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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

979 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brandenburger, Stefan H., u. Thomas Hieke [Hrsg]

Titel/Untertitel:

Wenn drei das Gleiche sagen. Studien zu den ersten drei Evangelien.

Verlag:

Münster: LIT 1998. XI, 258 S. 8 = Theologie, 14. Kart. DM 49,80. ISBN 3-8258-3673-8.

Rezensent:

Wolfgang Schenk

Paul Hoffmann mit seinem Arbeitskreis in Bamberg ist zum deutschen Zentrum des internationalen Forschungsprojekts "Documenta Q" geworden (IQP). Seine Schüler und Mitarbeiter haben ihm zum 65. Geburtstag die Beiträge der vorliegenden Festschrift gewidmet. Th. Hieke (1-36) stellt grundlegend "Methoden und Möglichkeiten griechischer Synopsen zu den ersten drei Evangelien" seit Griesbach 1774/1776 vor. Für die Q-Rekonstruktion ist dabei vor allem die Gliederung des Textes und die Hierarchie der Parallelität wichtig. "Der vom Internationalen Q-Projekt rekonstruierte Q-Text: Eine Werkstattübersetzung" wurde von Hieke zusammen mit Chr. Heil (103-120) in deutscher Übersetzung dargeboten und macht einen besonders wertvollen Bestandteil dieses Sammelbandes aus.

Drei Untersuchungen beziehen sich auf Q-Einzelanalysen: U. Bauer, "Der Anfang der Endzeitrede in der Logienquelle (Q 17): Probleme der Rekonstruktion und Interpretation des Q-Textes" (79-101), zeigt exemplarisch das Vorgehen bei der Q-Rekonstruktion und auch wie die konkrete Verortung dieses Segments im Rahmen der Messiaserwartungen vor dem jüdischen Aufstand denkbar ist. H. Melzer-Keller analysiert paradigmatisch den Komplex "Frauen in der Logienquelle: Ist Q das Zeugnis einer patriarchatskritischen, egalitären Bewegung?" (37-62). Sie kommt zu einem negativen Ergebnis auf die Frage nach einer Frauenemanzipation in Q. S. Björndahl, ’An Honor Map of Q’ (63-78), zeigt für das Wertesystem der öffentlichen Geltung, daß die an Insider adressierte Grundschicht (Q1) die gesellschaftlichen Konventionen von Ansehen/Ehre und Schande auf den Kopf stellte, während die an Outsider adressierte Überarbeitungsschicht (Q2) deren Anständigkeit in Frage stellt. C. Ettl, "Der ,Anfang der ... Evangelien’: Die Kalenderinschrift von Priene und ihre Relevanz für die Geschichte des Begriffs evangelion. Mit einer Anmerkung zur Frage nach der Gattung der Logienquelle" (121-151), gibt erstmalig eine vollständige Übersetzung und Strukturanalyse des Edikts des Prokonsuls und der darauf fussenden Dekrete der Provinzialversammlung. "Die nach der Veröffentlichung der Kalenderinschrift zunächst einsetzende Euphorie über eine nun scheinbare Nachweisbarkeit des Evangeliums-Begriffs aus dem Kontext des Kaiserkults machte im Laufe der Zeit einer nüchternen Betrachtung Platz ... Man wird deshalb für den Begriff evangelion auch weiterhin von einer multikausalen Entstehungsgeschichte und einem mehrschichtigen Bedeutungsinhalt ausgehen müssen" (138).

Dieses Fazit leidet darunter, weithin einer vorsemiotischen, reinen Wortanalyse verhaftet zu sein. Kennzeichend für die reine Wortsemantik ist, daß der Wort-Ausdruck vorschnell als "Begriff" angenommen wird, ohne daß die syntagmatischen und paradigmatischen Bedeutungsaspekte klar genug in den Blick genommen wurden. Der Sachzusammenhang des klar bestimmten apostolischen Wortfeldes (vgl. W. Kramer, Christus Kyrios Gottessohn, 1963, 41-60) wird völlig außer Acht gelassen. Damit wird die nächstliegende Möglichkeit, daß Markus mit seiner Übertragung des Ausdrucks primär von da aus zu werten ist, verkannt. Eine zu planflächige und evolutionistische "Traditionsgeschichte" verstellt auch hier den Blick auf die verschiedenen Transkodierungen des Ausdrucks. Sie bleibt auf die verkürzten, vorsemiotischen Alternativen (profan oder religiös, jüdische oder griechische Wurzeln) fixiert und findet nicht zu den mehr fruchtbaren Fragestellungen und Analysen. Auf den verschiedenen Ebenen tappt man so weiterhin in die Signifikantenfalle. Mit der Beibehaltung der in seinen beiden Teilen nicht beschreibungsadäquaten Bezeichnung "Logien-Quelle" kommt es zu falschen Suchrichtungen wie "Spruch-Evangelium" oder "Spruch-Biographie" auf der einen Seite wie zu einer inkohärenten, strukturell ungeklärten Zuordnung von "Kreuz"/"Leiden"/"Passion" zur Auferweckung Jesu von den Toten als Kriterium für "Buch-Evangelien" andererseits. Das Modell der Kriterien, das R. A. Burridge (What are the Gospels?, 1992) aufgestellt hat, bleibt ebenso unbeachtet wie eine weiterführende Anwendung auf Q als Lehrer-Biographie analog zu Lukian, Demonax (F. G. Downing, A Genre for Q and a Socio-Cultural Context for Q, JSNT 55 [1994] 3-26). A. Gasky untersucht evolutionistisch-traditionsgeschichtlich "Die Barabbaserzählung und ihre Aussage über die Verurteilung des ,Königs der Juden’" (152-170). Aus der Parallelität der Abfolgen von Mk14-15 mit dem Tempelunheilspropheten Jesus ben Ananias (Jos Bell 6,300-305) und einer mit Hilfe der Barabbasepisode herausgearbeiteten Urschicht des Pilatusverhörs verheißt er, eine Verurteilung Jesu als "König der Juden" historisch wahrscheinlich machen zu können. S. H. Brandenburger "Der ,Gesalbte des Herrn’ in Psalm Salomos 17" (217-236) zeigt, daß diese Gestalt hier ("Gesalbter des Herrn" statt "Messias") ein aktueller Gegenentwurf zur Herrschaft der Makkabäer und Römer war, der mosaikartig aus vielerlei alttestamentlichen Motiven rezeptionell vom Autor zweckbestimmt zusammengesetzt wurde (2Sam 7; Ps 2; 21; 72; 89; 101; Jes 2; 11; 60; 66; Jer 23; 33; Ez 34; 37; 45; 47).

Dem Zweifel an einer pharisäischen Verfasserschaft der PsSal steht wohl außer dem konkreten Selbstverständnis als "Fromme" auch der spezielle Bezug zum Fasten (PsSal 3,8) entgegen (D. Lührmann, Paul and the Pharisaic Tradition, JSNT 36 [1989] 75-97). M. Fromm, "Der angebliche Historiker Philon der Ältere: Ein Beitrag zu der Frage nach den Quellen des Clemens Alexandrinus" (237-254), sichtet das überlieferungsgeschichtliche Gestrüpp dieser Frage mit dem Resultat (entgegen JSHRZ I/2, 1976, 112-114): "Einen Historiographen Philon den Älteren hat es niemals gegeben: der ,ältere Philon’ des Josephus und der Zeuge des Klemens für seine zeitliche Ansetzung des Moses vor der ,Mehrzahl der griechischen Götter’ sind untereinander und mit dem gleichnamigen Epiker identisch" (253). Neben diesen beiden den vorchristlichen Texten gewidmeten Analysen beziehen sich zwei weitere auf die spätere Rezeptionsgeschichte:

Th. Hieke, "Markuspriorität im fünften Jahrhundert? Eine ikonographische Randnotiz aus Ravenna" (171-177), verweist darauf, daß im Unterschied zu der bei Augustinus belegten Reihenfolge der Entstehung der kanonisierten Buch-Evangelien (Mt, Mk, Lk, Joh) der transportable Bücherschrank des Laurentiusmosaiks im Mausoleum der Galla Placidia die Abfolge Mk, Lk, Mt, Joh bietet. Dies ist nach der Reihenfolge der vier Lebewesen aus Apk 4,7 geordnet, die seit Irenäus und Hippolyt eine Bildsymbolik für die vier Evangelisten abgaben und die auch im Kuppelmosaik jenes Mausoleums dargestellt sind.

U. Brauner, Pier Paolo Pasolini: Il Vangelo secondo Matteo - Pasolonis Änderungen gegenüber Matthäus. Oder: Der Hahn kräht nicht! (178-216), vergleicht minutiös die diversen Auslassungen, Zusätze und Umstellungen im Drehbuch wie im Film und sogar in der deutschen Synchronisation. Als Rezeptionsphänomen bleibt dabei die spezifische Poetizität und Rhetorik dieses dreidimensionalen Mediums im Rahmen einer Filmsemiotik unausgearbeitet (vgl. W. Nöth, Handbook of Semiotics, 1990, 463-471).