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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

679-681

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Haudel, Matthias

Titel/Untertitel:

Gotteslehre. Die Bedeutung der Trinitätslehre für Theologie, Kirche und Welt.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 333 S. = UTB 4292. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-8252-4292-3.

Rezensent:

Michael Plathow

Die Frage nach Gott, die »Grundfrage des Lebens«, erschließt als Antwort die »Einsicht in das liebende Wesen des dreieinen Gottes und die Bestimmung des Menschen sowie in den universalen Sinn der Geschichte« (14). Diese These pointiert Matthias Handels »Gotteslehre«. Eine »Ahnung« der »natürlich-metaphysischen Transzendenz« ist es, die – nicht als Form natürlicher Theologie, die vom Seienden auf Gott rückschließt – auf die »Notwendigkeit« allein göttlicher Offenbarung in Wort und Tat verweist. Als selbsterschließendes Geheimnis wird Gott zugänglich dem »empfangenden und sich öffnenden Glauben« (41) im Prozess »empfangender Hermeneutik«. So als »Gegenüber und Nähe« offenbart sich der dreieine Gott. Mit den biblischen Zeugnissen im Spiegel der neunizänischen Theologie des ökumenischen Bekenntnisses von Konstantinopel 381 offenbart sich in der »Gleichzeitigkeit von intra- und interpersonaler Beziehung« (73 f.) die immanente und ökonomische Dynamik des dreieinen Gottes als Liebe (78) des Schöpfers, Erlösers und Vollenders. Der Vf. grenzt sich damit ab von exis-tentialistischen, bewusstseinstheoretischen, anthropozentrischen so­wie theistischen oder atheistischen Verkürzungen und Reduktionen.
Das Bekenntnis zu »Gott, dem Schöpfer« von Kosmos und Mensch (196–224) impliziert das analoge Gemeinschaftsverhältnis des Menschen als Ebenbild des dreieinen Gottes (192). Besondere Aufmerksamkeit widmet der Vf. zudem der »Kompatibilität« von naturwissenschaftlicher und theologischer Weltbetrachtung (201–224).
Den Glauben an »Gott, den Erlöser« (225–252) konzentriert der Vf. in der »trinitarischen Kreuzestheologie« im Licht von Ostern (230 f.), also in der Heilsbedeutung des Todes Jesu als stellvertretendes Opfer und Sühne. Im trinitarischen Zusammenhang expliziert der Vf. mit der dynamischen Zuordnung von Gesetz und Evangelium die Rechtfertigung des sich selbst-vergötternden Sünders sola gratia und sola fide (244 f.). Aspekthaft bezieht er weiter die Thematik der Theodizee (237 f.) und der Weltverantwortung (246 f.) ein.
Der dritte Artikel des Glaubensbekenntnisses (253–272) entfaltet das auf die Schöpfung bezogene, in Jesus Christus angebrochene Heil im Horizont der zukünftigen Vollendung von Mensch und Kosmos durch den Heiligen Geist als »Teilhabe an der vollkommenen Gemeinschaft der Liebe des dreieinen Gottes« (262). Hieraufhin vollendet sich »die Summe des Evangeliums« (271).
In diese Dynamik trinitarischen Lebens sind die christlichen Kirchen hineingenommen. Trinitätstheologische Engführungen erfahren ihre Entsprechungen in einseitigen Kirchenverständnissen. Der Vf. verdeutlicht dies an den ekklesiologischen Entwürfen von J. Ratzinger, M. Volf, J. D. Zizioulas, um durch den eigenen Rückgriff auf die gemeinsame Grundlage neunizänischer Theologie ökumenische Annäherungen zum gemeinsamen Kirchenverständnis eröffnet zu sehen.
Mit biblisch-theologischen Aussagen als norma normans und mit dem ökumenischen Nizäno-Konstantinopolitanum (381) als norma normata grenzt sich der Vf. ab von trinitätstheologischen Einseitigkeiten und Engführungen (38.51) in der Dogmen- und Theologiegeschichte. Entsprechend werden systematisch-theologische Gegenwartsentwürfe – in ökumenischer Weite und breitem Wissen ausgewählt – mit der jeweiligen Denkform und Begrifflichkeit aufgenommen und in die eigenen Darlegungen integriert: W. Härle, I. U. Dalferth, E. Jüngel, J. Moltmann, Chr. Schwöbel, W. Joest, J. v. Lüpke, W. Pannenberg, weiter W. Kasper, K. Rahner, J. Werbick, J. Hilberath, J. Ratzinger und schließlich D. Staniloae, J. D. Zizioulas u. a.
Dabei führt zu theologischen Erkenntnisse die vom Vf. eingeführte Unterscheidung zwischen »intra- und interpersonaler Dimension« des dreieinen Gottes in »Gegenüber und Nähe« zu Mensch, Welt und Kosmos. Dasselbe gilt für die strukturellen Entsprechungen zwischen den trinitarischen Relationen und den Kirchenverständnissen in ökumenischer Weite; schon in vorangegangenen Beiträgen hat der Vf. diese nachgewiesen. Sein Lösungsvorschlag für das »Filioque-Problem«, der mit der Unterscheidung zwischen »ökonomischer« und »spekulativer« Energienlehre in der »ökonomischen« Energienlehre »eine gemeinsame offenbarungstheologische Grundlage für Ost und West« erkennt (100–103), möge als weiterführender ökumenischer Schritt rezipiert werden. Neu gegenüber vorausgehenden Veröffentlichungen des Vf.s. geht die »Gotteslehre« – entsprechend der Zielsetzung, die Offenbarung des dreieinen Gottes als »alles umfassende und bestimmende Wirklichkeit« (35) zu explizieren – auf den metatheoretischen Diskurs zwischen Theologie und Naturwissenschaften ein (201–224) und auch auf den interreligiösen Dialog (287–293), der in Zukunft gewiss noch ausweitend vertieft wird.
Dass der Vf. in seine umfassenden Ausführungen P. Tillichs korrelationstheologischen Entwurf und M. Welkers pneumatologischen Beitrag (z. B. Denkform der »Emergenz«) im Gespräch mit den Naturwissenschaften nicht erwähnt, weist wohl auch auf die theologische Begrenztheit denkerischer Bemühungen und sprachlicher Anstrengungen um »Gott, Mensch und Kosmos« im trinitarischen Begründungszusammenhang.
Die »Gotteslehre«, vom Vf. als »Kompendium der Dogmatik« (22) gedacht, wendet sich an betont vielschichtige und breit anvisierte Adressaten (10). Verstehenshilfen geben grau unterlegte Zusammenfassungen zu Anfang jeden Hauptabschnitts und die Literaturempfehlungen an deren Schluss zusammen mit dem abschließenden Literatur-, Bibelstellen-, Personen- und Sachregister (295–333). Viele anregende Einsichten, interessante Erkenntnisgewinne, auch theologische Sinnerschließungen vermag der Leser zu erfahren. Manche Passagen wird er im Blick auf die Komplexität des Sachthemas und der Argumentation – auch manche Kritik des Vfs. an einer Position, deren Kenntnis vorausgesetzt wird (154.222) – mehrmals studieren und des Vf.s grundlegendes Werk »Die Selbsterschließung des dreieinen Gottes« (2006), auf das er in der »Gotteslehre« immer wieder verweist, kann den detaillierten Gedankengang weiter verdeutlichen. Dem engagierten Leser wird das Studium der »Gotteslehre« Freude machen für verantwortliches Reden vom dreieinen Gott in Verkündigung, Unterweisung, theologischem und interdisziplinären Diskurs angesichts der »Frage nach Gott« als Grundfrage menschlichen Lebens. Das gilt ausgreifend auch für angelsächsische Leser durch die englische Übersetzung der »Gotteslehre«, die in den USA geplant ist.