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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

675-677

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Beinert, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Was Christen glauben. 20 Antworten für kritische Zeitgenossen.

Verlag:

Regensburg: Friedrich Pustet 2014. 376 S. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-7917-2573-4.

Rezensent:

Wilfried Härle

Das Buch des ehemaligen, jetzt emeritierten Bochumer und Re­gensburger Dogmatikers Wolfgang Beinert (geb. 1933) reiht sich in gewisser Hinsicht ein in die zahlreichen Einführungen in das Christentum bzw. in den christlichen Glauben, die seit einigen Jahrzehnten in dichter Folge auf dem Büchermarkt erscheinen. Dass es nur »in gewisser Hinsicht« in diese Reihe gehört, zeigt sich an einer Metapher, von der dieses Buch durchgehend geleitet und geprägt ist: »Kirchenführung«. Was B. vorlegt, ist ein – sehr spezieller – Kirchenführer, für den es charakteristisch ist, dass er nicht die inhaltlichen Einzelheiten der christlichen Glaubenslehre zum Gegenstand seiner Betrachtung und Darstellung macht, sondern die Aufmerksamkeit auf deren Struktur richten will. Insofern hätte das Buch auch den Titel tragen können: »Was die Kirche glaubt«, wäre dadurch aber wahrscheinlich nicht attraktiver geworden. Noch in einer zweiten Hinsicht weckt der (Unter-)Titel des Buches Erwartungen, die nicht unmittelbar erfüllt werden: Die Bezeichnung der Texte als »Antworten für kritische Zeitgenossen« kann so verstanden werden, als seien die kritischen Fragen, die der Kirche eher fernstehende Menschen gegenüber der christlichen bzw. kirchlichen Lehre artikulieren, das Leitmotiv des Buches. Aber das ist nicht der Fall. Ausgangspunkt ist vielmehr die kirchliche Lehre, wie sie sich exemplarisch – sozusagen Stein geworden – dem Betrachter einer Kirche darbietet und von B. als dem Kirchenführer erläutert wird. Dabei sind »Zwischenfragen« der Besucher durchaus zugelassen, erwünscht und vorausgesetzt, aber nicht sie bilden den Leitfaden, sondern die Struktur der kirchlichen Lehre. Dabei geht B. in mehr als einer Hinsicht eigene, bisher wenig begangene Wege und bietet entsprechende Ansichten.
Die Betonung des strukturellen Interesses bedarf einer Erläuterung. Sie zeigt sich bei B. in zweierlei Hinsicht: zum einen in dem zweiteiligen Aufbau, in dem »Grundlagen« (13–90) von »Grundthemen« (93–349) unterschieden werden. Man könnte auch sagen, dass damit differenziert wird zwischen fundamentaltheologischen Themen (wie z. B. Wirklichkeit, Vernunft, Glaube, Heilige Schrift) und materialdogmatischen Themen (wie z. B. Jesus von Nazaret, Gott, Trinität, Welt, Zeit, Leiden, Kirche, Kirchenordnung, Ökumene, Religionen, Jenseits und Konzil). Zum anderen möchte B. sich nicht in die inhaltlichen Details kirchlicher Lehre verlieren, sondern den Zusammenhang von deren Elementen sichtbar machen. Mit einem der »Kirchenführung« affinen Bild gesagt: Das Buch führt sowohl in den Grundriss der kirchlichen Glaubenslehre ein als auch in deren Architektur, verliert sich aber nicht an die Inneneinrichtung und das Mobiliar.
Dabei zeigt sich an drei Kapiteln, die gewissermaßen Scharnierstellen einnehmen, das besondere Interesse B.s: am 1. Kapitel (13–24), das von Kirchenansichten, Kirchenaussichten, Kirchenwegen und Vermittlungsstörungen handelt; am 6. Kapitel (61–60), das den Glauben als »geschichtliche Meditation« behandelt, wo die ökumenisch sensiblen Themen von Schrift und Tradition bzw. Überlieferung, Lehramt der Kirche, wissenschaftlicher Theologie und sensus fidelium ihren Ort finden; ferner am 20. und letzten Kapitel (330–349), das vom (Zweiten Vatikanischen) Konzil handelt. Diese drei Kapitel erweisen sich aus meiner Sicht als die Herzstücke dieses Kirchenführers, an denen sowohl die Verortung in der Realität des gegenwärtigen römischen Katholizismus als auch das Leiden B.s am Zustand seiner Kirche und unserer Gesellschaft, vor allem aber dessen Engagement und Hoffnung für den christlichen Glauben im Allgemeinen und für eine dem Zweiten Vatikanum verpflich-tete katholische Kirche im Besonderen erkennbar wird.
Zu den beachtenswerten, und zwar positiven Elementen des Buches zähle ich die Tatsache, dass B. an den Beginn der Beschäftigung mit den Grundlagen des christlichen Glaubens (nach der ekklesialen »Hinführung«) ein Kapitel (2) über »Wirklichkeit« setzt (25–31). Das ist durchaus unüblich, gibt dem Werk aber von Anfang an einen realistischen (und rationalen) Grundzug, der auch den expliziten Bezug zur »Metaphysik« nicht scheut. Ohne dass die Begriffe fallen, gibt B. sich hier als Sympathisant des kritischen Rationalismus zu erkennen und setzt sich (deshalb) deutlich vom Konstruktivismus ab, wobei er zugleich dessen Wahrheitselemente anerkennt. Ein weiteres beachtliches, positives Element ist für mich der Ort, an dem, und das Gewicht, mit dem die Person Jesu Christi in dieser Einführung zur Geltung kommt (93–130). Sie bildet den Beginn der Grundthemen, also der materialen Dogmatik, und steht daher noch vor dem Thema »Gott«. Das wird begründet mit Sätzen wie: »Die Gottesfrage ist nicht ablösbar von Jesu Leben« (93). Und das wird erläutert durch die Interpretation des von Jesus verkündigten und gebrachten Reiches Gottes durch den schönen Satz: »Gott will gegenwärtig sein.« (106)
Demgegenüber fällt auf (und ab), dass der Heilige Geist unter der Überschrift »Stürmischer Wind« (154 f.) ein etwas »stiefmütterliches« Dasein führt. Neben dem durchgehenden Lob der ratio, sofern sie sich nicht selbst verabsolutiert, kommt die erkenntnisbegründende Funktion und Wirkung des Spiritus sanctus nicht recht zur Geltung. Vor allem wäre es ein Gewinn gewesen, wenn das Verhältnis zwischen spiritus (= pneuma) und ratio (= nous) von B. zum Thema einer eigenen Betrachtung gemacht worden wäre. Da bleibt noch Luft nach oben. Ähnliches gilt vom Schöpfungsglauben und von der Schöpfungslehre. Auch ihnen sind unter der Überschrift »Welt ist Kreatur« (176 f.) nur knapp zwei Seiten gewidmet. Sie werden durch die ausführliche Beschäftigung mit Benedikts XVI. Postulat der »Entweltlichung« aus seiner Freiburger Rede vom 25. September 2011 ersetzt und dadurch auch verdrängt (s. 166–176).
Bemerkenswert, aber nicht überraschend ist schließlich die durchgehend erkennbare Aufgeschlossenheit B.s gegenüber den Anliegen und Aussagen der reformatorischen Theologie. Das Buch ist in erkennbar konfessionsverbindender und nicht -trennender Absicht geschrieben.
Wenn man diesen Kirchenführer nicht in einem Zug liest, sondern stückweise zur Kenntnis nehmen oder gelegentlich einer relecture unterziehen will, fällt auf, dass die durchgehend fehlenden Kolumnentitel, aber auch die unnummerierten Überschriften der Abschnitte die Orientierung im Buch erschweren. Auch hätte ein Sachregister solche Orientierung erleichtert.
Dafür bietet das Buch mit seinen konzentrierten Literaturhinweisen (350–352), seinen informativen Anmerkungen (353–376) so­wie mit den 16 eingeschossenen (teilweise mehrseitigen) Tafeln Informationen, die für unterschiedliche Personenkreise interessant und auf anderem Weg teilweise nur schwer zu beschaffen sind: so z. B. durch die Tafeln mit einer umfassenden Auswahl außerbiblischer Jesuszeugnisse (95 f.), mit einer Chronologie der ältesten Jesus-Zeugnisse (101), über die Wunder Jesu im Neuen Testament (123 f.), die Ostererscheinungen (128) sowie die wichtigsten christlichen Konfessionen (273–278). Das alles passt gut zu diesem in anschaulicher, verständlicher Sprache geschriebenen und durch viele – meist schlichte – Beispiele erläuterten »Kirchenführer höherer Ordnung«.