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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

986–988

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schlaich, Klaus

Titel/Untertitel:

Gesammelte Aufsätze. Kirche und Staat von der Reformation bis zum Grundgesetz.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1997. VIII, 606 S. gr.8 = Jus ecclesiasticum, 57. Lw. DM 138,-. ISBN 3-16-146727-2.

Rezensent:

Heinrich de Wall

Den 60. Geburtstag des Bonner Kirchenrechtslehrers Klaus Schlaich haben sein Lehrer Martin Heckel und sein Schüler Werner Heun zum Anlaß genommen, 18 seiner zum Teil entlegen publizierten Aufsätze unverändert herauszugeben und damit leicht zugänglich zu machen. Sie behandeln, mit Ausnahme des Verfassungsprozeßrechts als rein staatsrechtlicher Materie, die wichtigsten Forschungsgebiete Schlaichs, nämlich die Kirchen- und Staatskirchenrechtsgeschichte, das evangelische Kirchenrecht und das Staatskirchenrecht.

Sieben (kirchen)rechtshistorische Arbeiten bilden den ersten Abschnitt des Bandes. Für die kirchliche Rechtsgeschichte der frühen Neuzeit besonders weiterführend war die in seiner Dissertation über die Kollegialtheorie entfaltete These Schlaichs, daß der Kollegialismus keine einheitliche Richtung darstellt, die einen bloß "weltlichen", rein vernunftrechtlichen Kirchenbegriff entwickelt hat, sondern daß es eine Frühform des Kollegialismus gab, die eine Enttheologisierung des Kirchenbegriffs und damit des Kirchenrechts gerade verhindern wollte. Die Rezension eines Neudrucks der akademischen Reden Christoph Matthäus Pfaffs, eines Vertreters dieser Richtung, hat Schlaich 1968 zu einer Zusammenfassung seiner großen Arbeit genutzt, die hier dankenswerterweise wieder abgedruckt ist (179-203). Zusammen mit dem ausführlichen Artikel über den "rationalen Territorialismus" (204-266) bietet der Band einen tiefgehenden Einblick in die Auseinandersetzungen über die Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments und damit die rechte Zuordnung von Staat und Kirche im 17. und 18. Jh. Davor stehen vier Artikel über verfassungsgeschichtliche Fragen der Reformationszeit sowie eine konzise Einführung in die vieldiskutierte Rechtstheologie Luthers "Martin Luther und das Recht" (3-23).

Auf S. 24-48 wird die "Neuordnung der Kirche in Württemberg durch die Reformation" behandelt. Dieser Artikel verbindet die konkrete Anschaulichkeit regionalgeschichtlicher Forschung mit der Darstellung der allgemeinen Probleme des Kirchenverfassungsrechts in der Reformationszeit. Dabei noch in einleuchtender Weise den Bogen in unsere Gegenwart zu schlagen (26), zeugt von der kirchenrechtshistorischen Meisterschaft Schlaichs.

Die Artikel über die "protestatio beim Reichstag in Speyer von 1529 (49-67) "Maioritas-protestatio-itio in partes-corpus Evangelicorum" (68-134) und "Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613" (135-178) behandeln Reichsverfassungsgeschichtliche Fragestellungen. Die angesprochenen zentralen Institutionen der Reichsverfassung des konfessionellen Zeitalters werden in gründlicher und tiefdringender Weise am verfassungsrechtlichen Detail vorgeführt und in den Gesamtzusammenhang der historischen Entwicklung gestellt. Auch zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung repräsentieren diese Arbeiten den Stand der rechtshistorischen Forschung.

Fünf Aufsätze zum geltenden Kirchenrecht und seinen Grundlagen bilden den zweiten Abschnitt des Bandes. Der Bericht über "Die Grundlagendiskussion zum evangelischen Kirchenrecht" (269-287) und die Arbeit "Kirchenrecht und Kirche - Grundfragen einer Verhältnisbestimmung heute" (288-321) enthalten ausführliche Stellungnahmen zu den rechtstheologischen Grundlagen und der Aufgabe des Kirchenrechts. Schlaich hält umfassende und damit notwendig abstrakte rechtstheologische Grundlagenentwürfe in Nachfolge etwa Johannes Heckels, Erik Wolfs und Hans Dombois’ nicht für erforderlich, sondern will konkret danach fragen, wie durch das Kirchenrecht im einzelnen theologische bzw. Glaubensfragen legitim "ins Leben" gezogen werden können (289). Dabei geht Schlaich - auch angesichts der in der Praxis vielfach einander sehr ähnelnden Einzelregelungen - von einem einheitlichen Begriff des Rechts aus, hält also das Kirchenrecht nicht für etwas vom staatlichen Recht fundamental verschiedenes. Allerdings leugnet er keineswegs die Besonderheiten des Kirchenrechts, die aus seiner Bekenntnisbindung folgen, sondern betont, daß das Kirchenrecht "Antwort auf den Anruf des Evangeliums" ist (304). Dabei ist kritisch zu fragen, was vom einheitlichen Rechtsbegriff eigentlich übrig bleibt.

Das staatliche Recht ist jedenfalls keineswegs "Antwort auf den Anruf des Evangeliums", jedenfalls nicht für die zahlreichen Nichtchristen. Offensichtlich sind Kirchenrecht und staatliches Recht in zentralen Punkten so unterschiedlich, daß dies alsbald zu Differenzierungen zwingt. Insofern erscheint die Diskussion um den einheitlichen Rechtsbegriff müßig, wie jüngst Martin Heckel herausgearbeitet hat. Praktische Unterschiede zwischen staatlichem und kirchlichem Recht werden auch in dem Beitrag zu den "Evangelischen Kirchenrechtsquellen" (322-333) deutlich. Weiter wird die Frage, ob "Änderungen der Grundordnung der EKD nur mit Zustimmung der Gliedkirchen" möglich sind (334-375), sehr differenziert beantwortet und ein tiefer Einblick in das Recht der Lehrfreiheit und Lehrbeanstandung gegeben (376-402), das zwar wegen der geringen Zahl der Lehrordnungsverfahren praktisch unbedeutend erscheint, aber durch seine bloße Existenz zum Nachdenken über die Grundfragen und -lagen des kirchlichen Amtes und Amtsrechts zwingt.

Der dritte Abschnitt des Buches behandelt die Stellung der Kirche unter dem Grundgesetz, und zwar sowohl aus kirchlicher wie aus rechtlicher Sicht. Aus erster Hand wird hier über die Denkschrift der EKD "Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe" informiert (405-422), an deren Erarbeitung Schlaich beteiligt war. Gegen die "Annahme einer Art von Bedingungsverhältnis zwischen der Legitimation des freiheitlichen und demokratischen Verfassungsstaates und dem Christentum" (430) wendet sich Schlaich in seinem Beitrag "Konfessionalität - Säkularität - Offenheit" (423-447). In aller wünschenswerten Deutlichkeit wird dagegen die Säkularität der Verfassungsordnung betont. Daß diese Säkularität aber nicht zu einer Ignorierung alles Religiösen führen muß, dies weist Schlaich in einer Studie "Zur weltanschaulichen und konfessionellen Neutralität des Staates" nach. Diese Arbeit ist eine geraffte Skizze der Habilitationschrift Schlaichs "Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip" (1972), in der der ebenso schillernde wie mißbrauchte Begriff der religiös-weltanschaulichen Neutralität, der im Grundgesetz selbst nicht explizit enthalten ist, in seiner (begrenzten) juristischen Funktion verfasssungsrechtlich fundiert wird.

Schlaich warnt davor, außerrechtlichen Neutralitätsvorstellungen im Sinne einer radikalen "Trennung" von Staat und Kirche unter der Hand verfassungsrechtliche Wirkkraft zu verleihen und damit die Entscheidungen des Grundgesetzes zu unterlaufen. Diese Warnung ist etwa angesichts der Auseinandersetzungen um den Religions- und den Ethikunterricht nach wie vor aktuell. Schließlich wird der höchst vieldeutige, theologische und rechtliche Aussagen verbindende Begriff des "Öffentlichkeitsauftrag(s) der Kirchen", (480-523) ausführlich untersucht und ein Überblick über den sogenannten "Dritten Weg" als kirchliche Alternative zum Tarifvertragssystem gegeben (524-551).

Die eindrucksvolle Würdigung des wissenschaftlichen Werkes Ulrich Scheuners (556-579) und ein Verzeichnis der Schriften Schlaichs runden das Buch ab.

Schlaichs Aufsätze sind von der Fähigkeit geprägt, von konkreten Beispielen ausgehend die Grundlagen kirchlichen bzw. staatlichen Rechts herauszuarbeiten und umgekehrt solche Grundentscheidungen im Einzelfall plastisch vor Augen zu führen. Neben der tiefdringenden historischen Analyse und Detailarbeit sowie der Konkretisierung abstrakter Kategorien wie "Neutralität" und "Öffentlichkeitsauftrag" macht dies die besondere wissenschaftliche Leistung Schlaichs aus, wie sie im vorliegenden Band dokumentiert wird. Dank dieser Fundamente werden die hier versammelten Beiträge ihren besonderen Wert behalten.