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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

665-667

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Broekman, Jan, and Larry Catà Backer [Eds.]

Titel/Untertitel:

Signs In Law – A Source Book. The Semiotics of Law in Legal Education III.

Verlag:

Wiesbaden: Springer Verlag 2015. XVIII, 431 S. m. Abb. Geb. EUR 80,24. ISBN 978-3-319-09836-4.

Rezensent:

Lorenz Kähler

Ist Sprache ein Strom sich abwechselnder Zeichen, deren Bedeutung nur durch andere Zeichen verständlich wird und sich permanent ändert? Das gäbe der Semiotik als Lehre von diesen Zeichen eine zentrale Stellung oder sogar eine Stellung als »Methode der Methoden« (Malloy, 227). Zumindest erklärte dies, warum der Sammelband einen bunten Strauß unterschiedlichster Texte enthält. Denn wenn die Bedeutung von Zeichen allein durch andere Zeichen erklärbar ist, lässt sie sich bestenfalls durch eine Abfolge von Texten beschreiben, nicht aber durch Referenz auf von der Erklärung unabhängige Phänomene. In der Vielfalt der Texte finden sich etwa 1904 verfasste Briefe von Charles Sanders Peirce, eine 1916 gehaltene Antrittsvorlesung des holländischen Juristen Jacob Israel de Haan, ein Text von Max Radin über Begriffe des römischen Rechts aus dem Jahr 1925, ein 1989 erschienener Aufsatz zur Begrifflichkeit des ABM-Vertrages sowie studentische Essays aus dem Jahr 2012. Eine Ordnung dieser Texte soll der Leser nach seinem Ge­schmack selbst herstellen (VII), was die Herausgeber von der Zuordnung dieser Texte zu einzelnen Kapiteln allerdings nicht abgehalten hat.
Die Bezeichnung als Quellenbuch dürfte vor diesem Hintergrund weniger die historischen Quellen meinen, die das Recht oder die Semiotik geprägt haben. Einigen Beiträgen wie denen von de Haan hätten die Herausgeber eine derartige Wirkung allerdings wohl gewünscht. Quellenbuch könnte daher eher eine Zusammenstellung von Texten meinen, die zentrale Einsichten der Semiotik verdeutlichen. So enthält die Sammlung eine Erklärung von Peirce zur Unterscheidung von »Icon« als Abbild, »Index« als eines mit der beschriebenen Sache kausal verbundenen Anzeichens und »Symbol« als eines durch Zuweisung entstandenen Zeichens (101). Jedoch stehen derartige Erläuterungen nicht im Vordergrund. Das Buch enthält stattdessen Texte, die in Seminaren als Diskussionsgrundlage dienen können.
In dieser Eigenschaft ist das Buch der dritte Sammelband einer Reihe nach »The Semiotics of Law in Legal Education« und »Lawyers Making Meaning«, an deren Herausgabe ebenfalls Broekman und Backer beteiligt waren. Gemeinsam dokumentieren diese Bände einen in der jüngeren Zeit verblassenden Versuch, rechtliche Phänomene durch die in der Semiotik entwickelten Begriffe zu verstehen. Anders als die vielfache Berufung auf Peirce nahelegt, der über den Bezug von Zeichen zu als existierend angenommenen Objekten nachgedacht hatte, stellen Broekman und Backer diesen Bezug und damit die Objektivität des Rechts in Frage (etwa Benson, 310). Denn Klauseln, Gesetze, Paragraphen, Zeichen und Symbole seien nur »gleiche Elemente eines ungehinderten Flusses von Bedeutung« (336). Die Bedeutung eines Textes beruhe eher auf dem Kontext und der Interpretationsgemeinschaft (6). Erlaubt das Rechtslexikon jegliche Lösung (137), kann die Semiotik allerdings zu ihr nichts beisteuern. Gleiches müsste für die Rechtsdogmatik gelten, wenn diese lediglich Epiphänomen gerichtlicher Prozesse ist, wie etwa Brion behauptet (249).
Aufgeteilt ist der Sammelband in fünf Kapitel. Das erste soll in das »Lesen der Semiotik« einführen, geht aber weit darüber hinaus. So thematisieren Broekman und Backer dort auch die Eigenschaften globalen Rechts und die von Umberto Eco beschriebene Wirkung des kommunistischen Manifestes. Bereits die Diskussion, wie die damit einhergehenden Thesen miteinander verbunden sind, hätte genügend Stoff für ein Buch geboten. Stattdessen findet sich hier wie im gesamten Sammelband jedoch eine solche Vielzahl von weiteren Thesen, die eine Rezension nicht einmal ansatzweise an­deuten kann.
Das zweite Kapitel dokumentiert Entwicklungen der Semiotik zwischen 1897 und 1953. Dazu gehören teils allgemeine Erwägungen zur Eigenschaft von Zeichen, teils spezielle Erwägungen zur Rolle der Sprache im Recht. Bemerkenswert ist daran etwa ein Text von de Haan aus dem Jahr 1916, in dem dieser die These vertrat, dass ein Wort erst im vollständigen Satz Bedeutung erlange (74). Ein derartiger Holismus wird heute eher mit anderen Autoren wie Wittgenstein und Quine verbunden. Das deutet an, wie zufällig die Verbindung zentraler geisteswissenschaftlicher Thesen mit einzelnen Namen sein kann. Ebenso sticht die von de Haan gezogene und eher mit Wittgensteins Tractatus assoziierte Konsequenz hervor, Stille sei die einzig wahrhafte Art des Sprechens (64).
Diesem Ideal folgt das Buch nicht und lässt stattdessen eine Vielzahl von Stimmen erklingen. So ist das dritte Kapitel den als Gottvätern der Semiotik bezeichneten Welby, Peirce, Greimas und Lacan gewidmet. Sie kommen größtenteils nicht in eigenen Texten zur Sprache, sondern durch die Kommentare von Broekman und Backer. Gleichwohl findet sich hier in Zitatform vieles, was eine nähere Analyse verdient hätte. Das gilt etwa für Überlegungen von Greimas zu den Tiefenstrukturen der Gesellschaft und des Einzelnen, die mit den »semiotischen Objekten« verbunden seien (126). Von diesen Tiefenstrukturen und ihrer Wirkung wüsste man gern mehr, ohne dass der Sammelband darauf eine Antwort geben könnte. Daher bleibt offen, woher das Wissen von ihnen stammt.
Das vierte und gewichtigste Kapitel ist mit »Heutige Semiotik des Rechts« überschrieben und, der Gliederung des Corpus Juris Civilis folgend, nach Personen, Sachen und Verpflichtungen unterteilt. Diese Rezeption juristischer Strukturen für semiotische Diskussionen passt zur These Roberta Kevelsons, wonach Eigentum ein rhetorisches Instrument und deshalb prototypisch für das Recht sei, so dass semiotische Untersuchungen letztlich in Untersuchungen des Eigentums mündeten (162). Hier wie an anderen Stellen wäre eine genauere Analyse des Rechts und der aus ihm abgeleiteten Schlussfolgerungen hilfreich gewesen. Denn dieses enthält für den Umgang mit Sachen neben dem Eigentum andere Begriffe wie Besitz, Pacht oder Dienstbarkeit. Es ist deshalb unverständlich, warum man nur einen dieser Begriffe als Modell herausgreifen sollte.
Das fünfte Kapitel enthält größtenteils studentische Essays, die elegant und gedankenreich geschrieben sind, so dass man den Herausgebern zu solchen Studenten nur gratulieren kann. Allerdings werden deren Arbeiten dadurch nicht zu einer Quelle des rechtstheoretischen Diskurses. Das gilt schon deshalb, weil diese Essays auf dem amerikanischen Rechtssystem aufbauen und sich daher nur begrenzt verallgemeinern lassen. Die Probleme der vor Gericht auftretenden Sachverständigen etwa sind in Deutschland meist andere als in den USA, da dort die Sachverständigen vor einer Jury auftreten und eher von den Parteien statt vom Gericht benannt sind. Ein kurzer Ausblick auf Strukturelle Linguistik, Diskursanalyse und andere semiotische Theorien beschließt das Buch und deutet die Vielfalt der semiotischen Diskussion an.
Sollte die Darstellung dieser Vielfalt das Ziel des Buches sein, so ist es geglückt. Der Semiotik wäre allerdings zu wünschen, dass sie strukturierter ist und klarere Begriffe enthält, als es diese Sammlung vermittelt. Denn kann sie durch Wiedergabe von Texten nur noch einen Eindruck von einem nicht steuerbaren Bedeutungsfluss vermitteln, löst sie sich selbst in Beliebigkeit auf.