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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

621-622

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hill, Wesley

Titel/Untertitel:

Paul and the Trinity. Persons, Relations, and the Pauline Letters.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. XIV, 210 S. Kart. US$ 26,00. ISBN 978-0-8028-6964-7.

Rezensent:

Emmanuel L. Rehfeld

Bei dieser Monographie handelt es sich um die Dissertation des US-amerikanischen Neutestamentlers Wesley A. Hill (Jahrgang 1981, derzeit wissenschaftlicher Assistent an der Trinity School for Mi-nistry in Ambridge/Pennsylvania), die von F. Watson und L. Ayres betreut und 2012 von der University of Durham angenommen wurde.
Das Buch wird für manchen ein Ärgernis sein. Dabei will H. keine weitere »neue« Paulusperspektive etablieren; sein erklärtes Ziel ist es vielmehr, die Ausleger im Hinblick auf die paulinische Rede von Gott zur Rückkehr zum »älteren trinitarischen Modell« zu bewegen – und das mit exegetischen Gründen (1).
Gut ein Viertel des Buches (1–47) dient der ausführlichen Entwicklung der Problemstellung (Kapitel 1). Das Grunddilemma der neueren Debatten um die paulinische Christologie sieht H. darin, dass fast alle Exegeten dasselbe Paradigma teilten: Paulus habe den ihm überkommenen antik-jüdischen »Monotheismus« nie aufgegeben und Christus folgerichtig irgendwo auf einer vertikalen Achse mit den Endpunkten »Geschöpf« bzw. »Gott« verortet (»low/ high Christology«). Umstritten sei lediglich, ob Christus eher im Sinne frühjüdischer Engelwesen und Mittlerfiguren, d. h. neben Gott stehend und ihm als sein »Repräsentant« klar untergeord-net zu verstehen sei (J. D. G. Dunn, M. Casey, J. F. McGrath) – oder aber als in die einzigartige Identität Gottes selbst hineingehörend (R. Bauckham, L. W. Hurtado). Unbeschadet deutlicher Differenzen im Einzelnen sei ihnen allen auch der Impetus gemein, mit dem sie sich gegen jede »Vereinnahmung« biblischer Texte durch eine trinitätstheologische Rezeption zur Wehr setzten. Diesen Reflex wiederum führt H. auf das Auseinanderdriften von Exegese und Dogmatik im Zuge der Trennung von historischer und theologischer Methode (Gabler, Wrede) und auf eine weitverbreitete Metaphysikkritik zurück (Melanchthon, Kant, Schleiermacher, Ritschl).
Demgegenüber betont H., ein trinitarischer Auslegungsansatz, der von Athanasius und den kappadozischen Vätern lernt, sei keineswegs »anachronistischer« als die gängigen »monotheistischen« Deutungen. Er habe ferner den Vorzug, bislang unterbelichtete paulinische Texte in beachtlicher Klarheit erstrahlen zu lassen. Diese Neubewertung verbindet H. mit der Wiederentdeckung der Kategorie der »Relationalität« bzw. einer »relationalen Ontologie« (39), die geeignet sei, die paulinische Sicht abzubilden, wonach Christus und der Geist sich eben nicht einfach dem scheinbar bekannten Phänomen »Gott« zu-, ein- oder unterordnen ließen: »›God‹ […] is unspecifiable apart from Jesus and the Spirit; likewise, ›Jesus‹ is unknowable apart from his relations with God and the Spirit; and ›the Spirit‹ is impossible to identify without God and Jesus. Together, all three exist in a web or skein of relationality that makes each of the three who they are« (168 f.).
Der exegetischen Begründung dieser These widmet H. insgesamt vier Kapitel: »God in Relation to Jesus« (Kapitel 2), »Jesus in Relation to God« (Kapitel 3 und 4), »The Spirit in Relation to God and Jesus« (Kapitel 5). Die Auslegung der vieldiskutierten Texte Phil 2,6–11; 1Kor 8,6; 15,24–28 (77–110.111–134) bietet freilich exegetisch kaum Neues (vgl. nur Hofius, Paulusstudien I 21991, Paulusstudien II 2002), und der Abschnitt zum Verhältnis des Geistes zu »Gott« und Christus fällt recht knapp aus (135–166). Beachtenswert sind hier immerhin die exegetischen Hinweise zu 2Kor 3,17 (143–153).
Volle Aufmerksamkeit verdient das grundlegende zweite Kapitel (49–75): Anhand solenner Gottesprädikationen (Röm 4,24 [vgl. V. 5. 17]; 8,11 [vgl. V. 28 f.32]; Gal 1,1.6.15 f.) zeigt H., dass für Paulus die Christologie nicht bloß ein (beliebiges) Interpretament eines vermeintlich rigorosen »Monotheismus« ist (gegen Dunn, G. D. Fee, J. Flebbe u. v. a.). Vielmehr sei Paulus zufolge das »Christusgeschehen« der hermeneutische Rahmen für die adäquate Rede von Gott, und zwar auch hinsichtlich der Ursprungsintention (!) alttestamentlicher Texte wie Gen 13,15; 15,5 f.; 17,17. Denn kraft göttlicher Vorherbestimmung sei das Christusgeschehen als solches der Sendung des »Sohnes« in Zeit und Raum teleologisch wie epistemologisch vorgeordnet: »Already – prior to the Christ-event – the theology of Paul is christocentric (or christo-telic). […] Or, put more sharply, there is no ›monotheism‹ without christology.« (72) Nicht erst sekundär und akzidentiell, sondern schon immer sei Gott wesentlich »der, der Christus aus den Toten auferweckt hat«. Die Rede von Christus und die Rede von Gott seien in einer asymmetrisch-reziproken, dezidiert identitätsbestimmenden Weise miteinander verzahnt (72–75 u. ö.).
Obwohl der gewählte Ansatz des »close reading« nicht immer restlos befriedigt und H. vor einer vollen »relationalen Ontologie« teilweise zurückschreckt (s. vor allem 99–110, besonders Anm. 89), regt das Buch doch dazu an, dieses Paradigma nicht nur für soteriologische Zusammenhänge fruchtbar zu machen (vgl. Rehfeld, Relationale Ontologie bei Paulus 2012), sondern auch für die Frage nach der Identität Gottes. Damit würde eine eminent theologische Dimension in der Paulusexegese zurückgewonnen (vgl. H.s Schlussplädoyer, 167–172).