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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

948–950

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Douglass, Klaus

Titel/Untertitel:

Gottes Liebe feiern. Aufbruch zum neuen Gottesdienst.

Verlag:

Emmelsbüll: C&P-Verlag 1998. 290 S. gr.8 = Edition "Kirche für morgen". Gemeinde natürlich entwickeln. Kart. DM 29,80. ISBN 3-928093-06-1.

Rezensent:

Holger Böckel

Der in Philosophie promovierte Autor legt mit diesem Buch ein weiteres, äußerst praxisbezogenes Werk vor, das in direktem Zusammenhang mit dem in seiner Gemeinde (Douglass ist Pfarrer in Niederhöchstadt bei Frankfurt/M) entwickelten Gemeindeaufbauansatz steht. Es handelt sich um ein Praxisbuch zur Gottesdienstgestaltung, das von der missionarischen Intention getragen ist, Kirchenferne und -distanzierte zu erreichen und dabei Impulse aus der hierzulande bereits seit einiger Zeit diskutierten Arbeit der Willow Creek Community Church aus Chicago (USA) aufgreift. Die didaktische Aufbereitung sowie der Sprachstil des Buches sind so konzipiert, daß der postulierte Anspruch, den sonntäglichen Gottesdienst für jene zu gestalten, die ihm entfremdet gegenüberstehen, mutatis mutandis auch für das vorgelegte Liturgiewerkbuch gilt: Zielgruppe sind hier nicht liturgisch sozialisierte bzw. gebildete professionelle theologische Mitarbeiter der Gemeinde, sondern "normale" Gemeindeglieder. Da deren Partizipation bzw. ehrenamtliche Mitarbeit zur Gestaltung des Gottesdienstes als wesentlicher Faktor seiner Erneuerung angesehen wird (12), ist das vorgestellte Werk für diese Gruppe äußerst anwenderfreundlich und verstehbar gestaltet. Des weiteren ist es interessant, daß sowohl freikirchliche als auch volkskirchliche Gemeinden und ihre Gottesdienste in den Blick genommen werden. Wahrnehmbare anti-traditionalistische Tendenzen werden nicht gegen volkskirchliche Formen ausgespielt, sondern im Sinne einer funktionalen Traditionskritik (Hilfe zum Glauben oder kulturelle Barriere?, 38) auf beide Kirchentypen bezogen. Dennoch ist Ausgangspunkt der agendarische volkskirchliche Gottesdienst.

Das praktisch-theologische Grundpostulat besteht darin, daß dem Evangelium vom menschenfreundlichen Gott ein menschenfreundlicher Gottesdienst im Sinne des Dienstes Gottes an den Menschen entsprechen muß. Dabei sei weniger der Inhalt als die Form das entscheidende Ärgernis, welches gängige Gottesdienste für die meisten Zeitgenossen unverstehbar, lebensfremd und letztlich irrelevant mache (39). Entscheidend sei somit nicht, was der Pastor (bzw. Pfarrer) theologisch von seinem Gottesdienst behauptet, sondern wie es der Gottesdienstbesucher erlebt bzw. erleben würde (9). Der Gottesdienstbesuch als Christenpflicht, d. h. als konventionelles Ritual ist dagegen theologisch fraglich und vor allem empirisch kaum noch tragendes Motiv. Zudem wird die fehlende sozialisierende Wirkung agendarischer Gottesdienste erkannt: Im Hinblick auf das Gebet fragt sich D., warum unsere Gottesdienste den Menschen nicht besser helfen, ihr durchaus vorhandenes "natürliches Bedürfnis nach Gebet auszuleben und auszubauen" (96).

Dem Hauptteil des Buches ist eine Einführung vorangestellt, die eine Situationsanalyse bietet. Dabei wird versucht, die Außenwahrnehmung des Gottesdienstes durch kirchlich Distanzierte phänomenologisch, aber auch durch empirische Erhebungen (Fragebögen, Bewertungen etc.) zu erkunden. Ein "Crashkurs Liturgik" für den gedachten Konfirmanden Rudi ist zugleich um ein erstes Verstehen des agendarischen Gottesdienstes in seinen Hauptbestandteilen bemüht.

Der quantitativ dominierende Hauptteil des Buches behandelt nacheinander "zehn Schlüsselelemente des Gottesdienstes" (Musik, Sündenbekenntnis, Gebet, Lobpreis, Predigt, Prophetie, Glaubensbekenntnis, Abendmahl, Segen, Kollekte, 43-238). Jedes dieser Elemente wird - didaktisch sehr geschickt - in einem Dreischritt behandelt, der vom Verstehen des Elements über Aspekte des Nachvollziehens im Alltag (!) hin zu neuen Impulsen der Gestaltung führt. Der Gottesdienst am Sonntag wird dadurch mit dem Gottesdienst im Alltag in einer unüblichen Weise verbunden: Geht es üblicherweise darum, spirituelle Elemente des Sonntagsgottesdienstes im Alltag modifiziert nachzuvollziehen, wird in diesem Dreischritt der Schwerpunkt auf die modifizierte Gottesdienstpraxis einer im Alltag zuvor umgesetzen Spiritualität gottesdienstlicher Inhalte gelegt. Beim Abendmahl etwa sollen sieben theologische Kerndimensionen ein ganzheitliches Verständnis des Abendmahls eröffnen (Erinnerung, Vergebung, Dank, Stärkung, Befähigung, Gemeinschaft, Hoffnung). Diese werden anhand jeweils einer praktischen Übung verdeutlicht, welche als Vorbereitung zur nächsten Abendmahlsfeier dient und ein vertieftes Erleben der jeweiligen Dimension ermöglichen soll. Akzentsetzungen, die in einer größeren Spannung zur volkskirchlichen Gottesdienstpraxis stehen, sind neben den eher durch charismatische Frömmigkeitsformen vermittelten Elementen Lobpreis, Prophetie und Einzelsegnung die zur freikirchlichen Spendenpraxis tendierende ausführliche Behandlung der Kollekte.

Im dritten und letzten Teil gibt D. 111 (!) konkrete Tips zur Gottesdienstgestaltung, die neue und anregende Gesichtspunkte beinhalten und meist eine zentrale Stellung verdient hätten.

Insgesamt geht es um die Aneignung von Kernbereichen christlicher Spiritualität durch den Gottesdienst, indem dieser entritualisiert, verlebendigt und so auch in seiner traditionellen Form zumindest nachvollziehbar wird. Trotz der o. a. Akzente fällt die angesichts der eingangs geäußerten Traditionskritik vorsichtige, an traditionellen liturgischen Abläufen orientierte Sichtweise auf. Es geht D. offenbar um eine liturgische Reformation, keine Revolution. Aus Erfahrung will der Autor zunächst Wege aufzeigen, wie man "die traditionelle Liturgie auflockern und unserer Zeit ein bißchen näher bringen (kann)". Auf Dauer könne dies jedoch nur ein Übergangsstadium hin zu verschiedenen Gottesdiensten in einer Gemeinde sein, die sich durch den Grad ihrer formalen Modernität sichtlich unterscheiden (278). Kybernetisch herausfordernd ist die Betonung einer rezeptions-orientierten Qualität des gottesdienstlichen Angebots. Zum Beispiel werden Möglichkeiten zur Evaluation der Predigt und intensiver Feedbacks aufgezeigt sowie konkrete homiletische Anregungen gegeben, die jeweils konsequent auf die Wahrnehmung liturgisch wenig sozialisierter Hörer ausgerichtet sind.

Die vorgestellte "Suche nach menschenfreundlichen Gottesdiensten" geschieht implizit auf dem Hintergrund der durch Pluralisierung, Differenzierung und Individualisierung gekennzeichneten gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Buch ist daher von einem Empirismus geprägt, der oft eine pragmatische Zuspitzung erfährt. Es kommt eine ganze Reihe neuer Aspekte zur Rezeption von Gottesdiensten in den Blick, die die herkömmlichen agendarischen Gottesdienste in schroffen Gegensatz zu modernen Wahrnehmungsmustern treten lassen.

Der etwa anhand der Musik aufgezeigten Intention ist dabei zuzustimmen: Weil in der "Erlebnisgesellschaft" Stilfragen Glaubensfragen sind (G. Schulze) und die Ästhetisierung der Alltagswelt eine sinnstiftende Funktion erhält, kann ein regelmäßiger Gottesdienst, der für eine breite Öffentlichkeit dem Anspruch nach zumindest potentiell relevant sein soll, in der Tat nicht am Empfinden großer gesellschaftlicher Segmente vorbeigehen. Der Empirismus des Buches ist jedoch an manchen Stellen mit einer theologischen Unterbestimmtheit bzw. Unausgewogenheit gepaart. So wird zwar phänomenologisch deutlich, in welchem Verhältnis vermutlich viele kirchlich Distanzierte zum traditionellen Gottesdienst stehen und warum dieser umgekehrt nur noch eine immer älter werdende Kerngemeinde erreicht. Es ist jedoch unklar, wie dieses Verhältnis theologisch zu deuten ist. Sind kirchlich Distanzierte einfach Nichtchristen (253), eher Randsiedler (255), oder dem Gottesdienst entfremdete, getaufte Gemeindeglieder (264)? Neben Anklänge an freikirchliche Paradigmen treten Ausführungen zu einem volkskirchlich-lutherischen Taufverständnis und seinen gottesdienstlichen Implikationen.

Trotz dieser Unausgewogenheit enthält das Buch sehr viel praktisch Verwertbares und deutet hinsichtlich der liturgischen Theoriediskussion in eine neue Richtung, da hier eine rezeptionsorientierte Sichtweise konsequent mit phänomenologischen Analysen der gottesdienstlichen Situation in der gesellschaftlichen Moderne verbunden werden. Eine praktisch-theologische Aufarbeitung dieser Fragestellungen kann und will dieses Buch nicht liefern. Dies erscheint schon aufgrund des aufgezeigten Handlungsbedarfs geboten.