Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

681-683

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hofheinz, Marco, u. Raphaela J. Meyer zu Hörste-Bührer[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologische Religionskritik. Provokationen für Kirche und Gesellschaft.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. VIII, 236 S. m. Abb. = Forschungen zur reformierten Theologie, 1. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-7887-2779-6.

Rezensent:

Folkart Wittekind

Marco Hofheinz, seit 2012 Professor für Ethik in Hannover, sammelt in diesem Eröffnungsband einer neuen Reihe im Neukirchner Verlag (überwiegend) reformierte Theologen, die eine barthianisch-dialektische Position vertreten. Religionskritik wird hier als Bewährungsfeld eines auf Offenbarung (und nicht Religion) begründeten Verständnisses der Theologie als Wissenschaft verstanden.
Die von Hofheinz bereits in der Einleitung gesetzte denkerische Grundfigur des Bandes besteht in dem Dauervorwurf, Religion sei ein selbstgemachtes und deshalb dem Prinzip nach kritikloses Menschenwerk, während durch den Bezug auf das Evangelium eine Infragestellung des Menschen (und der Theorie) von Gott her erfolge. »Dieses Evangelium [Jesu Christi] ist dementsprechend das eigentliche Subjekt theologischer Religionskritik.« (1) Aber wie kommt dieses Subjekt in das Denken des Theologen?
Herausragend ist der den Band eröffnende Beitrag von Michael Weinrich. Die Entzogenheit des göttlichen Grundes der Religion wird als seine prinzipielle inhaltliche Unbestimmbarkeit gedacht, so dass er sich allein in seiner jeweiligen inhaltlich-religiösen Beanspruchung zeigt. Damit kann Weinrich konsequent die religionstheoretische Konstruktion der üblichen »pluralistischen« Religionstheologie abweisen: Hier handelt es sich um ein theoretisches Metakonstrukt einer »eigentlichen« Religion, die – so Weinrich zu Recht – die Anerkennung der tatsächlichen Andersheit von Religionen nicht zulässt. An dieser Stelle wäre m. E. für ein radikal pluralistisches Konzept von »Religion« bzw. jeweiliger religiöser Rede zu plädieren, das den Allgemeinbegriff Religion auflöst und in das Selbstverständnis und die Reflexion der jeweiligen religiösen Sprache überführt.
Im ersten Teil des Bandes folgen Ausflüge in historische Konstellationen der Religionskritik. Alexandra Grund erforscht den Sinn von Bilderverbot und Kultkritik im Alten Testament und arbeitet heraus, dass es nicht (im Tillichschen Sinn) um generelle Kritik an jeder symbolischen Form der Gottesvorstellung geht, sondern um die (zum Neuen Testament hinüberführende) Frage, welches Bild das Gott angemessene ist. Georg Plasger kritisiert Luthers individualistische Soteriologie und stellt Calvins auf die Heiligkeit der Kirche (als Heil der Gesellschaft) zielende, gerechte Gemeindestrukturen schaffende Religionskritik exemplarisch dagegen. Ralf Wüstenberg erklärt den Sinn von Bonhoeffers religionsloser Gegenwartssicht. Sie ist zurückzuführen auf zwei Wurzeln, auf die theologische Barthrezeption einerseits und deren späte Anwendung auf den kulturhistorischen (und lebensphilosophisch gelesenen) Religionsbegriffs Diltheys andererseits.
Eine Einführung in die Ideen ihrer Barthinterpretation, die bei Georg Plasger in Siegen als Dissertation eingereicht wurde, gibt Hofheinz’ Assistentin und Mitherausgeberin Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer. Der interreligiöse Diskurs sei aus Barths Erklärung der Religion als Unglauben herauszuhalten. Denn dabei gehe es allein um das Verhältnis von Gott und Mensch, nicht um Religionen. Diesen müsse vielmehr – so die Anwendung auf das interreligiöse Gespräch – die Differenzierung von Gott und Religion zugemutet werden, um auf menschlicher Ebene miteinander in den offenen, nicht-wahrheitsbeanspruchenden Dialog einzutreten. Hier wird allerdings im von Weinrich abgelehnten Sinn gerade wieder die offenbarungstheologische Deutung Barths als übergeordneter, die radikalen Differenzen von Religionen einebnender Theorieansatz verwendet. Friedrich Johannsen stellt Äußerungen Tillichs zur Religionskritik zusammen. Die letzten 20 Jahre intensiver systematisch-theologischer Tillichforschung werden hier einfach übergangen.
Im zweiten Teil der Bandes finden sich Überlegungen zur allgemeinen (außerreligiösen) Funktion der theologischen Religionskritik. Im Beitrag von Wolfgang Schoberth wird die gesellschaftspolitische Bedeutung anhand der Parallele der dialektischen Re­ligionskritik zur kritischen Theorie bzw. zur radikalen Ideo­logiekritik untersucht. Letztere sei schon bei Adorno nur möglich aufgrund von Erlösung, nämlich als eine vom unverfügbaren Anderen her geschehende Einsicht.
Martin Hailers Beitrag hat eine etwas anders gelagerte Spitze: Er versucht zu zeigen, dass Religionen nicht an sich selbst gewaltaffin oder gewaltabgeneigt sind, sondern in dieser Hinsicht immer nur Funktionen der Gesellschaft sind, die sich ihrer bedient. Religionskritik sei nicht generell an Religion nötig, sondern »an konfessionellen Gestalten von Kirche und Theologie« (149), insbesondere an fundamentalistischen. Hailer akzeptiert hier ausdrücklich den auf­klärerischen allgemeinen, auf Wahrheit und Universalität ge­richteten Religionsbegriff.
Einen ethisch-praktischen Umdeutungsversuch von Religion unternimmt die ebenfalls bei Georg Plasger in Siegen arbeitende Theologin Margit Ernst-Habib. Sie nimmt aus der Entwicklung der feministischen Theologie zunächst die Entgrenzung des Sexismus-Begriffs zu einer globalen Dauerkritik an allen denkbaren Formen von Exklusion, sodann aus der ideologiekritischen Be­trachtung der Theologie die Forderung, über die Theorie hinauszugehen in das »reale Leben realer Frauen und Männer« (169). Damit wird Theologie zur umfassenden Ermächtigung von Allzuständigkeitsgefühlen und zur Dauerethisierung der – dann gottesdienstlich genannten – Lebensführung.
Matthias Zeindler führt einmal mehr die offenbarungstheologische Kritik an N. Slenczka, W. Gräb und U. Barth vor, es handele sich hier um eine »theologische Nostrifizierung Gottes« (202). Da­gegen sei theologische Religionskritik mit Kraus als »ekklesiale Verdachtshermeneutik« (203) gegenüber allen Religionsformen des Menschen durchzuführen. Damit wird Karl Barth auf den Kopf gestellt: Ist die Offenbarungstheologie bei ihm als Hinweis auf die eigentliche Intention der Glaubenden zu lesen, die durch die liberale Theologie theoretisch verschüttet wurde (im Sinne also eines theoretisch-theologischen Stellens auf einen Standpunkt, der der Sicht der Beteiligten entspricht), so wird hier das theologische Wissen als Dauerurteil gegenüber aller Religion beansprucht.
Im letzten Betrag präsentiert Marco Hofheinz seine homiletischen Vorarbeiten zu einer religionskritischen Weihnachtspredigt. Im systematischen Teil sind die Traditionen des in dem Band beabsichtigten Theologieverständnisses erkennbar: Barth, Iwand, Kraus und Schellongs Schleiermacherkritik werden aufgeführt. Mir scheint aber die Lektüre Barths durch die Brille der linken Ideologiekritik nicht angemessen: Die verschärfte Kritik an aller Religion (die als Basis auch noch für interreligiösen Dialog gesehen wird) wird erkauft mit einem blinden Fleck hinsichtlich der Theologie, die diese Kritik mit der (behaupteten) Berufung auf das Evangelium betreibt.