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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

626-628

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bracht, Katharina

Titel/Untertitel:

Hippolyts Schrift In Danielem. Kommunikative Strategien eines frühchristlichen Kommentars.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XX, 448 S. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 85. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-152034-1.

Rezensent:

Markus Vinzent

Diese Publikation der derzeitigen Professorin für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Katharina Bracht geht nicht nur auf ihre Münchner Habilitationsschrift des Jahres 2011 zurück, sie ist in Stil und Duktus durchaus auch diesem Genre verpflichtet. Entsprechend gründlich, im Urteil abgewogen und pädagogisch klar strukturiert bis hin zu didaktisch vorbildlich aufgearbeiteten Ergebniszusammenfassungen (394–400) und detaillierten Indizes ist dieses Werk ein wichtiger Baustein für die künftige Arbeit zu Hippolyt, der frühchristlichen Exegese und der Identitätsfindung des Christentums innerhalb von Judentum und römischem Umfeld. In dieser Hinsicht unterstützt bereits die Mo-nographie selbst den Beweisgang, wonach im Endergebnis eines Werkes noch die kommunikative Situation seiner Entstehung er­­­kennbar ist. Denn es geht der Vfn. gerade darum, den Danielkommentar des Hippolyt im Anschluss »an die Kommentartheorie von Jan Assmann« als kommunikatives Geschehen »im Dreieck von (formativem) Prätext, zeitgenössischer reader community des Da­nielbuches und Paratext« wahrzunehmen (394).
Als Prätext bestimmt sie das »biblische Danielbuch in der griechischsprachigen Version des Theodotion« (17). Mit Hilfe von Assmanns Terminologie der »zerdehnten Kommunikationssituation« fasst sie die von Hippolyt selbst reflektierte Spannung zwischen dem älteren und abgeschlossenen Text und dem auf diesem beruhenden Kommentar. Zu dieser Genusbestimmung begnügt sich die Vfn. mit der »rudimentäre[n] Definition« von »einem Prätext, der eine vollständige Schrift umfasst, und einem darauf bezüglichen explizierenden Paratext« (4; ausführlich nochmals zum christlichen Bibelkommentar, 374–393; in diesem letzten Kapitel finden sich, 398–400, auch kurz weitere Einleitungsfragen abgehandelt wie Lokalisierung – Rom –, Datierung der Schrift – um 204 n. Chr. – und Verfasserschaft, wobei gerade Letztere aufgrund des »Dunkels um Hippolytus« nicht auf einer Seite beschieden werden kann), d. h. sie macht sich ausdrücklich nicht die von Christoph Markschies angeregte Unterscheidung zwischen einem »gelehrten Kommentarwerk« und »po­pulärwissenschaftlicher« Auslegungsliteratur zu eigen (5), sondern subsumiert Hippolyts Werk unter die frühchristlichen Kommentare als deren ältestes erhaltenes fortlaufendes Auslegungszeugnis (1). Dies wird gestützt von der kommunikativen Entstehungssituation, in der dieses Werk entstanden zu sein scheint, dem christlichen Schulbetrieb in Rom. Hinweise auf diese Genese finden sich in der Leseransprache mit »Du« oder als Gemeinschaft (96 f.), im inklusiven Wir (98–101), im parataktisch und von Fragen und Antworten ge­prägten Gesprächston (101–116) mit eingebauten Zwischenrednern, assoziativen Verbindungen und thematischen Abschweifungen und Verweisen auf früher Gesagtes, folglich Merkmale einer diatribenartigen Darstellung (116–127). Um den Unterricht als kommunika-tiven Raum zu plausibilisieren, erhebt die Vfn., was wir über den christlichen Schulbetrieb in Rom wissen, wobei sie auf Justin und seine Schüler, Valentinus und die sogenannte valentinianische Schule, auf Marcion und seine Schüler und Theodot den Schuster und seine Schüler zu sprechen kommt (127–157).
In einem weiteren, dem längsten Schritt, der mit »Strategien zur Überwindung der Zerdehnung der Kommunikationssituation« überschrieben ist (158–368), ist das Herzstück dieser Untersuchung erreicht. Etwas methodologisch-rhetorisch überzogen klingt die Verwendung der Assmannschen Terminologie, wenn es tatsächlich lediglich darum ginge, dass Hippolyt »den Prätext für die Deutung der Lebenssituation seiner Leserschaft fruchtbar zu machen« versucht hätte (159). In der Tat liest man dann auch schon sehr bald, dass Hippolyt eine kirchliche Situation reflektiert, die die Kirche im Konflikt mit zeitgenössischen konkurrierenden Religionen oder vielmehr »Völkern« zeigt (167 f.), »Juden« und »Heiden« und eine Verfolgungssituation spiegelt. Die Vfn. gibt zur Erläuterung eine detaillierte Interpretation von Hipp., Dan. I,16,1–5, bei der sie ge­konnt die literarische Struktur herausarbeitet und daraus ableitet, dass die Konfrontation der Kirche gegenüber Heidentum und Judentum ein verschiedenes Profil hatte (176–186). Das Ergebnis hätte man noch präziser fassen können, da Hippolyt wohl nicht nur die Kirche vom Judentum beargwöhnt sieht, sondern es sich bei dieser Exegese wohl konkret auch um eine Konkurrenz bezüglich der von Hippolyt kommentierten Autorität des Danielbuches drehte. Wenn die Vfn. meint, dass damit angezeigt sei, dass Juden »Christen belauern«, um in Christenverfolgungen »ein falsches Zeugnis« gegen sie abzugeben, geht sie mit Boyarin davon aus, dass beide Gruppen gegen die apologetische Tendenz des Hippolyt, sie voneinander abzugrenzen, doch noch osmotisch nahe beieinander standen (belegt durch ikonographische Vergleiche, 195–198, aber auch durch die Ämter, die nach Hippolyt ähnlich wie bei 1 Clem. 40,5 auf Priester und Leviten verweist) (210 f.), und letztlich auch untermauert durch Hippolyts Logostheologie, mit der er »damals« und »jetzt« verbindet (278–300).
Nicht überzeugt die angebliche »Ausdifferenzierung des geistlichen Standes in eine Ämtertrias« (210; vgl. auch 273 f.), und insbesondere die angebliche Gleichsetzung von Diakonen und Leviten (211.213 f.221 f.), zumal »Diakone« im Danielkommentar nicht begegnen. Eine Differenzierung wird von Hippolyt lediglich zwischen Laien und Amtsträgern vorgenommen, nicht aber zwischen Amtsträgern und eines davon unterschiedenen »geistlichen Standes«, wenn er schreibt: »die Werke der Propheten, welche nach dem Gesetz vollendet worden sind, und der Chor der Apostel, die durch das Wort weise gemacht worden, und der Märtyrer, welche durch das Blut Christi errettet worden, und die Berufung der Jungfrauen, welche durch das Wasser geheiligt worden, der Chor der Lehrer und die Ordnung der Bischöfe, der Priester wie Leviten.« ( Dan. I,18,7). Wie die von der Vfn. beigebrachten Zeugnisse belegen, gab es die Möglichkeit, dass Christen in politischer Bedrängnis Schutz in Synagogen suchten. Was die im Kommentar geschilderte Verfolgungssituation der Christen anbetrifft, scheint sie die rechtliche Lage widerzuspiegeln, wie sie sich im Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan darstellt (174 f.; zur Verfolgung nochmals ausführlich anhand der Auslegung von Dan. 3 und 6; 222–260), wobei Hippolyt »die im Danielbuch geschilderten, seines Erachtens historischen Ereignisse auf die eigene Zeit und Leserschaft« überträgt, um diese zur »absoluten Loyalität« dem christlichen Gott gegenüber aufzurufen (260).
Überzeugend sind ihre Ausführungen über die eher beiläufige Kritik Hippolyts an »gnostischen« Lehrern (186–192), von Interesse auch, dass sich Hippolyt spezifisch an Frauen allen Alters richtet (192–195), und seine kritische Position zur Kooperation von Chris­ten mit der staatlichen Obrigkeit (270–278). Einen letzten gewichtigen Abschnitt des zentralen Teiles bilden Ausführungen zu Hippolyts Endzeitberechnung (300–368) und seiner Aufschiebung der Eschatologie um 300 Jahre.
Mit Freude liest man diese weithin von formalen Fehlern freie und sorgsame Arbeit (19: die Schrift Hippolyts heißt nicht »Gegen Marcion«, sondern »An Marcion« – πρὸς Μαρκίωνα, erst bei Hier., De vir. ill. 61 wird daraus »Gegen Marcion«; 50: Emanuela Prinzivalli statt Emmanuela Prinzivalli und einige kleinere Druckfehler).