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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

613-616

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Assaël, Jacqueline, et Élian Cuvillier

Titel/Untertitel:

L’Épître de Jacques.

Verlag:

Genève: Éditions Labor et Fides 2013. XIV, 290 S. = Commentaire du Nouveau Testament, XIIIa. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-2-8309-1466-5.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

Der 290 Seiten umfassende Kommentar ist in der renommierten protestantischen französischsprachigen Reihe Commentaire du Nouveau Testament erschienen. Die Gräzistin Jacqueline Assaël (Universität Nizza) und der Neutestamentler Élian Cuvillier (Faculté de théologie protestante de Montpellier) zeichnen gemeinsam als Verfasser. Auf einen ersten Teil, der die Einleitungsfragen und die Auslegungsgeschichte umfasst (19–144), folgt ein ebenso langer zweiter Teil, der der Exegese gewidmet ist (147–263). Eine griechisch-französische Wörterliste, knappe Bibliographien und kleine Nachträge beschließen den Band (265–286). Diese Disposi-tion macht deutlich, dass die Vf. großen Wert auf die allgemeine Texterschließung legen. Dabei geht es ihnen nicht in erster Linie um die klassischen Fragen von Autor, Datierung und Adressaten (63–68), sondern zunächst um die Textversionen (19–26), die Frage der Textstruktur (27–45) und den Stil des Schreibens (46–62, mit drei Anhängen zu hapax legomena, Hebraismen und Gräzismen). Den zweiten Schwerpunkt stellen die theologischen Themen dar: die Rekonstruktion der Christologie (68–94) – der wichtigste Punkt der Interpretation dieses Kommentars – und die theologiegeschichtliche Einordnung des Jakobusbriefes (94–103).
Der ausführlichen Dokumentation der Textüberlieferung (19–26) folgt eine eingehende Untersuchung der in der Exegese stets als problematisch empfundenen Struktur des Briefes (27–45). Die Vf. weisen darauf hin, dass die Struktur nicht den Gesetzen griechischer Texte folgt, aber auch innerhalb der neutestamentlichen Textsammlung singulär ist, und betonen die wichtige Rolle des Lesers bei der Konstruktion des Gedankenganges des Jak (27). Die Vf. selbst beziehen sich einerseits auf die Texteinteilung des Codex Vaticanus (29) und legen andererseits eine thematisch strukturierte Gliederung vor, die die einzelnen Texteinheiten in den Zusammenhang der Grundthemen des Jak stellt: Glaube und Sünde bzw. Ungerechtigkeit (30 f.). Auf S. 32 stellen die Vf. die Paragraphen des Vaticanus und ihre eigene Gliederung zusammen.
Im Folgenden (33–41) werden die Grundthemen konkretisiert: Verdammung des Reichtums, Verbot, am Gericht zu zweifeln, eschatologische Verheißung der Seligkeit der Gerechten (33). Anfang und Ende des Textes vermitteln Trost, der Autor ruft mit unterschiedlichen Mitteln zu Freude in verschiedenen Prüfungen bzw. Versuchungen auf. Die Vf. stellen die vernetzte Thematik, die Kettenargumentation, die häufige Wiederaufnahme von Themen und Sememen und die semantischen Felder dar, die zu der spezifischen Verbindung von thematischer Dichte bei gleichzeitiger mangelnder argumentativer Struktur führen. Besonders betont wird die dialektische Struktur des Textes. Abschließend charakterisieren die Vf. den Jak als eher poetisch (im Deutschen eher mit »dichterisch« wiederzugeben) denn abstrakt-intellektuell, mit den Grundlagen der menschlichen Existenz befasst (»les ressorts fondamentaux de la nature humaine«), eher theologisch und verkündend als logisch oder katechetisch (41). Die Tabellen der Seiten 42–45 dokumentieren die wichtigsten theologischen Begriffe: parole (parole de vérité, corruption de la nature humaine, langue, Parole de Dieu), humilité et richesse, foi, ergon und die Derivate.
Besondere Aufmerksamkeit bringen die Vf. dem Stil des Briefes entgegen. Die einzelnen Beobachtungen gelten der »subversion des mots et des idées« (46–50). Hier wird besonders hervorgehoben, dass der Autor des Jak Worte und Begriffe neu definiert (48) und in ihrer Bedeutung anreichert (49). Der Autor hat ein feines Gefühl für die Lautung und spielt mit Konsonanzen. Insgesamt, urteilen die Vff., sucht der Autor nach einer Sprache für eine »théologie chrétienne« (49). Diesen Gedanken verfolgen die Vf. weiter unter den Stichworten »l’étrangeté des formulations« (50–52) und »les effets de suggestion du sens« (52–56). Der Autor zeige sich »offensiv gegen alle Denksysteme« seiner Zeit (50), streite gegen die Philosophie, besonders gegen die Stoa, indem beispielsweise der Ausdruck logos em-phytos im Sinne christlicher Spiritualität uminterpretiert werde (51). Weiter wende sich der Autor aber auch gegen eine geistliche Trägheit christlicher Gemeinden, die den Glauben mit bloßem Für-wahr-Halten verwechselten (Jak 2,19). Sehr wichtig ist den Vfn. die dichterisch-theologische Valenz des Stils: »L’auteur de cette épître exerce donc la poésie non pas comme un art, mais comme un discours théologique« (54). Neben den eher »subversiven« Effekten des Jakobus-Stils finden die Vf. aber auch »l’enseignement des vérités de la foi« (56–59). Insgesamt kommen die Vf. zu folgendem Urteil: »Tous les aspects de ce texte néotestamentaire prouvent l’exceptionnelle maîtrise de l’écriture et du langue propre de cet auteur« (59). Der Autor verbinde »theoretische Kultur und dichterische Sensibilität« (59) und schaffe einen Text von »vraie valeur littéraire« (59).
Wie stehen die Vf. zu den klassischen Einleitungsfragen? (63–68) Die Vf. votieren für einen pseudepigraphen Autor. Den Entstehungsort halten sie für unbestimmbar. Für die Adressaten gilt:
»Nous proposons de décrire l’auteur comme un disciple de Jésus, d’origine juive, s’adressant à l’ensemble des communautés de disciples du bassin méditerranéen composées de croyants d’origine juive et païenne. Pour lui, ces communautés sont les «synagogues» (2,2), i.e. les assembles qui se réunissent pour render un culte au Messie Jésus qu’ils confessent comme Seigneur.« (68)
Besonderes Gewicht legen die Vf. auf die Christologie (68–94). Die Vf. exegesieren Jak 1,1 (hier übersetzen sie: »Jakobus, Knecht Jesu Christi, des Gottes und Herrn« und verweisen auf Tit 2,13; 2Petr 1,1; 2Thess 1,12); 2,1.7.12; 1,23.21; 5,6.11 (in dieser Reihenfolge). Sie kommen zu dem Schluss:
»Au terme de notre enquête, il se confirme que l’épître de Jacque est un texte de la fin du premier siècle à la christologie déjà formée et profilée« (93). Der Autor versteht Christus weniger als gekreuzigten Erlöser, sondern eher als »maître dont il faut entendre la Parole et qui a donné un visage à Dieu.« (94).
Die Vf. sehen eine gewisse Parallele zum inkarnierten Logos des Johannesevangeliums.
Der letzte Abschnitt der Einführungsfragen gilt dem Thema des Verhältnisses des Jak zu Paulus. Die These der Vf. lautet:
»L’auteur de l’épître qui connaît les lettres pauliniennes […] écrit pour contester ce qu’il estime être une compréhension dévoyée de l’enseignement paulinien sur la justification, venant de l’interieur même des communautés pauliniennes de la seconde génération.« (95)
Abschließend betonen Vf.:
»La théologie de l’épître de Jaques est clairement ordonée à une christologie annonçant les développements futurs de la théologie chrétienne et qu’il ne s’agit donc pas d’un text juif ›christianisé‹ dans un second temps, selon l’hypothèse formulée pour la première fois à la fin du XIXe siècle.« (101)
Die Theologie des Jak stehe neben der Theologie des Paulus und stelle einen eigenen christologischen Weg dar, der eher als Paulus »das Erbe des hebräischen Glaubens« integriere (103).
Es folgt eine ausführliche und sehr nützliche Darstellung der Auslegungs- und Forschungsgeschichte seit Luther (107–144, 108 f. über vorreformatorische Kommentierungen). Für deutschsprachige Exegetinnen und Exegeten sind die Ausführungen zur französischsprachigen Jakobusexegese besonders hilfreich.
Der Kommentarteil ist nach der in Teil I vorgestellten Gliederung aufgebaut. Die Struktur ist dreiteilig: französische Übersetzung, exegetische Bemerkungen, Kommentar. Die Durchführung ist straff, Wiederholungen von Teil I werden vermieden. Viel Wert wird auf die Einzelexegese gelegt. Die Rezensentin kann hier nur ganz vereinzelte Stichproben machen. Die Ausführungen zu wichtigen Wendungen wie guter Name, Gesetz der Freiheit, ursprüngliches Aussehen, königliches Gesetz u. a. bleiben sehr kurz. Mehrfach wird auf vorhergehende Studien der Vf. verwiesen. Auch die Auseinandersetzung mit umstrittenen Wendungen wie emphytos logos oder trochos tēs geneseōs bleibt sehr allgemein. Hier vermisst die Rezensentin vor allem die philologisch-literaturwissenschaftliche Perspektive. Als Beispiel sei nur eine Frage zu Jak 3,6 angeführt: Ist das hapax legomenon »das Rad der Entstehung bzw. Generationen« eine religionswissenschaftlich oder philosophiegeschichtlich aussagekräftige Wendung oder nur Ausdruck des schlechten und prätentiösen Stils des Autors? Man würde gerade von einem Kommentar, dessen eine Verfasserin Altphilologin ist, hier genauere Auskunft erwarten – wobei allerdings Kürze und Stringenz leiden würden.
Insgesamt handelt es sich um einen wichtigen und sehr nützlichen Beitrag zur Jakobusforschung. Die Vf. gehen ihren eigenen Weg, ohne sich zu sehr in die inzwischen fast uferlose Sekundär-literatur zu verstricken. Sie sind der französischen Interpretationskultur verbunden, die den Text in den Mittelpunkt stellt. Redundanzen und die Dokumentation umfassender Literaturbenutzung werden vermieden. Ausdrücklich möchte die Rezensentin hervorheben, dass es den Vf. gelungen ist, den Jak (11 Nestleseiten 28) in deutlich weniger als 300 Seiten zu interpretieren. Die entscheidende Interpretationshypothese, der Brief verfolge eine eigene ausgearbeitete Christologie, wird die oft in traditionsgeschichtlichen De­tailfragen verharrende Jakobusexegese hoffentlich neu inspirieren.