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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

776–778

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Roth, Dieter T., Zimmermann, Ruben, and Michael Labahn [Eds.]

Titel/Untertitel:

Metaphor, Narrative, and Parables in Q.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. X, 423 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 315. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-152338-0.

Rezensent:

Werner Kahl

Dieser Band versammelt 16 Beiträge in englischer bzw. deutscher Sprache, basierend auf Vorträgen einer Konferenz im Jahr 2010 zu »Metaphorik und Narrativität in der Logienquelle Q« an der Universität Mainz. Leitfrage war »whether Q studies can, or indeed should, seek to move beyond the now traditional approaches to this ›text‹ based on source- and redaction-criticism inspired reconstructions« (VII).
In einer Einführung diskutiert Ruben Zimmermann den möglichen Beitrag von Metaphorologie und Narratologie für das Verständnis von Q, zumal sie nicht auf die Faktizität der Existenz von Q oder den genauen Wortlaut angewiesen seien. Tatsächlich stärke die hier eingenommene Perspektive das Argument für die Existenz von Q: »the constructed ›fictionality‹ of Q supports the factuality of Q« (4). Z. setzt voraus, dass es sich bei Q grundsätzlich um eine strukturierte Erzählung handelte – und nicht um eine lose Spruchsammlung. Eine eingehende kritische Reflexion der Anwendbarkeit narratologischer Methodik auf Analysen eines (re-)konstruierten und bruchstückhaft vorliegenden Textes wie Q wird übersprungen. Aus einer exegetischen Not wird so unter der Hand eine hermeneutische Tugend.
Daniel A. Smith wendet in seinem Beitrag »theories of critical spatiality« auf die Analyse von Q an. Insbesondere die Haus-Metaphern in Verbindung mit Reich-Gottes-Ansagen dienten der »identity-formation« im Frühchristentum.
Christopher Tuckett befasst sich mit den Aussagen in Q, die auf den ersten Blick eine Anti-Familien-Polemik zum Ausdruck zu bringen scheinen. T. gibt die Möglichkeit zu bedenken, dass diese Aussagen auf der einen Seite einen schmerzhaften Ablöseprozess von »Q-Christians« aus ihren Familien und auf der anderen Seite eine »alternative social formation« unter diesen Christen, die sich als neue Familie zusammengefunden hätten, widerspiegelten.
ImHee Park nimmt die Kinder- und Sklavenmetaphern in den Blick. Das Gleichnis vom anvertrauten Geld (Q 19,12–26) reflektiere die soziale Situation ausgebeuteter Sklaven im Allgemeinen und eine »sarcastic attitude of resistance by the people of Q toward those who were inhumanely oppressing them« (88) im Besonderen. Insofern sei das Gleichnis als Satire zu verstehen, »a verbal weapon of powerless people« (87).
Sarah E. Rollens beschreibt »Gerechtigkeit« innerhalb der Reich-Gottes- Verkündigung der anfänglichen Q-Bewegung als zentrales, real zu verwirklichendes Anliegen (Belegstelle: Q 6,29 f.) und argumentiert, dass nach Enttäuschungen das Motiv des göttlichen Richtens an seine Stelle getreten sei (Belegstelle: Q 12,58 f.).
Markus Tiwald verortet die Polemik in Q gegenüber nicht-jesusgläubigen Gruppierungen im Kontext innerjüdischer Rivalitäten zur Zeit des Zweiten Tempels. Ein aufschlussreicher Vergleich der in Frage kommenden Aussagen mit Henochs Epistel kommt zu dem Ergebnis: »Die Aussagen sind also protreptisch-performativer Natur, sie sollen konnotativ den Gläubigen Mut und Hoffnung machen, nicht aber informativ-denotativ eine Verdammung über die Ungläubigen aussprechen« (137).
Harry T. Fleddermann möchte – unter besonderer Fokussierung von Q 10,22 – zeigen, dass Q die Jesuserzählung als Gotteserzählung präsentierte. Voraussetzung dieser Konstruktion ist die Behauptung, dass es sich bei Q um eine Erzählung handelte: »Q is a full, complete narrative […]«, die mit »John’s Preaching […] as the initial situation« (142) anhebe. Der Beitrag offenbart einen sorglosen Umgang mit narratologischen Grundbegriffen.
Michael Labahn wendet die rezeptionsästhetisch bedeutsame Beobachtung von »gaps« in narrativen Texten auf die Analyse von Sprüchen und Reden in Q an. Die Problematik der Anwendbarkeit dieses Interpretationsinstruments auf Q als einem konstruierten Text wird nicht diskutiert. Hinsichtlich des Wunderdiskurses kommt L. zu der bedenkenswerten Erkenntnis, dass dieser im Q-Stoff weithin impliziert sei, auch abseits von ausdrücklichen Bezugnahmen.
Diese Beobachtung wird durch den Beitrag von Detlev Dormeyer in seiner Analyse der Perikope »Der Hauptmann von Kafarnaum« verstärkt. Die Wunderthematik sei in Q anzutreffen in ganz unterschiedlichen Gattungen. Was die Gattungsbestimmung der hier fokussierten Erzählung in Q 7 anbetrifft, läge hier keine »reine Wundergeschichte« (194) vor, sondern eine bewusst gestaltete Mischform von Wundergeschichte und Gleichnis. Da »reine Wundergeschichte« eine exegetisch problematische Konstruktion darstellt, halte ich diese Annahme für nicht überzeugend.
Robert A. Derrenbacker, Jr. schlägt vor, dass Q von »village« oder »working class scribes« nicht in Form einer Schriftrolle, sondern in Form eines »Proto-Codex« schriftlich fixiert wurde, und zwar unter der Funktion einer Gedächtnisstütze. Dies erkläre auch, warum es keine handschriftlichen Zeugnisse von diesem Übergangstext gibt.
Marco Frenschkowski möchte erweisen, dass in Q kein direkter Bezug auf alttestamentliche Passagen genommen wird. Hier spiegele sich »ein wenig gebildeter, ganz volkstümlicher Umgang mit dem Alten Testament und seinen Traditionen« (241). Er eliminiert mit exegetisch zweifelhaften Verfahrensweisen zunächst in Q deutlich vorliegende Schriftbezüge wie etwa in Q 7,27 (225). In einem zweiten Schritt postuliert F. einen mit Q vergleichbaren Umgang mit biblischen Traditionen im Koran, wobei er in Bezug auf diesen mit veralteten Stereotypen arbeitet. Dem Corpus Coranicum-Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften meint er eine »gelegentliche(r) Übernahme islamischer Korankomiastik« (244) diagnostizieren zu müssen. Die von F. vorgelegte Interpretation des Korans entspricht nicht dem Standard der gegenwärtigen Islamwissenschaft.
Paul Foster sichtet Gleichnisidentifizierungen in Q durch unterschiedliche Exegeten. In den sechs der Kategorie »hohe Wahrscheinlichkeit« zugeordneten Gleichnissen bzw. Parabeln begegneten die Themen Christologie, Nachfolge, Reich Gottes, Endgericht und Eschatologie, die letztlich auf Jesus zurückgehen könnten.
John S. Kloppenborg schlägt – unter Heranziehung griechischer Papyri – gut begründet vor, dass die Parabel vom »Menschensohn, der wie ein Dieb kommt« (Q 12,39 f.) die Funktion habe, »to evoke a spectre of destruction rather than salvation and to underscore its incalculable aspect« (305).
Auch Erin K. Vearncombe zieht zahlreiche Papyri aus der weiteren »Umwelt des Neuen Testaments« heran, um »social domains« der Parabel »Von der verlorenen Drachme« (Q 15,8–10) auszuleuchten. Insgesamt ergebe der Vergleich, dass es sich bei der in der Parabel aufgerufenen Frau um eine Person »living at or near a subsistence level« handelte. Dies ließe Rückschlüsse auf die generelle »social location of the formative stratum of Q« zu (337).
Christoph Heil begründet zunächst die nicht unstrittige Verortung der »Parabel vom anvertrauten Geld« in Q. Nach einer »Rekonstruktion des Q-Wortlauts« kommt er zu dem gut begründeten Schluss, dass Jesus hier »eine weitere seiner anstößigen Geschichten mit ›unmoralischen Helden‹« erzählt habe (370).
In einer durchgängigen Analyse von Autoritätsfiguren in Q-Parabeln gelangt Dieter T. Roth zu dem nachvollziehbaren Urteil: Diese mit Gott bzw. Jesus identifizierten Autoritätsfiguren sind »associated with violence, loss, or anger« (392). Als solche mögen sie den Zorn und die Frustration einer abgewiesenen Q-Gemeinde widerspiegeln. Für wegweisend halte ich die Vorgehensweise von R., der sich in seiner Charakteranalyse nicht am Text der »Critical Edition« orientiert, sondern an der »reflection of the Q characters in Matthew and Luke« (372).
Eine Liste der Verfasser und Verfasserinnen sowie Register zu antiken Quellen, modernen Autoren und Sachen beenden den sorgfältig edierten Band. Dennoch sind nur recht wenige der hier vorgelegten Analyseergebnisse belastbar. Dazu hätte es eines Vergleichs der an Q-Texten erhobenen Befunde mit der sonstigen synoptischen Tradition bedurft.