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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

607-610

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dietrich, Walter

Titel/Untertitel:

Nahum / Habakuk / Zefanja.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2014. 290 S. m. Abb. u. Ktn. = Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament. Kart. EUR 69,99. ISBN 978-3-17-020658-8.

Rezensent:

Burkard M. Zapff

Mit dem Kommentar von Walter Dietrich liegt der erste Band zum Zwölfprophetenbuch in der Reihe IEKAT vor. Entsprechend dem Vorwort zielt die Reihe auf Folgendes: Sie ist international angelegt, insofern sämtliche Werke in deutscher und englischer Sprache erscheinen bzw. von englisch- bzw. deutschsprachigen Autoren verfasst werden; sie ist ökumenisch, insofern die Autoren verschiedenen christlichen Konfessionen angehören bzw. jüdischer Herkunft sind. Referenztexte sollen dabei nicht nur die Bücher der Hebräischen Bibel, sondern auch die der LXX sein. Schließlich will die Reihe »zwei große exegetische Strömungen« zusammenführen, die »gerne als ›synchron‹ und ›diachron‹ bezeichnet« werden. Die Vorgehensweise orientiert sich dementsprechend an folgendem Schema: Der einzelnen Schrift wird jeweils eine Einleitung vorangestellt, die zunächst synchrone, dann diachrone Aspekte behandelt. »Synchron« bedeutet, dass der Aufbau der jeweiligen Schrift und die Thematik z. B. anhand zentraler Leitworte in den Blick genommen werden. Dem schließt sich häufig ein kurzer Abschnitt zur Rezeptionsgeschichte an. Die folgende »diachrone Betrachtung« behandelt vor allem die chronologische Einordnung der Schrift sowie, ausgehend von formalen und inhaltlichen Spannungen, ihre Entstehungsgeschichte. In Kürze lassen sich die Ergebnisse des Kommentars folgendermaßen skizzieren.
Die Nahumschrift will D. als einen »dramatischen Text« verstehen, der allerdings wohl niemals als Drama aufgeführt wurde (22). Inhalt ist »die Bestrafung Ninives und die Befreiung der von ihm Unterjochten« (23). Dem theologischen Anstoß, den diese Schrift bei vielen ihrer Leser auslösen könnte, sucht D. mit dem Hinweis zu begegnen, dass »die Stimme Nahums« »als vehemente Widerrede, ja Aufschrei gegen das Unrecht, das Völker einander […] antun« (27) zu verstehen sei. Zudem sei sie im Kontext der Jonaschrift zu lesen, da beide als gegensätzliche Positionen einen »scharfen Disput über die angemessene Haltung Israels und seines Gottes gegenüber israel- und gottfeindlichen Mächten« führen (28). Entstehungsgeschichtlich ist bei der Nahumschrift mit drei Stufen zu rechnen: Der Grundbestand lässt sich in zwei Unheilsorakel (1,10–12a; 1,14), gerichtet gegen Missstände bzw. Gegner in Juda bzw. Jerusalem, und in einer Komposition von Gedichten gegen Ninive und Assur (2,2–3,19), einschließlich eines Teils der heutigen Überschrift in 1,1a, finden, die aus der Zeit zwischen 663 (Eroberung No-Amons) und 612 (Zerstörung Ninives), also aus der Mitte des 7. Jh.s v. Chr. stammen (30.32). In einem zweiten Schritt wurden die genannten Texte verbunden, die heutige Doppelüberschrift ge­schaffen und in 1,12b–13; 2,1 zwei Heilsorakel eingeschoben. Aufgrund der Beziehung von 2,1 zu Jes 52,7a liegt dafür die spätexilische bzw. frühnachexilische Zeit nahe (30.33). Auf den hier tätigen Redaktor geht auch die Verbindung der Nahum- mit der folgenden Habakukschrift zurück (33). Dabei dient die in Nahum erwartete und inzwischen erfolgte Verwüstung Ninives als Modell für den Untergang Babels in Habakuk. Vollendet wurde die Nahumschrift schließlich durch die Einfügung des Semi-Akrostichon in Nah 1,2–8. Sie gehört zu einer »Spätstufe des werdenden Zwölfprophetenbuches« (34).
Die vielfältigen Redeformen führen in der Forschung zu verschiedenen formalen Deutungen der Habakukschrift (z. B. »prophetische Liturgie«, »Drama« bzw. »Lesedrama« oder das Thema des leidenden Gerechten), die D. allesamt als mehr oder weniger zutreffend, wenn auch nicht als hinreichend, beurteilt (96).
Unter »diachroner Betrachtung« kommt D. zu einem dreistufigen Entstehungsprozess: Eine Grundschrift gehe auf das späte 7. Jh. v. Chr. zurück, indem ein Autor – möglicherweise der Prophet Ha­bakuk – sich entsetzt über die ausufernden ungerechten Verhältnisse im damaligen Jerusalem und das Nichteingreifen Gottes äußert (1,2–4.5–10.12–2,1.2–4.5abα.6b.7.9.10abβ.11.12.15.16a). Ihm wird daraufhin eine Antwort in Form zweier Orakel zuteil, die zum einen auf das unaufhaltsame Vorrücken der Babylonier verweisen, zum anderen zum geduldigen Warten ermahnen (102). Eine Erweiterungsschrift aus »(frühnach)exilischer Zeit« lenkt die ursprünglich auf innerjüdische Verhältnisse gerichtete Kritik Habakuks auf die inzwischen tatsächlich auf den Plan getretene, sich machthungrig gebärende Weltmacht Babylon (1,11.15–17.5b β.6a.8.10bα. 13 f.16b–18.[19a]19b) (103). Diese erweiterte Schrift dürfte da­bei mit Nahum zu einem Zweiprophetenbuch zusammengeschlossen worden sein. In einem dritten Schritt schließlich wurde am Ende ein bereits vorgebebener Theophanie-Hymnus (3,3–15) angehängt, der dafür »prophetisiert« und »antibabylonisiert« (3,1 f.16) und, »mit einem positiven Ausklang versehen (3,18.19a), liturgisch ausgestaltet« wurde (103).
Unter synchroner Betrachtung versteht D. die Zefanjaschrift als ein »Drama mit düsterem Beginn und strahlendem Abschluss« (190). Dabei ist unter diachronen Gesichtspunkten mit einem vorexilischen Grundbestand (Verse 2.4 f.7.8aβb.9.10aβb.11.12aβb.13a. 14–16.17aαb; 2,1–3.4–6.9*.13–15; 3,1.3 f.*5) zu rechnen (192). Zeitlich stammt dieser von einem Propheten namens Zefanja, der zur Zeit des jungen Königs Joschija auftrat, als sich dessen Herrschaft noch nicht politisch klar profiliert hatte. In spätvorexilischer Zeit wurden die »im Gedächtnis gebliebenen« Worte Zefanjas zu einer Sammlung zusammengestellt und ausgebaut. Geschichtlicher Hintergrund sei der Zeitraum zwischen dem Untergang Ninives (612 v. Chr.) und dem Jerusalems (586 v. Chr.) (193). Eine dtr Redaktion habe während der Exilszeit die Zefanjaschrift in ein Vierprophetenbuch (Hos, Am, Mi und Zef) eingefügt, wobei sie, abgesehen von der Überschrift, nur sehr wenig in die Zefanjaschrift eingegriffen habe (194). Die nachexilischen Zusätze in Zef 3,9–20 stehen im Zusammenhang der Ausgestaltung des entstehenden Zwölfprophetenbuches als »Prophetenanthologie«, »deren vornehmstes Ziel nicht mehr die Verarbeitung der Exilskatastrophe war, sondern die Bestärkung und Ermutigung des über das ganze persische Großreich verstreuten jüdischen Volkes« (194).
Den Einleitungen folgt jeweils eine detaillierte Auslegung der jeweiligen Schrift. Einer eigenständigen Übersetzung ist ein – gelegentlich sehr ausführlicher – Teil »Anmerkungen zu Text und Übersetzung« beigegeben. Ihm folgt eine synchrone Analyse des Textes, die neben Fragen zur Gliederung des Textes auch eine Einzelauslegung beinhaltet. Dritter Abschnitt ist die »diachrone Analyse«, die vor allem literar- und redaktionskritische Fragen behandelt. Abschließend erfolgt jeweils eine »Synthese«. In ihr wird ein redaktionsgeschichtliches Modell entwickelt und zugleich die sich daraus ergebende Theologie zusammenfassend dargestellt. Den Auslegungen der einzelnen Schriften vorgeschaltet sind ebenfalls synchron und diachron reflektierte Ausführungen zur Stellung des Komplexes Nah-Hab-Zef im Zwölfprophetenbuch. Diese orientieren sich im Großen und Ganzen an den derzeit gängigen Modellen zur Entstehung und Interpretation des Dodekapropheton (11–19).
Ohne Zweifel legt D. eine Kommentierung vor, die sich sowohl methodisch als auch inhaltlich auf der Höhe der derzeitigen wissenschaftlichen Forschungen zum Zwölfprophetenbuch befindet. Die Auslegung überzeugt durch ihr durchweg systematisches Vorgehen, indem eine synchrone Betrachtung geboten wird, die sich einer diachronen Rückfrage nicht verschließt. Allerdings ist das Vorgehen nicht derart innovativ, wie die Einleitung den Eindruck erweckt, sondern entspricht in vieler Hinsicht einem auch bislang in Teilen der wissenschaftlichen Exegese praktizierten Vorgehen. So wird das, was hier unter »Synthese« läuft, in bisherigen Kommentaren oftmals unter der Kategorie »theologischer Ertrag« geführt.
Herauszuheben an diesem Kommentar ist der sehr gelungene Dialog mit verschiedenen alternativen Lösungsvorschlägen, die nicht einfach ausgeblendet, sondern kritisch diskutiert werden. Da dies in Abschnitten geschieht, die als Kleindruck vom Fließtext abgesetzt sind, steht es dem Leser frei, sie zu berücksichtigen oder auch zu überspringen. Dadurch wiederum wird die eigentliche Kommentierung nicht überlastet. Beeindruckend ist auch die Be­achtung des altorientalischen Umfeldes, die vielfach den Text zu erhellen vermag und in der sich das profunde Wissen D.s zeigt.
Hilfreich sind schließlich die Hinweise, die der Kommentar für die kontextuelle und redaktionsgeschichtliche Einbindung der drei Schriften ins Dodekapropheton gibt. Vor allem die Bemerkungen zum Zefanjaschluss, wo es auf S. 247 heißt: »Zef 3,9–20 hat eine Brü-ckenfunktion nicht nur innerhalb der Zef-Schrift, sondern des Do­dekapropheton oder gar des Prophetenkanons als ganzen«, könnten eine Anregung sein, neu nach der traditions- und redaktionsgeschichtlichen Beziehung dieser und anderer Verse zum Dodekapropheton und nicht zuletzt zum Jesajabuch und dessen Trägerkreisen zu fragen.
Freilich seien auch einige mehr grundsätzliche Anfragen angebracht. So sinnvoll es ist, synchrone und diachrone Auslegung zu­nächst zu trennen, ist doch noch einmal darüber zu reflektieren, ob nicht die Einzelauslegung als eigener Methodenschritt – also ge­trennt von der synchronen Betrachtung – zu gestalten wäre. Dies würde die Chance bieten, die Einzelinterpretation vor dem Hintergrund der vorausgehenden synchronen wie diachronen Perspektive zu gestalten.
Wenn entsprechend der Zielsetzung von IEKAT auch die deuterokanonischen bzw. apokryphen Schriften der LXX in die Auslegung mit einbezogen werden sollen, wäre zu überlegen, ob nicht die Übersetzung (und Auslegung) der LXX auch bei den Schriften, die in der hebräischen Bibel vorliegen, eine größere Rolle spielen sollte. Zu berücksichtigen, dass die LXX nicht nur als Anhaltspunkt für einen hypothetisch zu erschließenden »Urtext« dienen kann, sondern durchaus einen eigenen hermeneutischen Ansatz hat, wäre auch ein Desiderat für einen modernen exegetischen Kommentar. Dies gilt vor allem dann, wenn sich dieser als »ökumenisch« versteht, insofern die LXX in den Kirchen der byzantinischen Tradition kanonischen Rang besitzt.
Einzig störend sind lediglich einige wenige Formulierungen, wie z. B. auf S. 255, letzter Abschnitt, die dem derzeitigen ökumenischen Gesprächsstand nur wenig gerecht werden und deshalb in einem »ökumenisch« orientierten Kommentar nichts zu suchen haben.