zuständig ist. Das weist doch auf eine sich auch inhaltlich bestätigende Engführung hin, die sich etwa in dem vielfach variierten Narrativ niederschlägt, dass die Barth’sche Ablehnung der natürlichen Theologie zu Beginn des 20. Jh.s durch die Zeitumstände erklärbar sei, im Übrigen aber ein dogmatistisches, neo-orthodoxes und unbiblisches Extrem darstelle, das durch neue Formen metaphysischer, philosophischer, naturwissenschaftlicher und theologischer Perspektiven mit dem Resultat einer »contemporary vitality of natural theology« (2) überwunden sei. Die These eines durch die vereinten Kräfte von Hume, Kant, Darwin, Barth und anderer herbeigeführten Endes natürlicher Theologie jedenfalls, so der Herausgeber, verdiene nichts anderes als »a decent bur-ial« (2). Auch wenn man dieser Überzeugung so nicht zustimmen, sondern auf tiefgreifende Transformationen der Fragestellung in der Moderne verweisen möchte, wird man doch durch dieses Werk über die im englischen Sprachraum weitläufig konsensfähige Sicht einer möglichen und unverzichtbaren Konvergenz von philosophischen, naturwissenschaftlichen und religiösen Perspektiven gründlich informiert.