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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

745–747

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Newman, Judith H.

Titel/Untertitel:

Gebet Jakobs.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. 53 S. = Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Neue Folge, 2/3. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-579-05255-7.

Rezensent:

Uwe Wolff

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Böttrich, Christfried, u. Sabine Fahl: Leiter Jakobs. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015. 280 S. = Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Neue Folge, 1/6. Kart. EUR 240,00. ISBN 978-3-579-05253-3.


Die alttestamentlichen Erzählungen von Jakob haben Theologie- und Kulturgeschichte geschrieben. In Jakobs Kampf mit dem Engel (Gen 32) erkannten Maler wie Rembrandt, Gauguin oder Chagall ihr eigenes künstlerisches Ringen um Vollendung ihrer Berufung wieder. Der Traum von der Himmelsleiter (Gen 28) wurde für Benedikt von Nursia zum Symbol des Engellebens (vita angelica) sei-ner Mönche und für Rudolf Otto zu einem Kardinalbeleg für seine Definition des Heiligen als mysterium tremendum et fascinosum. Dass die kurzen Texte der Genesis zur narrativen Einfühlung und Ausschmückung einladen, ja geradezu verführen, wundert nicht. Denn die Erzählungen von Gottes Offenbarung in Bethel und am Jabbok enthüllen und verhüllen zugleich seine geheimnisvolle Gegenwart. Wer war der Engel, mit dem Jakob rang? Warum steigen die Engel auf der Himmelsleiter hinauf und hinab? Heilige Texte entfalten ihre Wirkung auch durch die vielen Leerstellen der Erzählung, das Angedeutete oder bewusst Verschwiegene. Von der Ausfüllung und Ausfühlung der Lücken im Text lebt die apokryphe Literatur. Ihr Adressat ist der esoterische Leserkreis und die Ge­meinde der Erwählten.
Im slawisch-orthodoxen Kulturkreis ist eine allegorische und typologische Auslegung von Gen 28 unter dem Titel »Leiter Jakobs« weit verbreitet gewesen. Sie gehört in die Sammlung apokrypher Erzählungen der sogenannten »Tolkovaja Paleja« und taucht seit dem 14. Jh. auf dem slawischen Apokryphenindex auf. Die »Leiter Jakobs« ist eine Variante jener christologischen Traumdeutung, die auch in der beliebten lateinischen Inschrift »hic est domus dei et porta caeli« breite Spuren in der Kirchenarchitektur hinterlassen hat. Die eschatologisch ausgerichtete »Leiter Jakobs« deutet die zwölf Sprossen der Himmelsleiter als Epochen einer stufenweisen Annäherung an das Ende der Zeiten. Der Engel Sariel weiht Jakob in das Geheimnis der hinauf- und hinabsteigenden Engel ein. In ihrer Bewegung wird das Kommen des Gottessohnes antizipiert. Er kommt vom Himmel hinab auf die Erde und führt die Erlösten wieder zum Ursprung zurück. Der Heiland ist also aus Jakobs Stamm. Und die Leiter ist sein Kreuz. Man sollte in dieser typologischen Deutung keine Adversus-Judaeos-Formel sehen und schon gar nicht eine ostkirchliche Besonderheit, heißt es doch auch in Paul Gerhardts Lied »Kommt und laßt uns Christus ehren« (EG 39): »Jakobs Stern ist aufgegangen«. Mit dem Stern von Bethlehem und dem Weg der Anbetung, den die Heiligen Drei Könige gehen, endet die slawische Apokalypse.
Ihre Übersetzung und Edition verdanken wir der hochinteressanten Arbeit, die Christfried Böttrich und seine Mitarbeiterin Sabine Fahl am Greifswalder Lehrstuhl für Neues Testament leis­ten. Ungeheuer kenntnisreich und gelehrt, aber nie belehrend, ist ihr sehr ausführlicher Kommentar. Er führt tief hinein in eine Überlieferungsschicht, deren Kenntnis nun auch dem Nichtfachmann und den der slawischen Sprachen Unkundigen den Reichtum der biblischen Überlieferung vor Augen führt. Erschienen ist die Edition in der verdienstvollen Reihe »Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit« des Gütersloher Verlagshauses. Sie schenkt nicht nur einen Blick auf alte Traditionen, sondern macht die Angelologie des Alten und Neuen Testaments in neuer Weise sichtbar.
Eine neue Perspektive auf altvertraute biblische Texte ermöglicht auch die Edition des magischen »Gebet Jakobs« durch Judith H. Newman. Die erstmals von Karl Preisendanz im Rahmen seiner Ausgabe griechischer Zauberpapyri edierte Beschwörung wurde nun von Judith H. Newman übersetzt und ebenfalls sehr kenntnisreich und einfühlsam kommentiert, so dass auch von dieser Edition ein Impuls für ein neues und hintergründiges Verständnis der Angelologie des Alten Testaments ausgeht. In einer aktuellen Bibliographie zeigt die in Toronto lehrende Wissenschaftlerin, in welcher Breite die Angelologie im englischsprachigen Raum seit gut einem Jahrzehnt wieder Eingang in die Theologie gefunden hat.
Das jüdische »Gebet Jakobs« steht im Kontext einer nicht nur in Qumran bezeugten Tradition der Verwandlung des Frommen in ein Engelwesen. Sie ist das Ziel des durch einen Magier vorgetragenen »Gebet Jakobs«: »Die Verheißung der Verwandlung in einen Engel sicherte somit nicht nur reichen Gewinn nicht nur für den, der das Gebet darbrachte, sondern möglicherweise auch erhebliche Einkünfte für den magos, den Vermittler göttlicher Mächte.« (8) Die Edition von Texten wie »Leiter Jakobs« und »Gebet Jakobs« ist auch deshalb sehr verdienstvoll, weil sie traditionelle biblische Deutungsmuster der historisch-kritischen Exegese aufbrechen. Daher inspiriert der durch Judith H. Newman edierte Klassiker aus hellenistisch-römischer Zeit mit dem angelomorphen Verständnis von Jakob/Israel zu einem neuen Blick auf vertraute Texte. Dieser hermeneutische Impuls geht auch von einem neuen Verständnis von Magie aus. Die Unterscheidung von Religion und Magie, so Newman, sei eine falsche Dichotomie und ein Produkt der sophis­tischen Aufklärung im Athen des 5. Jh.s v. Chr. Dagegen setzt sie folgende Definition: »In der Tat kann Magie am besten als Fremdbezeichnung für Praktiken und Glaubensvorstellungen verstanden werden, die von denen abgelehnt werden, die diesen Begriff für andere gebrauchen.« (6)
Religiöses Sprechen bedient sich zuweilen jener voces mysticae und onomata barbara, von der Jakobs Gebet reichlich Gebrauch macht. Sie sind auch durch den größten wissenschaftlichen Spürsinn und die höchste Gelehrsamkeit nicht zu entschlüsseln. Denn Name ist hier Macht. Er will nicht rational verstanden werden, sondern zur Ehrfurcht vor dem Namenlosen erziehen, der sich hinter allen Namen verbirgt. Das Gebet schließt mit der Bitte um Engelwerdung: »Herr, fülle mir das Herz mit Gutem, Herr, als einem irdischen Engel, als einem, der unsterblich geworden ist, als einem, der das Geschenk von dir empfangen hat. Amen, Amen.« (18) Das Gebet schärft das Bewusstsein für den Kern einer religiösen Sprachphilosophie, die noch weiß, dass die nomina immer auch numina sind. Das gilt besonders für angelologische Texte wie diesen. In ihm wird Gott als »Schöpfer der Engel und Erzengel, der Schöpfer der rettenden Namen« (17) angerufen.