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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

797–798

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Norden, Günther van [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Charlotte von Kirschbaum und Elisabeth Freiling. Briefwechsel von 1934 bis 1939.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 232 S. Geb. EUR 30,00. ISBN 978-3-525-55073-1.

Rezensent:

Susanne Hennecke

Der bekannte Historiker und kritische Experte für unter anderem den deutschen Kirchenkampf Günther van Norden – bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Neue Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte und der Didaktik der Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal – hat mit dem fünf Jahre währenden Briefwechsel zwischen Charlotte von Kirschbaum und Elisabeth Freiling (1934–1939) ein in doppelter Hinsicht wichtiges und einzigartiges Dokument herausgegeben:
Zum einen handelt es sich um einen wertvollen Beitrag auf dem Gebiet der neueren historischen Frauenforschung. Sowohl Charlotte von Kirschbaum – vor allem bekannt als die Weg- und Lebensgefährtin Karl Barths – als auch Elisabeth Freiling – Studentin bei Karl Barth in Bonn und als Vikarin der Bekennenden Kirche deren Sprecherin in der »Bruderschaft rheinischer Hilfsprediger und Vikare« – erscheinen hier in ihrer eigenständigen Rolle als Vertreterinnen des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche, als Vordenkerinnen für ein neues evangelisches Bild von der Frau in Kirche und Gesellschaft und als theologische Pionierinnen überhaupt. Der Briefwechsel bietet nicht nur einen Einblick in die persönliche Lebensweise und Lebensanstrengung zweier eindrucksvoller Frauen, sondern damit zugleich auch in zahlreiche Diskussionen um den aus evangelischer Perspektive rechten Umgang mit gesellschaftlich-innovativen Themen aus der Zeit der Weimarer Republik. Diskutiert werden zum Beispiel der Umgang mit Homosexualität, die Gleichheit der Geschlechter in Kirche und Gesellschaft und die Rolle der Psychotherapie.
Zum anderen bietet der Band ebenfalls eindrucksvolles Material zur kritischen Erforschung der Geschichte des deutschen Kirchenkampfes. Diskutiert werden etwa Zeitfragen wie der Streit um das vollwertige Amt der Frau in der Bekennenden Kirche, die Judenverfolgung, die nationalsozialistische Machtausweitung und die Eidesfrage. Insbesondere die Auseinandersetzungen um das eigene und vollständige Amt für die Frau machen dabei noch einmal auch die Grenzen des damaligen kritisch-gesellschaftlichen kirchlichen Engagements innerhalb der Bekennenden Kirche deutlich.
Zu fragen wäre meines Erachtens nach der genauen Bedeutung der kritisch-offenen Haltung beider Frauen: Deutet der Herausgeber sie als »Position zwischen den Zeiten« (13) im Sinne einer zwischen Vergangenheit und Zukunft zwar verharrenden, aber doch unermüdlich fortschreitenden Haltung, möchte ich hier eine möglicherweise alternative Interpretation des Vorgangs versuchen: Denn insbesondere die Diskussion um das volle Amt für die Frau macht meines Erachtens deutlich, dass es den beiden Briefeschreiberinnen und Theologinnen des Wortes Gottes nicht nur um ein quantitativ gerichtetes »Vorwärts« im Sinne einer bloßen Öffnung des bestehenden Amtes für Frauen und also um eine bloße Erweiterung des bestehenden Amtes geht, sondern zugleich um eine kritische Rückbesinnung auf die biblischen Grundlagen des Amtes und seine von daher inspirierte, quantitativ gerichtete Umgestaltung. So erweist sich das Verweilen zwischen den Zeiten meines Erachtens als mehr als ein einfacher Übergang in eine nicht aufzuhaltende Zukunft, nämlich als ein Einhalten und Umkehren mit dem Ziel einer umfassenden Neubesinnung.
Der sorgfältig herausgegebene Band enthält außer dem Briefwechsel selber eine theologiegeschichtliche Einführung, zahlreiche hilfreiche erläuternde Anmerkungen sowie ein Nachwort des Herausgebers. Vorwort, Literatur- und Namensverzeichnis runden das Ganze ab. Außer den zur historischen Frauenforschung und Geschichte der Bekennenden Kirche Arbeitenden kann es insbesondere Studierenden und theologisch Interessierten als anschaulicher Einstieg in eine spannende und entscheidende Zeit der neueren deutschen Kirchengeschichte empfohlen werden.