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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

789–790

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Flüeler, Christoph, Lanza, Lidia, and Marco Toste [Eds.]

Titel/Untertitel:

Peter of Auvergne. University Master of the 13th Century.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. 520 S. = Scrinium Friburgense, 26. Lw. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-022848-9.

Rezensent:

Francisco Bertelloni

Zwischen dem 2. und 4. September 2008 fand an der Universität Fribourg in der Schweiz eine internationale Tagung zu Petrus de Alvernia († 1304) statt. Es wurden 17 Vorträge gehalten, von welchen in dem soeben erschienenen Buch vierzehn veröffentlicht worden sind. Es ist bekannt, dass Petrus fast dreißig Jahre als magister an der philosophischen Fakultät der Universität Paris gelehrt hat; dann siedelte er als Doktor der Theologie in die Theologische Fa­kultät über, wo er bis 1302 unterrichtete. Gegen eine gewisse Neigung, sein intellektuelles Profil im Lichte von prominenten Na­men des spätmittelalterlichen akademischen Milieus zu zeichnen, beabsichtigt dieses Buch, Petrus’ eigene Relevanz hervorzuheben und die Eigentümlichkeit seines Denkens zur Schau zu stellen. Von diesem Gesichtspunkt aus analysieren die Vorträge sein intellektuelles Leben in Zusammenhang mit den doktrinalen Kontroversen der letzten Jahre des 13. Jh.s, seine Beziehungen zu anderen Figuren seiner Zeit (u. a. zu Thomas von Aquin, Siger von Brabant, Gottfried von Fontaines und Heinrich von Gent), seinen Einfluss bis zum 16. Jh. und vor allem seine Lehren über philosophia naturalis, Logik, Metaphysik, Politik und Theologie. Aufgrund der hohen Anzahl von Beiträgen und ihrer breiten Themenspektren wird der Leser um Verständnis dafür gebeten, dass diese kurze Rezension nicht auf den Inhalt jedes einzelnen Aufsatzes eingehen kann. Statt einer ausführlichen Schilderung jedes Beitrags werden stattdessen die behandelten Themen präsentiert.
Drei Vorträge erörtern historische Aspekte des intellektuellen Lebens von Petrus. Zuerst bietet William J. Courtenay (Peter of Auvergne, Master in Arts and Theology at Paris) eine genauere Bestimmung von der 1933 durch E. Hocedez rekonstruierten Biographie von Petrus, die Courtenay nun um die zwei wichtigsten Achsen seines akademischen Lebens organisiert: als magister artium und als doctor theologiae. Luca Bianchi (Peter of Auvergne and the Condemnation of 1277) führt überzeugende Beweise dafür an, dass Petrus schon am Anfang seiner Karriere an der Artistischen Fakultät dem radikalen Aristotelismus näher stand als dem moderaten, wie übrigens Van Steenberghen behauptet hatte. Christoph Flüeler (The Influence of the Works of Peter of Auvergne in the Scolastic Philosophy of the 13th, 14th and 15th Centuries) stellt die Figur des Petrus in Anbetracht ihres Einflusses dar; so präsentiert er zunächst die Rezeption seiner theologischen Schriften bis zur Mitte des 14. Jh.s, dann die Rezeption seines Scriptum super Libros Politicorum und schließlich den Einfluss von seinen Kommentaren zu den libri naturales bis zum 16. Jh.
Was nun die Schriften Petrus’ über philosophia naturalis betrifft, behauptet Cecilia Trifogli in ihrem Aufsatz (Peter of Auvergne on Place and Natural Place), dass für Petrus der natürliche Ort als Endursache zu betrachten ist, obwohl dieser Ort nicht als Grenze des von ihm enthaltenen Seienden fungiert. Henryk Anzulewicz (Peter of Auvergne and Albert the Great as Interpreters of Aristotle’s ›De caelo‹) vergleicht die Schriften De Caelo von Albert dem Großen und von Petrus, was ihm erlaubt, auffällige Übereinstimmungen beider Texte deutlich werden zu lassen. Und Cesare A. Musatti zeigt (Peter of Auvergne and the Quaestiones on ›De caelo‹ in the Ms. Escorial, Biblioteca del Monasterio h. II 1, ff. 106ra–129vb), dass, während der erste Teil dieser HS einem anonymen Verfasser zuzuschreiben ist, Petrus den zweiten Teil geschrieben hat, was seine Relevanz als Kommentator von Aristoteles bestätigt.
Zwei Aufsätze beschäftigen sich mit Petrus’ Schriften zur aristotelischen Metaphysik. Nach einer eingehenden Analyse von Met. XII, 8–11 und den Deutungen dieses Textes von Ibn Sina und Aver-roes, untersucht Griet Galle (Peter of Auvergne on the Celestial Movers. Edition and Discussion of his Questions 8–11 on ›Metaphysica‹ XII) Petrus’ Auslegung und bietet eine Edition seiner Quaestiones zur Met. XII, 8–11. Fabrizio Amerini (Peter of Auvergne on Substance) geht von einer Deutung der aristotelischen Substanzlehre aus, er­örtert die Stellungnahme von Petrus dazu, vergleicht sie mit der Exegese von Thomas und zeigt ihren Einfluss auf spätere Schriften.
Petrus äußerte sich auch zur aristotelischen Politik, was sich aus drei Beiträgen ergibt. Roberto Lambertini (Peter of Auvergne, Giles of Rome and Aristotle’s ›Politica‹) gliedert seinen Vortrag in drei Teile, wobei er dem Traktakt De regimine principum des Aegidius Romanus viel Gewicht beimisst. Nachdem er die Ergebnisse der Forschung über die Rezeption der aristotelischen Politik im Mittelalter zusammenfasst, analysiert er zuerst die Beziehungen zwischen dem Traktat des Aegidius und der Sententia libri Politicorum des Thomas; dann vergleicht er De regimine von Aegidius und die Schrift In octo libros Politicorum von Albert dem Großen; schließlich zeigt er Ähnlichkeiten zwischen De regimine von Aegidius und dem Scriptum super III–VIII libros Politicorum von Petrus. Lidia Lanza (The ›Scriptum super III–VIII libros Politicorum‹: Some Episodes of its Fortune until the Early Renaissance) rekonstruiert zuerst die »materiellen« Bewegungen des Scriptums (HS und Editionen), anschließend stellt sie seine Präsenz in anderen Traktaten der Zeit und seinen Einfluss auf Schriften des selben literarischen Genres (philosophische Kommentare) fest. Und Marco Toste (An Original Way of Commenting on the Fifth Book of Aristotle’s ›Politics‹: The ›Questiones super I–VII libros Politicorum‹ of Peter of Auvergne) konzentriert sich auf das V. Buch der Quaestiones, in welchem Petrus Begriffe wie amicitia, concordia und besonders pax untersucht; bezüglich der pax kann man – so Toste – Ähnlichkeiten zwischen Petrus und Marsilius von Padua finden.
Dem theologischen Denken des Petrus widmet sich Chris Schabel (Peter of Auvergne’s Quodlibetal Questions on Divine Know-ledge). Peter äußerte seine theologischen Ideen vor allem in seinen quaestiones quodlibetales, in denen Schabel einen neuplatonischen Einfluss feststellt. Im Anhang bietet Schabel eine Edition des Quodlibets IV, quaestio 2 und des Quodlibets VI, quaestio 2. Schließlich folgt ein Beitrag von Sten Ebbesen (The Logical Writings of Peter of Auvergne). Zusätzlich zu einer Liste von sophismata, die Petrus zuzuschreiben sind, wie der Autor aufzeigt, interessieren hier vor allem die logischen Folgen eines metaphysischen Gedankens von Petrus, und zwar sein Angriff auf eine Lehre Ibn Sinas, nach der es über den Unterschied zwischen individuum und universale hinaus noch etwas gibt (equinitas est tantum equinitas).
Ein Katalog von Lidia Lanza und Marco Toste (A Census of Peter of Auvergne’s Works) bietet eine sehr ausführliche Liste von Werken und Handschriften von Petrus sowie von Sekundärliteratur.
Das Buch ist der erste Versuch, alle Dimensionen des Denkens von Petrus zusammen in Betracht zu ziehen. Es handelt sich um einen wichtigen und wertvollen Beitrag zur Historiographie der Philosophie und der Theologie des Mittelalters.