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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

800–802

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Schockenhoff, Eberhard

Titel/Untertitel:

Entschiedenheit und Widerstand. Das Lebenszeugnis der Märtyrer.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2015. 239 S. Geb. EUR 22,99. ISBN 978-3-451-33650-8.

Rezensent:

Ulrich Schlie

Das Beispiel der Märtyrer erinnert daran, dass die Nachfolge Jesu unter dem Zeichen des Kreuzes steht. Denn das Zeugnis der Märtyrer ist die radikalste Konsequenz der Nachfolge: ein Licht der Humanität, das auch in den dunkelsten Zeiten der Diktatur leuchtet. Es verkörpert Hoffnung und ist doch in seiner verstörenden Absolutheit von unserer jeweiligen Gegenwart scheinbar unendlich weit entrückt. Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Scho-ckenhoff hat in seiner 2015 vorgelegten Monographie den Begriff des Martyriums und die Rolle der Märtyrer in der Kirchengeschichte in den Blick genommen. Die Studie bildet eine anregende Lektüre, besticht durch Klarheit und Schlüssigkeit der Argumentation, Schnörkellosigkeit der Sprache und der analytischen Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen.
S. beschäftigt sich zunächst mit der urchristlichen Theologie des Martyriums und begreift dabei den Märtyrer als die engste Vereinigung mit Christus. Er stellt insbesondere mit Blick auf die Schmerzensverachtung und Körperbeherrschung Bezüge zur griechisch-römischen Philosophie, vor allem der Lehre der Stoa, sowie zur jüdischen Martyrologie her, um nach einem knappen Gang durch die Geschichte bei den Selbstzeugnissen von Märtyrern des 20. Jh.s zu verweilen. Zeugnisse katholischer und evangelischer Christen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus werden dabei besonders vertieft. Es wäre reizvoll gewesen, hätte S. seinen Blick auf die Selbstzeugnisse der Märtyrer im Jahrhundert der Diktaturen auch gen Osten schweifen lassen und den Märtyrertod beispielgebender Christen in Russland zu Stalins Zeiten oder in China miteinbezogen. So bekommt die Auswahl seiner Zeugnisse zwar einen sehr deutschlastigen Schwerpunkt. Dieser Eindruck freilich wird durch eine kluge Komposition wieder abgemildert. Die kompromisslose Konsequenz des von den Nationalsozialisten hingerichteten Berliner Dompropsts Bernhard Lichtenberg, der seit Beginn der Vernichtungsaktionen in der Hedwigskathedrale mit der täglichen Gottesdienstfürbitte für die jüdischen Mitbürger das Unrecht beim Namen nannte – »Lasset uns beten für alle Verfolgten und nichtarischen Christen und für die Juden. Was gestern war, wissen wir, was morgen ist, wissen wir nicht, aber was heute geschehen ist, das haben wir erlebt: Draußen brennt ein Tempel, es ist auch ein Gotteshaus« – steht dafür als eindrucksvolles Beispiel.
Aber auch der Fall des 2007 selig gesprochenen und ebenfalls von den Nationalsozialisten hingerichteten Wehrdienstverweigerers Franz Jägerstädter, der sich kompromisslos seiner Einberufung zum Kriegsdienst aus Gewissensgründen mit dem Hinweis auf das nationalsozialistische Unrechtsregime und den von Hitler entfesselten Angriffskrieg entzog, ist in seiner moralischen Radikalität vorbildlich. Daneben stehen die bekannteren Beispiele des Jesuitenpaters Alfred Delp aus dem Kreisauer Kreis, Dietrich Bonhoeffers und Helmuth James von Moltkes. Innere Konsequenz, die Gewissheit, dazu berufen zu sein, Gott mehr zu dienen als den Menschen: Die angeführten Beispiele tragen dazu bei, dass die Studie eine persönliche Dimension eröffnet, auch wenn sie in den knappen Strichen eine geschlossene Deutung des jeweiligen Falles bieten kann.
Die Kirche tat sich nie leicht, in ihrer jeweiligen Zeit auf die von den Märtyrern aufgeworfenen Entscheidungsfragen und die damit verbundenen Einzelschicksale eine Antwort zu finden. Wenn der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber den Diözesanpriester und Pazifisten Max Josef Metzger gegenüber Nuntius Orsenigo und Metzgers Anwalt beim Scheinverfahren vor dem Volksgerichtshof mit der Bemerkung, er sei ein Wolkensegler, in Schutz nahm, so mögen dafür auch verteidigungstaktische Gründe eine Rolle ge­spielt haben. Doch in gewissen Teilen muss dies wohl auch als Un­verständnis für den bis zur letzten Konsequenz gegangenen Weg angesehen werden.
S. kann mit seinen Ausführungen an die Theologie des Todes von Karl Rahner und die Überlegungen von Hans Urs von Balthasar an­knüpfen, der »das Spezifikum eines freiwilligen Sterbens um Christi willen, das dieses von allen anderen Akten he­roischer Selbstaufopferung abhebt«, als »Antwortcharakter auf das stellvertretende Leiden Christi«, als »Logik einer gleichartigen Ge­genliebe« gedeutet hat. Für Balthasar bezeichnet das Martyrium den Höchstfall der von jedem Christen geforderten Glaubensbereitschaft.
S. hat in großer Dichtheit diese Zeugnisse zusammengebunden und in den größeren Rahmen der Kirchengeschichte gestellt. Er hat zugleich das spezifisch Christliche der Märtyrer herausgearbeitet und uns damit für unser eigenes Leben einen Spiegel vorgehalten, der die Orientierung am Vorbild in der Nachfolge Jesu zum Gegenstand hat. Die Studie ist damit auch eine Mahnung an uns, den nachdenklichen, auch den radikalen Stimmen in unserer Zeit genügend Aufmerksamkeit zu schenken, und er hat zweifelsohne Recht, wenn er einfordert, dass in der Kirche das Interesse an den Märtyrern noch vertieft werden könnte. Es ist gerade der innere Kampf, wie er etwa auf eindrucksvolle Weise aus den Brautbriefen Dietrich Bonhoeffers aus Zelle 92 an seine junge Verlobte Maria von Wedemeyer hervorgeht oder wie er sich im Austausch der letzten Briefe zwischen Helmuth James und Freya von Moltke findet. S. weist zutreffend darauf hin, dass die meisten Märtyrer die ihnen aufgezwungene Bekenntnisexistenz nicht als den Normalfall christlichen Lebens betrachteten. Gerade die Märtyrer des 20. Jh.s haben in ihren hinterlassenen Schriften den damit verbundenen inneren Kampf dokumentiert. Auch eine Todeszelle – Dietrich Bonhoeffer und Helmuth James von Moltke stehen dafür – hat den Hunger nach Leben nie unterdrücken können, ganz im Gegenteil: Auf diese Weise sind die Zeugnisse der Märtyrer auch ein Aufruf zum Leben.