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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

605-607

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Batnitzky, Leora, and Ilana Pardes [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Book of Job. Aesthetics, Ethics, Hermeneutics.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter Mouton 2014. VIII, 226 S. = Perspectives on Jewish Texts and Contexts, 1. Geb. EUR. 99,95. ISBN 978-3-11-033383-1.

Rezensent:

Markus Witte

Mit diesem Band wird die neue Reihe Perspectives on Jewish Texts and Contexts (PJCT) eröffnet. Sie zielt auf eine Erhellung des Einflusses der jüdischen Tradition auf moderne und postmoderne jüdische intellektuelle, soziale und politische Diskurse. Grundsätzlich interdisziplinär angelegt, soll es um einen Dialog zwischen literarischen, philosophischen, politischen und religiösen Perspektiven gehen. Damit spiegelt die Reihe, deren Cover der Ausschnitt aus Rembrandts berühmter Federzeichnung »Hiob und seine Freunde« (um 1648–1650) ziert, das in den letzten Jahren vor allem in den Kulturwissenschaften neu erwachte Interesse an jüdischen Traditionen und ihren vielfältigen Rezeptions- und Wirkungsgeschichten. Als Reihenherausgeberin von PJCT fungiert Vivian Liska, gegenwärtig Professorin für deutsche Literatur und Literaturtheorie an der Universität Antwerpen und Direktorin des dort ansässigen Instituts für Jüdische Studien.
Dass die neue Reihe gerade mit einem Band zum Buch Hiob startet, kann angesichts seiner Bedeutung in der jüdischen Geistes- und Philosophiegeschichte seit dem 18. Jh. und in besonderer Weise in der jüdischen Literatur im Schatten der Shoa nicht verwundern. So bieten die beiden Herausgeberinnen, Leora Batnitzky, Professorin für Jüdische Studien an der Universität Princeton, und Ilana Pardes, Professorin für vergleichende Literatur an der Hebräischen Universität Jerusalem, eine lesenswerte Zusammenstellung von neuen Sichtweisen auf die ästhetischen und ethischen Dimensionen des Hiobbuches sowie einzelne Interpretationen ausgewählter literarischer Werke jüdischer Autoren, in denen Hiob bzw. das Hiobbuch eine hervorgehobene Rolle spielt. Die Anthologie selbst geht auf eine Tagung zurück, die im Oktober 2012 an der Universität Princeton stattgefunden hat und an der Referenten und Referentinnen aus Jerusalem, Antwerpen und Princeton teilgenommen haben; einige wenige Beiträge basieren auf älteren, schon an anderem Ort publizierten Aufsätzen. Gemäß dem Charakter des Symposionsbandes sind die einzelnen Aufsätze eher exemplarisch, bisweilen essayistisch, als enzyklopädisch. In literatur- und rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht wird ein weiter Bogen von der Beschreibung des ästhetischen Profils des Hiobbuches bei Robert Lowth (1710–1787) und Johann Gottfried Herder (1744–1803) bis zu den unterschiedlichen Hiobthematisierungen bei Hermann Melville (1819–1891), Franz Kafka (1883–1924), Margarete Susman (1872–1966), Max Brod (1884–1966), Gershom Scholem (1897–1982), Joseph Roth (1894–1939), Natan Zach (*1930), Zelda Schneerson (1914–1984), Hanoch Levin (1943–1999) und Philip Roth (*1933) gespannt. Gleichwohl fällt auf, dass einschlägige Sekundärliteratur, wie z. B. die Sammelbände Sacred Conjectures. The Context and Legacy of Robert Lowth and Jean Astruc (herausgegeben von John Jarick, LHBOTS 457, 2007) und Reading Job Intertextually (herausgegeben von Katherine Dell und Will Kynes, LHBOTS 574, 2013) oder die zahlreichen Studien zur literarischen Wirkungsgeschichte des Hiobbuches von Georg Langenhorst (u. a. Hiob unser Zeitgenosse. Die literarische Hiob-Rezeption im 20. Jahrhundert als theologische Herausforderung, 1994) und Gabrielle Oberhänsli-Widmer (Hiob in jüdischer Antike und Moderne. Die Wirkungsgeschichte Hiobs in der jüdischen Literatur, 2003) nicht be­rücksichtigt wurden.
Ein roter Faden, der sich durch fast alle Beiträge zieht, ist die seit Johannes Chrysostomus diskutierte Frage, ob es sich beim Buch Hiob um eine Tragödie handele und worin denn das spezifische Tragische, auch das Tragikomische und das Ironische des Buches liege. In diesem Zusammenhang kommen neben einzelnen klassischen Tragödien und Aristoteles selbstverständlich auch ausgewählte Traktate aus dem Talmud, Maimonides (1135/38–1204) oder Friedrich Nietzsche (1844–1900) zu Wort (vgl. dazu auch Bernhard Klinger, Im und durch das Leiden lernen. Das Buch Ijob als Drama, BBB 155, 2007). Gleichfalls als ein die verschiedenen Beiträge zusammenhaltendes Band erscheint die Frage, ob es sich beim Hiobbuch um eine Theodizee handele oder nicht und welchen Beitrag es, zumal mit seiner expressiven Versprachlichung des Leidens und seinen mehrdimensionalen Körperbegriffen, zur Bewältigung der zahlreichen menschlichen Katastrophen der (jüdischen) Moderne leiste. Hinsichtlich seines Potentials zur Deutung menschlicher Existenz verdeutlichen gerade die rezeptionsgeschichtlichen Aufsätze des Bandes den im Hiobbuch selbst angelegten dynamischen Prozess menschlicher Selbstauslegung in einer oft rätselhaften Welt. Die Vieldeutigkeit der Sprache und Bilder des Hiobbuches, die Vielschichtigkeit der in ihm gebotenen Bestimmungen der Position und Funktion des Menschen im Kosmos und die Vielfalt menschlichen Verstehens bedingen, dass der exegetische und literarische Dialog mit diesem Buch immer weitergeht. Der vorliegende Band bringt in diesen einige hörenswerte Stimmen und bedenkenswerte Aspekte ein, die bisher entweder zu wenig oder noch nicht in dieser Weise wahrgenommen wurden. Zugleich belegt er beispielhaft die produktive Kraft der Wiederentdeckung biblischer Stoffe und Themen im Bereich der modernen (jüdischen) Literatur und Kunst.
Im Einzelnen bietet der Band folgende Beiträge: Leora Batnitzky und Ilana Pardes, The Book of Job: Aesthetics, Ethics, and Hermeneutics (1–7) – Ariel Hirschfeld, Is the Book of Job a Tragedy? (9–36) – Moshe Halbertal, Job, the Mourner (37–46) – Naphtali Meshel, Whose Job Is This? Dramatic Irony and double entendre in the Book of Job (47–75) – Yosefa Raz, Reading Pain in the Book of Job (77–97) – Ilana Pardes, Melville’s Wall Street Job: The Missing Cry (99–122) – Vivian Liska, Kafka’s Other Job (123–145) – Galit Hasan-Rokem, Joban Tranformations of the Wandering Jew in Joseph Roth’s Hiob and Der Leviathan (147–171) – Robert Alter, Hebrew Poems Rewriting Job (173–184) – Freddie Rokem, The Bible on the Hebrew/Israeli Stage: Hanoch Levin’s The Torments of Job as a Modern Tragedy (185–212) – Leora Batnitzky, Beyond Theodicy? Joban Themes in Philip Roth’s Nemesis (213–224).
Der Band wird mit kurzen Informationen zu den beteiligten Autoren und Autorinnen beschlossen. Leider fehlen Register und eine Gesamtbibliographie, jedem Beitrag ist aber ein (kurzes) Literaturverzeichnis beigegeben.