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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

649-651

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Clapmarius, Arnold

Titel/Untertitel:

De Arcanis Rerumpublicarum libri sex. Hrsg., übers. u. m. eingel. v. U. Wehner.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2014. 2 Bde. CXX, 746 S. = Editionen zur Frühen Neuzeit, 4,1–2. Lw. EUR 132,00. ISBN 978-3-7728-2492-0.

Rezensent:

Stefan Kratochwil

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Taurellus, Nicolaus: Philosophiae Triumphus, hoc est, Metaphysica Philosophandi. Lateinisch-deutsch. Hrsg., übers. u. eingel. v. H. Wels. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2012. XLVI, 596 S. m. 1 Abb. = Editionen zur Frühen Neuzeit, 3. Lw. EUR 265,00. ISBN 978-3-7728-2374-9.


In der von dem Reformationshistoriker und Melanchthon-Experten Günter Frank initiierten und von ihm im Verlag frommann-holzboog herausgegebenen Reihe Editionen der Frühen Neuzeit erscheinen zweisprachige Ausgaben von Texten aus dem 16. und 17. Jh., die lange nicht mehr ediert und übersetzt worden sind. Sie sind ein sehr willkommener und wertvoller Beitrag zur Erweiterung unserer Kenntnis von der Epoche zwischen Reformation und Aufklärung, die in der philosophiegeschichtlichen Forschung, die sich zu oft noch an den kanonisierten Denkern orientiert, mit noch größerer Tiefenschärfe erforscht werden sollte. Gerade diese streit-, schreib- und publizierfreudige Epoche wimmelt nur so von Ge­lehrten mit zum Teil immenser Schaffenskraft und umfangreichen Œuvres. Ein detaillierter Nachvollzug der damals diskutierten Probleme erfordert ganz gewiss, ihre im Laufe der seitdem vergangenen Jahrhunderte an den Rand des Interesses geratenen, gleichwohl damals einflussreichen Texte mit einzubeziehen. Da diese Texte oft nur in wenigen Auflagen erschienen und diese Exemplare selten sind, ist jede Neuedition solcher Bücher sehr zu begrüßen. Es ist zu wünschen, dass der Reihenherausgeber noch viele kompetente Editoren findet, die sich der mühseligen Arbeit der Übersetzung und Kommentierung dieser oft schwierigen Texte annehmen.
Bisher erschienen mit Philipp Melanchthons Ethicae doctrinae elementa et enarratio – libri quinti ethicorum und Petrus Ramus’ Dialecticae libri duo Werke von zwei eher bekannten Autoren. Mit den beiden hier anzuzeigenden Folgebänden werden zwei Autoren wieder in die Diskussion eingebracht, die als eher unbekannt gelten können. Gemeinsam ist diesen beiden Autoren, dass sie um 1600 an der Universität Altdorf gelehrt haben. In Altdorf wurde das frühere Gymnasium illustre 1578 durch kaiserliches Privileg in den Rang einer Academie erhoben und erhielt so das Promotionsrecht für Philosophie und die freien Künste. In der Folgezeit, d. h. an der Wende vom 16. zum 17. Jh., wurde Altdorf zu einer angesehenen Universität, die berühmte Gelehrte als Professoren gewinnen konnte. Zu diesen zählten Nicolaus Taurellus und Arnold Clapmarius.
Der im burgundischen Montbéliard (Mömpelgard) geborene Nicolaus Taurellus (1547–1606) studierte Philosophie in Tübingen und Medizin in Basel, wo er auch 1570 zum Doktor promovierte. Nachdem er mehrere Jahre Medizin und Ethik in Basel gelehrt hatte, wurde er 1580 an die kurz zuvor gegründete Hohe Schule in Altdorf berufen, wo er bis zu seinem Tode im Jahr 1606 lehrte.
Sein von ihm schon im Alter von 26 Jahren, 1573, veröffentlichter Triumph der Philosophie ist in drei Teile, Traktate genannt, gegliedert, die de viribus humanae mentis (von den Kräften des menschlichen Geistes), de primis rerum naturalium principiis (von den ersten Prinzipien der natürlichen Dinge) und de DEO et eius operibus (von Gott und seinen Werken) handeln. Schon ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeugt von der Vielfalt der Themen, die dieses Buch zu einer wahren philosophischen Enzyklopädie machen. Die Form, in der die einzelnen spezielleren Themen erörtert werden, erinnert dabei noch an die akademische Disputationsmethode, wie solche Kapitelüberschriften wie philosophia Spiritui Sancto sit adscribenda (ob die Philosophie dem Heiligen Geist zugeschrieben werden muss) oder quomodo sint inquirenda rerum principia (wie die Prinzipien der Dinge erforscht werden müssen) nahelegen. Aber auch wenn die Form der einzelnen Kapitel ihre Herkunft aus dem zeitgenössischen akademischen Alltag verraten, ist der Inhalt dennoch alles andere als üblich. Auch wenn der scholastische Topos von der philosophia ancilla theologiae so nicht mehr aktuell war, wurde der Zusammenhang von Philosophie und Theologie dennoch oft thematisiert. Taurellus bezieht hier klar Stellung und legt sich damit gleichzeitig mit den Theologen an. Zum einen richtet er sich gegen die kritiklose Übernahme der Thesen von Aristoteles, was in einer Zeit, in der ein Bekenntnis zu Aristoteles zum Teil in den Universitätsstatuten verankert war, auf heftigen Widerstand stoßen musste. Zum anderen wendet sich Taurellus gegen die Auffassung, dass der menschliche Geist aufgrund der Erbsünde so verdunkelt sei, dass er der Offenbarung bedarf, um zur Erkenntnis zu gelangen. Wer um 1600 eine solche Auffassung vertritt, muss sich um Widerspruch nicht sorgen. Mit dieser Aufwertung des menschlichen Erkenntnisvermögens und dem Bekenntnis zur Vernunftautonomie gegen theonome Erklärungsversuche in der Philosophie wirkte Taurellus stark auf nachfolgende Denker, noch Leibniz beruft sich auf ihn.
Arnold Clapmarius, 1674 in Bremen als Sohn eines wohlhabenden Advokaten geboren, studierte in Helmstedt, Heidelberg und Marburg Jurisprudenz und wurde nach seiner peregrinatio academica, die ihn nach Holland und England führte, und nach einer kurzen Episode als Hauslehrer in Kassel durch Vermittlung von Landgraf Moritz als Professor für Geschichte und Politik an die Hohe Schule und spätere Universität Altdorf berufen. Er lehrte dort von 1600 bis zu seinem frühen Tod 1604.
Die sechs Bücher, in die De arcanis rerumpublicarum gegliedert sind, behandeln folgende Themen: de iure imperii (vom Herrschaftsrecht), de arcanis imperii (von den Herrschaftsstrategien), de arcanis dominationis (von den Vorschriften der Regierungsgewalt), de iure dominationis (vom Recht der Regierungsgewalt), de flagitiis dominationis (von den Herrschaftsverbrechen) und de simulacri imperii (von den Vorspiegelungen der Herrschaft).
De arcanis rerum publicarum ist nun nicht, wie die Verwendung des Wortes arcanum (Geheimnis) im Titel nahelegt, »ein Ratgeber für klandestine Politik oder Arkanisierungsversuche derselben.« (LXIII) Die arcana Rerumpublicarum werden von Clapmarius wie folgt definiert: Sie sind »geheime und verborgene Überlegungen oder Beschlüsse derer, die im Staat den Prinzipat innehaben, so­wohl wegen ihrer eigenen Ruhe als auch um die gegenwärtige Verfassung des Gemeinwesens zu erhalten und das aus Gründen des öffentlichen Wohls.« (18 f.) Auf diese Weise verstanden, erweist sich der Begriff des arcanum nahezu als synonym für Politik. Das Werk von Clapmarius ist so eine frühmoderne Schrift über Politik im Allgemeinen und verdient es, mit Macchiavellis il principe gemeinsam gelesen zu werden, um es als »Grundlagentext zur politischen Ideengeschichte der Frühen Neuzeit« (XI) wieder zu entdecken.
Beide Bände enthalten nach einer ausführlichen und aufschlussreichen Einleitung und einem detaillierten Inhaltsverzeichnis den Text und eine im Großen und Ganzen flüssige und gut lesbare Übersetzung des jeweiligen Werks. Die den Text und die Übersetzung begleitenden Teile der beiden Editionen unterscheiden sich jedoch, was darauf schließen lässt, dass die Reihe selbst nicht nach einheitlichen Prinzipien ediert wird.
Die Clapmarius-Edition von Ursula Wehner ist mit einem um­fangreichen Literaturverzeichnis versehen und beeindruckt durch einen extensiven Nachweis insbesondere der antiken Belegstellen. Die hier geleistete Kommentierungsarbeit ist bewundernswert und erleichtert den Zugang zu diesem nicht einfachen Text ungemein. Demgegenüber verfügt die Taurellus-Edition von Henrik Wels nur über kurze editorische Hinweise und das Register, das die Originalausgabe enthalten hat. Für die Neuedition wurde weder ein Sach- noch ein Personenregister erstellt. Auch wurden die Bezüge insbesondere zu Aristoteles nicht ausgewiesen. Hier wurde leider Potential verschenkt. Auch wenn ein solcher Kommentar gewiss einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordert hätte, würde dem Leser damit jedoch die Arbeit mit dem Werke bedeutend erleichtern.
Gleichwohl sind diese Texte nun wieder leicht zugänglich und es ist zu wünschen, dass die Forschungen insbesondere zur Ideengeschichte der Frühen Neuzeit durch Bezugnahme auf die Werke von Taurellus und Clapmarius neue Akzente gewinnen.